Die Personalakte auf Papier und das Aktenwägelchen in den Ämtern sind in der bayerischen Landeskirche bald passe. Denn mit einer umfassenden Reform stellt die Kirche ihre Verwaltung auf Digitalisierung um. Oberkirchenrat Nikolaus Blum erläutert im Interview die Vorteile und Probleme dieses Mammutprojekts, vom dem 5.000 Rechner und 13.000 Nutzer betroffen sind, und die Bedeutung der Verwaltungsreform für die inhaltliche Arbeit der Kirche. Außerdem benennt der Leiter des Landeskirchenamts die finanziellen Auswirkungen der Corona-Krise.

In den letzten Monaten haben Sie nicht nur als Leiter des Landeskirchenamtes die Digitalisierung in der Kirche vorangebracht, sondern waren als kommissarischer Finanzchef auch für den kirchlichen Haushalt zuständig. Haben Sie wegen Corona Ihrem Nachfolger tiefrote Zahlen hinterlassen?

Nikolaus Blum: In der Tat schreiben wir derzeit als Landeskirche unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten rote Zahlen. Wir müssen für 2020 ein negatives Jahresergebnis ausweisen. Der bilanzielle Fehlbetrag hat sich weiter erhöht. Das Jahresergebnis 2020 mit minus 66 Millionen Euro ist durch Corona verursacht. Erfreulicherweise hat uns die Auswirkung der Pandemie finanziell aber nicht so schlimm getroffen wie ursprünglich befürchtet. Statt der erwarteten 13 bis 14 Prozent sind die Kirchensteuereinnahmen "nur" um knapp zehn Prozent eingebrochen, was allerdings in absoluten Zahlen Mindereinahmen von 73 Millionen Euro ausmacht, also einen durchaus nennenswerten Betrag. Hinzu kommt, dass wir 28 Millionen Euro in einen außerplanmäßigen Corona-Hilfsfonds gesteckt haben, der notleidende kirchliche und diakonische Einrichtungen unterstützt. Das Defizit in 2020 hält sich also in Grenzen, weil wir im laufenden Haushalt sehr sparsam gewirtschaftet haben und sogar die herabgesetzten Soll-Ansätze nicht ganz ausgeschöpft haben.

Mit welcher Entwicklung rechnen Sie?

Blum: Trotz aller notwendigen Einsparungen stehen wir glücklicherweise noch nicht mit dem Rücken zur Wand. Wir sind als Kirche noch handlungsfähig. Das kurzfristige Ziel ist, den zu erwartenden Fehlbetrag für 2021 gering zu halten und auf alle Fälle für das Jahr 2022 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Entscheidend wird aber sein, dass wir die noch vorhandenen Handlungsspielräume nutzen, um die notwendigen Erneuerungen voranzutreiben. Die Zukunftsfragen, die im PuK-Prozess aufgeworfen wurden, sind aktueller als jemals zuvor. Mit der PuK-Strategie sind die Schwerpunkte kirchlicher Arbeit für die Zukunft gesetzt. Sie mit den vorhandenen Mitteln zu realisieren, ist die große Aufgabe. Diese Schwerpunktsetzung wird nicht ohne organisatorische Veränderungen und ohne Einschnitte möglich sein.

Was ist darunter konkret zu verstehen?

Blum: Die Kernaufgaben der Kirche sind sehr personalintensiv, insbesondere Verkündigung, Unterricht und Seelsorge. Deshalb sind große Anteile des kirchlichen Budgets im Personalbereich gebunden. Einsparungen sind nur möglich in den flexiblen Bereichen, beispielsweise bei den Zuwendungen für Einrichtungen und Werke innerhalb der Landeskirche. Kürzungen lassen sich aber auch dort nicht beliebig fortsetzen. Irgendwann kommt der Punkt, an dem sich die Frage nach strukturellen Änderungen stellt. Vereinfacht gesagt könnte es besser sein, nur noch zwei Einrichtungen zu haben, die lebensfähig sind und kraftvoll nach außen wirken, als drei oder vier, die alle zu wenig Luft zum Atmen haben und kaum über die Runden kommen. Es müssen in den nächsten Jahren Prioritäten gesetzt werden. Sachkosten und Zuschüsse stehen dabei im Vordergrund, aber auch Personalkosten müssen angeschaut werden.

Ist das aber nicht ein zwiespältiges Signal, auf der einen Seite macht der Kirche das Personal als der größte Kostenfaktor Probleme, auf der anderen Seite wird ein Nachwuchsmangel beklagt.

