In den ersten Monaten nach einer Einwanderung heißt es, von Behörde zu Behörde zu laufen. Auch später hat man immer wieder mit Ämtern zu tun. Wie man hier behandelt werde, sagt der Syrer Housam Zakkour, sei entscheidend für das Gefühl, willkommen zu sein.
Er selbst, sagt der 46-Jährige, habe negative Erfahrungen gemacht. Oft fühlte er sich auf dem Amt als Mensch zweiter Klasse. Aber auch Leute in seiner Nachbarschaft, erzählt er, gingen bis heute auf Abstand. Obwohl der Vorsitzende des Islamischen Kulturvereins in Jena seit mehr als zweieinhalb Jahrzehnten in Deutschland wohnt, bleibt Syrien für ihn deshalb seine Heimat.
Dass der Muslim seine sechs Kinder nicht seinem Glauben gemäß erziehen kann, trägt dazu bei, dass er Deutschland nicht als Heimat empfindet. Zakkour möchte nicht, dass Mädchen mit Jungen schwimmen gehen. Außerdem sollen seine Kinder nicht auswärts übernachten. Regelmäßig gebe es Streit, wenn eine Klassenreise ansteht. Er fühle sich gezwungen, seine Kinder mitfahren zu lassen. Das sei gegen die Religionsfreiheit, sagt Zakkour.
Angeregt von der aktuellen Diskussion um die Rückkehr syrischer Schutzsuchender habe er in seiner Community gefragt, wer denn heimkehren möchte: "Mehrere wollen nicht bleiben, das hätte ich nicht erwartet." Zakkour allerdings wird nicht gehen: "Alle meine Kinder sind hier geboren."
Erfahrungen mit dem neuen Land
Sékou Dabiré kam 2001 aus Burkina Faso nach Saarbrücken, um Informatik zu studieren. "Ich fühle mich heute als Teil dieses Landes", sagt er. Allerdings empfinde er Burkina Faso noch immer als seine Heimat. Was für den Syrer Zakkour ein Problem ist, ist für den Muslim Dabiré keines. Sein Sohn und seine Tochter dürften mit anderen Kindern schwimmen gehen, seine Tochter müsse kein Kopftuch tragen, sagt der 52-Jährige.
Aber auch ein großer Integrationswille ändert oft nichts an Vorbehalten. Dabiré sagt, es sei nervig, immer wieder gefragt zu werden: "Woher kommen Sie?". Und wenn er dann sage: "Aus Saarbrücken", werde reflexhaft nachgefragt, woher er denn "eigentlich" stamme: "Genau das zeigt, dass wir auch nach Jahren nicht als dazugehörig empfunden werden."
Für Noa Ha vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung ist es nicht zielführend, mit dem Begriff Heimat zu operieren. Für sie wäre es wichtiger, darüber nachzudenken, wie Zugehörigkeit entstehen kann. Das gehe nicht ohne konkrete Angebote zur Beteiligung. "Von Gewerkschaften wissen wir, dass die Beteiligung von Migrantinnen und Migranten an Betriebsräten ein wichtiger Teil der Integration ist", sagt sie. Wer eine schöne Wohnung und ein gutes Einkommen hat, wer sich akzeptiert und freundlich behandelt fühlt, werde seinen neuen Wohnort irgendwann als Heimat empfinden.
Integrationsprozesse ziehen sich hin. Konnte jemand im Ursprungsland auf die Universität gehen, möchte er in der neuen Heimat nicht nur Helfer sein. Doch genau dieses Schicksal haben nicht zuletzt syrische Flüchtlinge. Das zeigt mit Blick auf Syrer eine aktuelle Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Demnach sind derzeit 287.000 syrische Staatsangehörige in Deutschland beschäftigt. Im Jahr nach ihrer Ankunft müssen sich noch 37 Prozent mit einer Helfertätigkeit begnügen. Nach sieben Jahren liegt die Quote immer noch bei 26 Prozent. Im Durchschnitt, so die IAB-Analyse, hatten die auf dem deutschen Arbeitsmarkt integrierten Syrer in ihrem Herkunftsland eine höher qualifizierte Beschäftigung. Nicht einmal zehn Prozent waren vor ihrer Flucht Hilfsarbeiter.
