Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Heimatstadt, was sind Ihre Lieblingsorte im Kirchenkreis Regensburg?

Weiss: Die Oberpfalz war damals noch das Armenhaus von Bayern: Ohne Schneepflug waren im Winter viele Orte von der Außenwelt abgeschnitten, zu manchen Dörfern führten nur schlechte Schotterwege, in vielen Wohnungen gab es kein fließend Wasser. Das Leben war oft sehr einfach. Ich finde es spannend, jetzt, Jahre später, in diese Region zurückzukehren. Auch sonst verbindet mich viel mit dem Kirchenkreis Regensburg: Flossenbürg im Norden, wo wir als Kinder oft beim Skilanglaufen waren, mit seiner KZ-Geschichte und der Verbindung zum Namen Dietrich Bonhoeffers, der für mich als Theologe sehr wichtig geworden ist. Der Bayerische Wald, wo ich mit meiner Frau oft Urlaub gemacht habe und den ich mit meinen Geschwistern zweimal zu Fuß durchquert habe. Schließlich die historisch faszinierenden Städte Regensburg und Passau und die schönen Laubwälder im Bäderdreieck von Niederbayern - Bayern ist einfach mein Zuhause, und zum ganzen Ostbayern hege ich eine alte Liebe.

Sie waren nach Ihrem Theologiestudium in Erlangen, Bonn und Wien als Studentenpfarrer in Bamberg tätig. Was war das für eine Zeit?

Weiss: Wir haben damals eng mit der Katholischen Hochschulgemeinde unter einem Dach zusammengearbeitet. Die Aufmerksamkeit galt dem jeweiligen Frömmigkeitsstil des anderen: Die Katholiken pflegten ihre Exerzitientradition, wir die Bibelarbeit. Eine besondere Erfahrung war es, als fast gleichaltriger Pfarrer mit den Studenten zusammenzuarbeiten. Dieses "auf Augenhöhe sein" hat mich auch im weiteren Berufsleben begleitet und ist mir sehr wichtig.

Sie haben über ein Thema aus der fränkischen Kirchengeschichte promoviert. Wie lautet der Titel Ihrer Dissertation?

Weiss: "Vom rechten Verstand der Lehre - geistliche Leitung der Kirche nach dem Tode Luthers am Beispiel von Georg Karg." Karg lebte von 1512 bis 1576. Er war Schüler von Luther und Melanchthon und wirkte als Superintendent in Ansbach. Er vertrat die Auffassung, Kirche müsse von der Kanzel her wirken - also eine starke Gewichtung des Wortes Gottes. Er scheiterte allerdings, als er auch den Kirchenbann von der Kanzel herab verhängen wollte - das haben sich die Juristen damals nicht gefallen lassen.

Seit 2001 sind Sie Mitglied der bayerischen Landessynode und vertreten somit die evangelische Basis. Als Regionalbischof gehören Sie dem Landeskirchenrat an und müssen die Seite wechseln. Was war Ihnen als Synodaler immer besonders wichtig?

Weiss: Mir ist sehr daran gelegen, die personellen und finanziellen Möglichkeiten der Gemeinden zu erhalten. Ich bin kein Gegner der überparochialen Dienste, befürchte aber, dass das Modell der Ortsgemeinden von manchen Vertretern dieser Einrichtungen als nicht mehr zukunftsfähig betrachtet wird. Dem steht meine Erfahrung als Gemeindepfarrer gegenüber: Die christliche Gemeinde sammelt sich immer noch am ehesten vor Ort. Das Anliegen, die Gemeinden zu stärken, werde ich auch in den Landeskirchenrat mitnehmen.

Weihnachtsoratorium im Schlaf beherrscht

Sie stammen aus einer Kirchenmusikerfamilie: Wie hat der musikalische Alltag der Familie Weiss ausgesehen?

Weiss: Mein Urgroßvater, Großvater und Vater waren Kantoren: Es war für meine Eltern beschlossene Sache, dass das in der nächsten Generation nicht so weitergehen sollte. Deshalb lernte keines von uns Kindern ein Tasteninstrument. Statt dessen spielten meine Brüder Cello und Oboe, meine Schwester Querflöte und ich selbst Geige. Außerdem sangen wir, auf alle Stimmen verteilt, im Kirchenchor unseres Vaters. Bis zu sechs mal pro Advent spielten mein einer Bruder und ich beim Weihnachtsoratorium mit. Noch heute kann ich die ersten drei Teile im Schlaf. Auch zu Hause wurde viel musiziert. An Heilig­abend las einer das Lukas-Evangelium vor und an bestimmten Stellen haben wir als Familie zusammen die Choräle aus dem Weihnachtsoratorium gesungen.

Eines Ihrer Ziele ist, die Kirche wieder stärker in den Blickpunkt zu rücken und missionarisch zu wirken. Wie wollen Sie Skeptiker und Fernstehende erreichen?

Weiss: Ich halte die Arbeit im Kindergarten und den Religionsunterricht an den Schulen für besonders wichtig. Kinder lassen sich in ihrer Erlebniswelt faszinieren und reagieren meistens positiv, wenn man ihnen von den Hintergründen des Glaubens erzählt. Das überträgt sich auch auf die Eltern. Allerdings müssen die Pfarrer mehr Schwerpunkte in ihrer Arbeit setzen, um solche Arbeit gut zu machen. Der Pfarrer, der von den Kasualien bis zur Altenarbeit alles macht, arbeitet immer an der Untergrenze zum Scheitern. In der Kirchenleitung müssen wir überlegen, wie wir es hinkriegen, dass der Pfarrersberuf weiterhin zu bewältigen ist und die Leute dabei fröhlich und gesund bleiben.

Die Diasporasituation kennen Sie ja bereits aus München. In Regensburg, dem flächengrößten Kirchenkreis Bayerns mit gerade mal 300000 evangelischen Christen, ist die Lage noch zugespitzter. Wie kann Kirche dort Profil zeigen?

Weiss: Ich bringe dafür kein vorgefertigtes Konzept mit - an einem konkreten Profil will ich mit den Dekanen im Kirchenkreis Regensburg arbeiten. Aber ich habe ein paar Beobachtungen gemacht: So gibt es trotz der Diasporasituation evangelische Bildungseinrichtungen und auch an den Universitäten ein deutliches evangelisches Engagement. Das muss man unterstützen und den Lutheranern so eine kulturelle und kommunikative Heimat geben. Außerdem muss man prüfen, ob die Nachbarschaftsarbeit in der Euregio mit Tschechien vertieft werden kann. In der Fläche, wo evangelische Gemeinden oft einer katholischen Übermacht von 88 Prozent gegenüberstehen, können Besuche vor Ort die Leute ermutigen. Und schließlich dürfen wir nicht vergessen, auch unsere klassischen evangelischen Regionen in Sulzbach, bei Neumarkt oder in Regensburg zu pflegen.

 

Das Interview führte Susanne Petersen.