Blum: In der Tat bewegt uns sehr intensiv die Frage, wie wir weiterhin qualifizierte Menschen für den Verkündigungsberuf finden. Der theologische Nachwuchs ist dünn gesät, dazu kommt noch ein großer Aderlass, wenn ab 2025 die starken Jahrgänge der Baby-Boomer in den Ruhestand gehen. Personalkosteneinsparungen dürfen nicht zu Lasten der Nachwuchsförderung gehen. In der Verwaltung und IT erlebe ich allerdings das Problem, dass wir auf dem freien Markt durchaus Kräfte bekommen, diese aber nicht lange halten können. Wir haben beim Nachwuchs in Verwaltungsfunktionen wie Finanzen, IT oder auch Personal eine hohe Fluktuation.

Woran liegt das?

Blum: Auch in Verwaltungsberufen suchen viele Menschen eine sinnvolle Tätigkeit, sind an Themen und Inhalten interessiert und wollen einen Beitrag für eine bessere Welt leisten. In ihrem Berufsalltag stoßen sie dann aber auf bürokratische Strukturen, ein Netzwerk von Regelungen und Kontrollen sowie unflexible Abläufe. Überspitzt formuliert stehen nicht die Inhalte der Arbeit im Vordergrund, sondern die Erfüllung von formalen Vorgaben. Solche Rahmenbedingungen führen dazu, dass gerade engagierte und motivierte Verwaltungskräfte sich schnell aus dem kirchlichen Dienst verabschieden. Wir brauchen deshalb einen Wechsel hin zu einer Kultur und einem Arbeitsklima, das ermutigt, das unorthodoxe, kreative Lösungen fördert und auch mal Fehler toleriert, die bei engagierter Arbeit immer auftreten können.

Entlastung für die kirchlichen Mitarbeiter in den verschiedensten Bereichen soll die Digitalisierungs-Offensive bringen. Welche Erwartungen haben Sie dabei, was ist das Ziel?

Blum: Um die Bedeutung der Digitalisierung für die Landeskirche zu erahnen, muss man sich die Ausgangslage vor Augen führen. Viele Vorgänge werden noch mit Papier und Stift abgearbeitet. Man sieht ja, dass Akten mit dem Wägelchen in den Ämtern hin- und hergefahren werden. Das ist die Realität. Die Arbeitsabläufe können noch nicht digital abgebildet und durchlaufen werden. In der IT-Welt der ELKB gibt es viele unterschiedliche Systeme, auch viele "stand alone"-Lösungen, die nicht kompatibel mit anderen Anwendungen sind. Neben den Schwierigkeiten der Kommunikation verursachen diese vielen Anwendungen einen hohen Betreuungsaufwand und hohe IT-Kosten. Es ist also eine absolute Notwendigkeit, eine geordnete und standardisierte Systemlandschaft zu schaffen, die als Plattform für standardisierte Abläufe in allen Bereichen fungieren kann.

Klingt nach einer Mammutaufgabe.

Blum: Das ist es auch! Denn über die gemeinsame Systemplattform müssen die unterschiedlichsten Anwendungen laufen, zum Beispiel der Mailverkehr, Finanzvorgänge, Personalvorgänge, Bauvorhaben, Austausch und Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen, um nur einige Beispiele zu nennen. Die ELKB hat über 5.000 Rechner im Einsatz, mehr als 13.000 Nutzer sind in das ELKB-Netz eingebunden. Für eine gute Betreuung sind cloud-basierte Systeme unabdingbar. Es liegt auf der Hand, dass bei den vielen personenbezogenen Daten auch der Datenschutz eine große Rolle spielt. Als Durchbruch sehe ich, dass wir uns nach sorgfältigen Vorarbeiten im Finanzwesen auf die SAP Software S4 HANA geeinigt haben, die in der gesamten ELKB eingeführt wird. Für das Personalwesen soll ebenso für die gesamte ELKB das Programm KIDICAP eingeführt werden. Mit der Einführung werden dann auch die elektronische Personalakte und einheitliche Arbeitsabläufe verbunden sein. Diese Entscheidungen sind mit vielen Menschen aus unterschiedlichen Bereichen der ELKB vorbereitet und getroffen worden. Die breite Beteiligung trägt nach meiner Überzeugung ganz wesentlich zur Akzeptanz bei.

Sind die angestrebten Vorteile all dieser Mühe wert?

