Anfang März haben Sie mit einer Sternfahrt über tausend ehrenamtliche Asylhelfer nach München gebracht, die ihren Unmut über bayerische Asylpolitik demonstriert haben. Worin besteht der Frust?

Jost Herrmann: Im Arbeitsverbot, das Innenminister Joachim Herrmann Ende 2016 verfügt hat. Seither dürfen Asylbewerber aus Ländern mit schlechter Bleibeperspektive nicht mehr arbeiten, solange ihr Verfahren läuft. Für die Helfer ist das unbegreiflich. Für sie steht die eigene Glaubwürdigkeit auf dem Spiel: Sie haben Arbeitgeber überzeugt, einen Asylbewerber anzustellen. Sie haben Asylbewerber überzeugt, auf die Berufsschule zu gehen, statt schnelles Geld als Tellerwäscher zu verdienen. Und jetzt ist das plötzlich alles hinfällig. In unseren Helferkreisen sind auch eher konservative Menschen, die einfach nur helfen wollten. Selbst diese macht das Arbeitsverbot politisch.

Gibt es für Flüchtlinge Arbeit im Landkreis Weilheim?

Jost Herrmann: Die Arbeitslosenquote ist bei uns sehr niedrig. Gerade das Hotelgewerbe, aber auch Logistikunternehmen oder Bäcker brauchen dringend Arbeitskräfte. Jede Gaststätte sagt: Ohne ausländische Kräfte geht´s gar nicht. Und die Asylbewerber sind - anders als das Klischee es nahelegt - als zuverlässige, flexible und gutwillige Mitarbeiter geschätzt.

Wie viele der Asylbewerber in Ihrem Einzugsgebiet hatten eine Stelle?

Jost Herrmann: Etwa ein Drittel hat gearbeitet, ein Drittel geht auf die Berufsschule. Ein Drittel arbeitet nicht, auch aufgrund von Krankheit, Trauma oder mangelnden Sprachkenntnissen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es allen guttut, wenn Asylbewerber arbeiten dürfen - auch die aus sicheren Herkunftsländern wie dem Senegal. Es gibt dann viel weniger soziale Probleme. Im Prinzip müsste es doch sogar den AfD-Wählern gefallen, wenn Asylbewerber arbeiten und so ihren Beitrag zum Leben in Deutschland leisten. Vernünftige Argumente für ein Arbeitsverbot habe ich noch nicht gehört.

Dabei unterstützen doch viele CSU-Ortsbürgermeister Ihre Helferkreise…

Jost Herrmann: Viele Bürgermeister sind selbst sauer und können das Arbeitsverbot nicht nachvollziehen. Wir haben beim letzten Asylgipfel im Januar in Tutzing die Teilnehmer gefragt: Wer fühlt sich von seinem Bürgermeister gewertschätzt? 100 Prozent! Beim Landrat waren es immerhin noch 70 Prozent. Und bei der Staatsregierung? Null Prozent! Da stimmt was nicht. Das sollte der CSU-Spitze in einem Wahljahr zu denken geben.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, dem Sie mit Ihren Mitstreitern die Tutzinger Petition überbringen wollten, hat Ihnen abgesagt. Begründung: keine Zeit.

Jost Herrmann: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das sein letztes Wort ist. Wir sind keine linken Spinner, die ein Bleiberecht für alle Flüchtlinge fordern. Viele von den 250 bayerischen Helferkreisen, die die Tutzinger Resolution unterschrieben haben, haben für ihre Integrationsarbeit Ehrungen bekommen. Ich selbst habe vier Ehrungen, darunter eine von Sozialministerin Emilia Müller und eine vom damaligen Außenminister Frank Walter Steinmeier. Wir sind Experten der Basis, können auf hohem Niveau Probleme erörtern und zur Lösung beitragen.

Wie ist die Unterstützung durch die Kirche?

Jost Herrmann: Die Kirche steht hinter uns. Ich selbst fühle einen starken Rückhalt durch meine direkten Vorgesetzten, Dekan Piper und Direktor Knorr von Herzogsägmühle. Vor Ort machen die Kirchen die Arbeit der Helferkreise oft leichter: indem sie ein Konto zur Verfügung stellen, ihre Räume als Treffpunkte anbieten. Das bringt einen Imagegewinn gerade bei kirchenkritischen Menschen, die in den Helferkreisen etwa ein Drittel ausmachen. Für manche ist das ein Türöffner. Die kommen dann in den Gottesdienst, weil sie neugierig sind, mich als Pfarrer zu erleben.

Was sind die aktuellen Herausforderungen für die Helferkreise?

Jost Herrmann: Die Wohnungssuche für anerkannte Asylbewerber. Es gibt genug leerstehende Wohnungen - wie nehmen wir den Vermietern ihre Vorbehalte? Und natürlich die Begleitung derjenigen, die einen Ablehnungsbescheid bekommen haben. Von den rund 200 Pakistani im Landkreis darf bisher  keiner bleiben, ebenso verhält es sich bei den Nigerianern. Auch die meisten unserer afghanischen Flüchtlinge haben eine Ablehnung bekommen. Das ist schwer zu akzeptieren. Vielleicht müssen wir aber auf Dauer auch unsere Grenzen anerkennen und Abschied nehmen lernen.  

Wünschen Sie sich ein Einwanderungsgesetz?

Jost Herrmann: Ich glaube, dass Deutschland davon profitieren würde, wenn diejenigen bleiben könnten, die fleißig sind, die die Sprache und den gesellschaftlichen Umgang erlernt haben, die sich sozial engagieren und durch ihre Arbeit einen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten könnten. Da wäre ein Gesetz vielleicht hilfreich. Nicht nur diesen Menschen zuliebe. Sondern auch Deutschland zuliebe.

ZUR PERSON

PFARRER JOST HERRMANN ist Ehrenamtskoordinator im Landkreis Weilheim-Schongau. Das Finanzierungskonzept der Stelle ist in Oberbayern einzigartig: Statt kleinteilige Parallelstrukturen zu fördern, ziehen Staatsregierung, Kreistag, Caritas, Diakonie und das Sozialdorf Herzogsägmühle an einem Strang und finanzieren je ein Fünftel der Stelle.

BESTENS VERNETZT ist Herrmann mit den Helferkreisen im Umland, weil er bereits seit 2013 die Asylarbeit im Dekanat betreut und viele Helferkreis-Gründungen begleitet hat. Mittlerweile ist er einer von drei Sprechern der insgesamt 250 Asylhelferkreise in Bayern. Der 51-Jährige war vor seiner Zeit im Pfaffenwinkel sechs Jahre als Pfarrer in Pretoria/Südafrika. Die Erfahrungen aus dieser Zeit helfen ihm, die Asylarbeit »weder blauäugig noch mit Berührungsängsten« zu machen, sagt Herrmann selbst.

Dossier

Flucht und Asyl

Weltweit sind etwa 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Auch in Bayern suchen viele Schutz. Wie geht es den Flüchtlingen hier? Welche Erfahrungen machen Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit? Lesen Sie weiter in unserem Dossier "Flucht und Asyl" .