Haushaltsmittel für Integrationskurse fehlen
Dass aktuell Haushaltsmittel für Integrationskurse fehlen, wird es Flüchtlingen künftig noch schwerer machen. Laut Haushaltsentwurf 2025 sollen die Ausgaben für Integrationskurse um die Hälfte auf 500 Millionen Euro gekürzt werden. Tobias Weidinger, Migrationsforscher an der Uni Erlangen, kritisiert die Kürzungen, ebenso wie die Forderung, Flüchtlinge aus Syrien auf dem schnellsten Wege wieder zurück in ihr Herkunftsland zu transferieren: "Man kann sie doch nicht wie ein Amazon-Paket einfach zurückschicken." Viele seien schon zehn Jahre hier: "Und haben sich verwurzelt."
Der Forscher verweist auf eine ältere IAB-Studie, in die zwischen 2013 und 2019 eingereiste Syrer einbezogen waren: "94 Prozent wollten dauerhaft in Deutschland bleiben." Von den knapp 1,3 Millionen Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte seien mehr als 200.000 inzwischen eingebürgert.
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Die Fälle zeigen eher, dass…
Die Fälle zeigen eher, dass die Probleme anderswo als in fehlenden Finanzen für Integrationskurse liegen. Nun kann man diskutieren, ob das Geld dort nicht effizienter angelegt ist als beim Aufräumen gescheiterten Zusammenlebens - wahrscheinlich ja, aber kein Integrationskurs kann die abwegige Vorstellung ein Fluchtland habe die eigene Prüderie zu übernehmen erfüllen und kein Kurs kann die Vorstellung, was Deutsch sei, derjenigen ändern, die hier geboren sind und neuerdings mit Liebkosungen wie Alman, Kartoffel oder biodeutsch bedacht werden. Es ist ja nicht so, dass darüber nicht geredet würde, aber die Politik bleibt selbst in der Zeitschleife einer ethnisch gesäuberten Nation der Hans und Fritz stecken, wenn sie als deutschen historischen Referenzpunkt alles auf den Nationalsozialismus und die Nachkriegszeit ausrichtet, in der deutsch irgendwo zwischen SS-Fuehrer und Sophie Scholl eingegrenzt ist. Natürlich besteht mit einer Aufweitung der Perspektive immer auch die Gefahr des Uebertuenchens und der Schönfärberei, dessen, was hässlich und zutiefst gewaltvoll barbarisch war. Allerdings hätte man, wenn man nur diese Option sieht, Deutschland schon 1945 besser für immer aufgelöst. Die Deutsche Geschichte bietet durchaus Entdeckungsmoeglichkeiten für komplexe Identitäten, Staatsbildungsprozesse, Studienobjekte für Geist und Ungeist und vor allem viel Ambivalenz und Kontinuität. Das ist keine leichte Kost, macht aber Räume auf für Ali, Waldemar, Francoise und Jana. Das Nonkonforme, Diskriminiert, Verfolgte, Vertriebene war auch immer Deutsch: Die Täufer, die Bauern, die Hexen, die Hugenotten, die Juden, die Diasporakonfession, die Elsässer und Polen, die Spaghettifresser und Türken, die Kärntnerslowenen und dänische Minderheit, die Russlanddeutschen und Siebenbürger Sachsen, die ausgebombten Kinder auf Erholung in der Schweiz, die Ustinovs in UK, die Sinti und Roma und Karel Gotts. Oft waren diese etwas anderen Deutschen sehr erfolgreich und was wären wir ohne sie. Wenn wir über Blut und Bodenrhetorik hinaus kommen wollen, dann müssen wir mehr auf sie schauen und Deutschland als Nachbarschaft, Erzählgemeinschaft und Sprachenwelt ähnlich der Frankophonie sehen. Dabei sind wir in Europa auch in der Ambivalenz gar nicht so einzigartig sondern eher exemplarisch vielleicht auf der extremen Seite. An eine Gutwerdung der Deutschen mag man nach Solingen, Hoyerswerda oder Hanau nicht mehr recht glauben. Aber eine deutsche Normalisierung ist noch immer möglich und das wär für Europa schon viel wert. Am Deutschen Wesen wird die Welt und die Geflüchteten nicht genesen, aber bräuchten sie weniger Aspirin wäre schon etwas erreicht.