Blum: Das ist überhaupt keine Frage. Zunächst einmal werden die Verwaltungsvorgänge dadurch vereinfacht, standardisiert, effizient, transparent, schneller und sind elektronisch dokumentiert. Die relevanten Dokumente für einen bestimmten Vorgang sind in der elektronischen Akte für alle auffindbar. Informationen können elektronisch generiert werden und müssen nicht mehr händisch durch Aktenauswertungen zusammengetragen werden. Die Digitalisierung geht jedoch weit über den Verwaltungsbereich hinaus. Die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie digitale Formate, etwa gestreamte Gottesdienste, Online-Veranstaltungen oder Angebote im Netz für spezielle Zielgruppen die Verkündigung und die kirchliche Arbeit bereichern. Immer mehr Menschen kommunizieren digital und erwarten das auch von ihrer Kirche. Nicht zu vergessen, dass die Digitalisierung auch zu einem enormen Innovationsschub und neuer Kreativität geführt hat. Mit Unterstützung der Landessynode haben wir einen Fördermittelfonds für neue digitale Projekte eingerichtet, ausgestattet mit fünf Millionen Euro. Inzwischen sind über 150 Anträge eingereicht worden. Die geförderten Projekte sind auf der Homepage elkb-digital.de verzeichnet. Es sind tolle und innovative Vorhaben von jungen Menschen mit dabei, die Kirche und Diakonie ein neues Gesicht verleihen. Mir fällt zum Beispiel das diakonische Projekt "Medienmobil" in Schweinfurt ein, bei dem älteren Menschen geholfen wird, die keine digitale Anbindung haben, zum Beispiel bei der Anmeldung für Impftermine.

Die Einführung und Betreuung digitaler Strukturen braucht auch Organisation und Leitung.

Blum: Wir tragen der Bedeutung Rechnung, indem wir einen eigenen Querschnittsbereich "ELKB-IT" schaffen. An der Spitze wird ein CIO (Chief Information Officer) für die gesamte Landeskirche stehen, den wir gerade suchen. Denn diese Funktion benötigt Sichtbarkeit und Status. Die ELKB-IT hat die Aufgabe, auf Augenhöhe mit den Fachabteilungen nach den jeweils besten IT-Lösungen zu suchen, übergreifende digitale Prozesse zu planen und zu realisieren und eine funktionsfähige Systemlandschaft zur Verfügung zu stellen. Sie muss in der Lage sein, in der Breite der Landeskirche Standards zu setzen.

Wird es durch die Digitalisierung auch zur Freisetzung von Mitarbeitenden kommen, also doch ein Sparmodell?

Blum: Das ist nicht das Ziel der Digitalisierung. Ohne Frage hat sie aber, wie alle technischen Innovationen, Folgen für die Arbeitswelt. Es wird zu einer Weiterentwicklung und Verschiebung der Qualifikationsanforderungen kommen. Denn einfachere Tätigkeiten, etwa in Poststellen, werden weniger werden und eines Tages entfallen. Dafür werden dann zwangsläufig mehr Kapazitäten für andere, höherwertige Aufgaben benötigt. Mit der IT wachsen zum Beispiel die Anforderungen an den Datenschutz, die IT-Sicherheit, die Betreuung und die Schulung der Mitarbeitenden. Weiterhin werden vermutlich bestehende Doppelstrukturen wegfallen, weil Vorgänge gebündelt, ortsunabhängig und schneller bearbeitet werden können. Freisetzungen und Kündigungen wird es wegen der Digitalisierung nicht geben. Die Veränderungen können über die Altersabgänge und die Fluktuation in den nächsten Jahren aufgefangen werden. Alle Mitarbeitenden werden wir mit Schulungs- und Weiterbildungsangeboten bei der Weiterentwicklung ihrer beruflichen Tätigkeit begleiten. Einzelne Digitalisierungsprojekte sollen allerdings schon auf längere Sicht zu Einsparungen führen. Vom Projekt KIDICAP erwarten wir langfristig Kostensenkungen im zweistelligen Millionenbereich. Diese Mittel sollen dann für die Schwerpunkte der kirchlichen Arbeit eingesetzt werden, die in der PuK-Strategie beschrieben sind.

Diesen Reformprozess PuK, mit dem die Kirche die Menschen wieder neu in ihren jeweiligen Lebenssituationen erreichen will, haben Sie einmal als großen Magneten bezeichnet, dem sich alle weiteren Reformvorhaben wie Metallspäne zuordnen. Inzwischen scheint dieser Magnet jedoch viel von seiner Anziehungskraft eingebüßt zu haben.

Blum: Diesen Eindruck teile ich nicht! Er entsteht möglicherweise dadurch, dass PuK nicht mehr so häufig als isoliertes Thema in Gremien, in den Dekanaten oder den Kirchenvorständen aufgerufen wird. In vielen Bereichen sind wir mit den PuK-Themen schon mitten in der Umsetzung. Die Leitsätze von PuK sind zum Bestandteil der täglichen Arbeit geworden. Und auch die größeren Prozesse, wie etwa die Landesstellenplanung und die Digitalisierung der Verwaltung, orientieren sich an den PuK-Zielen. Sie sind wie Metallspäne in einem Magnetfeld auf den Magneten PuK ausgerichtet.