Vor einer zunehmenden "braunen Esoterik" hat der Sektenbeauftragte der bayerischen Landeskirche Matthias Pöhlmann gewarnt. Er beobachte häufig "problematische Überlappungen" zwischen politischen Ansichten und Verschwörungstheorien, sagte Pöhlmann im Interview. Diese rechte Esoterik gefährde das demokratische System.
Welche Trends beobachten Sie aus Anlass der Bundestagswahl?
Matthias Pöhlmann: Es gibt erneut einen Trend zu "brauner" oder "rechter" Esoterik. Ich beobachte problematische Überlappungen zwischen politischen Ansichten und Verschwörungstheorien. Ein Beispiel dafür sind die Aktivitäten die sogenannte Friedensweg-Bewegung, deren Initiator Erich Hambach allerlei Verschwörungstheorien verbreitet. Er tritt mit braunen Esoterikern auf, gibt Interviews in höchst fragwürdigen Videokanälen im Internet. So etwas dient nicht zur Stärkung unseres demokratischen Systems.
Es gibt einen beängstigenden Bodensatz für Politikverdrossenheit und Frustration, der sich in Verschwörungstheorien oder im Hass auf die Medien oder das System ausdrückt.
Was tun gegen braune Esoterik?
Pöhlmann: Wir müssen immer wieder aufklären und sachlich informieren. Die Protagonisten solcher Gruppierungen und Äußerungen werden wir nicht ändern können. Aber wir müssen diejenigen überzeugen, die am Rand stehen und mithören oder sich für solche Gruppierungen interessieren.
Welche Rolle spielen Sekten?
Pöhlmann: Der Begriff der Sekte ist ein schillernder Begriff. Wir müssen sehr genau unterscheiden, ob es sich bei einer Gruppe um eine Sekte oder eine Gruppe mit sektiererischen Tendenzen handelt.
Woran erkenne ich eine Sekte?
Pöhlmann: Es gibt verschiedene Merkmale. Sekten haben ein Exklusivitätsdenken. Sie sagen 'Wir sind die Geretteten, die Welt draußen ist zum Untergang geweiht'. Die Gemeinschaft behauptet, nur sie wisse, was richtig ist. Sekten haben eine hohe Sozialkontrolle bis hin zur Bewusstseinskontrolle. Das Denken wird sehr stark von der Gruppe vorgegeben. Schließlich erkennt man eine Sekte auch am Umgang mit Kritik – je restriktiver, desto problematischer.
Welche Trends beobachten Sie bei den Sekten?
Pöhlmann: Der religiöse und weltanschauliche Markt hat sich sehr stark ausdifferenziert. Es gibt viele kleine Gruppierungen und eine Zunahme von "Wohnzimmergurus": Da bilden sich um charismatische Persönlichkeiten herum kleine Gruppen mit wenigen Mitgliedern, aber einem sehr starken Abhängigkeitsverhältnis – übrigens einem weiteren Merkmal für eine Sekte.
Was tun, wenn sich ein Freund oder Angehöriger für eine Sekte interessiert?
Pöhlmann: Es rufen mich häufig Menschen an, die besorgt sind um einen Angehörigen oder einen Freund. Es geht erst einmal drum, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich zu informieren. Ich rate den Menschen, sich Hilfe zu holen. Oft hilft es schon, zu erfahren, dass man nicht alleine ist mit dem Problem. Jeder ist auf gewisse Weise gefährdet oder ansprechbar für bestimmte Dinge. Wichtig ist es, die Motive der Person zu verstehen. Meist werden da Lebensthemen angeschnitten, die für diese Person eine wichtige Rolle spielen.
Welche Motive gibt es denn?
Pöhlmann: Wir sprechen da vom Schlüssel-Schloss-Prinzip: In der Regel treffen die Angebote einer Sekte auf ganz bestimmte Bedürfnisse eines Menschen. Jemand, der für die Angebote der Zeugen Jehovas empfänglich ist, sehnt sich vermutlich nach Sicherheit und einer klaren Gruppenstruktur. Ein anderer hat über einen Psychokurs die Anhänger von Scientology kennengelernt und denkt, er kann dort Durchsetzungsfähigkeit lernen. Bei vielen Angeboten denke ich aber: Das ist nichts Neues, sondern hier hat eine Gruppe ein altes Thema in eine neue Verpackung gesteckt. Als Beobachter der Szenerie bin ich immer wieder überrascht, wie schnell sich die Menschen vom Image eines "Meisters" überzeugen lassen.
Welche Haltung nimmt die evangelische Kirche zu Sekten ein?
Pöhlmann: Als Sektenbeauftragter der evangelischen Landeskirche in Bayern versuche ich, die Szene genau zu beobachten und am Puls der Zeit zu bleiben. Ich versuche herauszufinden, welche Haltung die Gruppierungen vertreten, wie sie werben. Außerdem betreiben wir selbst Feldforschung. Wir besuchen Veranstaltungen, um die Atmosphäre mitzubekommen und zu verstehen, welche Ansichten diese Gruppierungen vertreten. Erst aus dem Zusammenspiel von Literatur, Selbstwahrnehmung, Außendarstellung und Aussteigerberichten ergibt sich ein Bild.
Zum anderen führt die Auseinandersetzung mit Sekten und weltanschaulichen Gruppierungen auch dazu, sich selbst zu positionieren. Welche Haltung vertreten wir als lutherische Kirche? Das ist ein Lernprozess. Die Auseinandersetzung mit Weltanschauungen, anderen Gruppierungen und Sekten schärft unsere eigene Wahrnehmungs- und Auskunftsfähigkeit.
Was ist eine Sekte?
Zehn Punkte, an denen jeder erkennen kann, ob es sich um eine Sekte handelt.
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