Seit mittlerweile 100 Jahren singt der Augsburger Madrigalchor so ziemlich alles - "nur selten Madrigale", sagen zwei, die es seit Jahrzehnten wissen müssen. Claudia Meyer ist seit 30, Edith Hill sogar seit 42 Jahren mit dabei im eng mit der Augsburger evangelischen Stadtkirche St. Anna verbundenen Chor, wo am 22. Oktober mit der Aufführung von Händels "Messias" ein Jubiläumskonzert stattfindet.

Erstes Konzert im November 1922

Einen "übergemeindlichen Chor schaffen" - das sollte die Aufgabe von Siegfried Choinanus sein, die dem Gesangslehrer und Leiter des Kirchenchors von St. Anna im Jahr 1919 von der Gesamtkirchenverwaltung übertragen worden war. Drei Jahre später war es soweit. Auf einen Aufruf im Gemeindeblatt, nach dem sich Sängerinnen und Sänger "zur Gründung eines ständigen A-capella-Chores für Aufführung älterer Madrigale und protestantischer Kirchenmusik" melden sollten, kamen augenscheinlich genügend Stimmen zusammen, um am 5. November 1922 erstmals bei einem Konzert in der Barfüßerkirche aufzutreten.

Claudia Meyer hat solche und zahlreiche andere Zeugnisse aus 100 Jahre gesammelt. Die ehemalige Leiterin der Musikschule im Annahof und begeisterte Sängerin hat eine kleine Ausstellung rund um das Jubiläum des Chores gestaltet, die zusätzlich zum Konzert gezeigt wird:

"Leider haben wir kaum Zeugnisse aus den Anfangsjahren, dafür aber Plakate, Programmhefte, Fotos und vor allem Aufnahmen aus den vergangenen Jahrzehnten."

Und davon gibt es eine ganze Menge. Rund 70 Konzertmitschnitte verzeichnet die Liste, die Edith Hill von Aufführungen seit 1994 notiert hat. "Wir haben glücklicherweise ein Team von Freiwilligen, die das Know-how und das Equipment besitzen", erklärt die 63-Jährige, die 1980 erstmals zu einer Probe des Chores im Augustanasaal kam und seitdem treu geblieben ist.

"Obwohl das erste Mal furchtbar war", erzählt sie mit einem Augenzwinkern. Denn schon unter dem damaligen Chorleiter Friedrich Städtler herrschte ein hoher Anspruch und eiserne Disziplin. "Noten raus, los geht’s, und dann knallhart durch", erinnert sie sich an das erste gemeinsame Singen.

Jeden Donnerstag ist Probe

Geändert hat sich am Anspruch des Chores seither nicht viel: Die zu besten Zeiten rund 90 Sängerinnen und Sänger - ein Viertel etwa sind Männer - treffen sich jeden Donnerstag um 19.45 Uhr zur Probe. Dann wird mit dem Stimmbildner etwa eine Viertelstunde eingesungen, bis der Leiter dann übernimmt und bis 22 Uhr mit höchstens einer kurzen Toilettenpause durchsingen lässt. Am Pult steht traditionell der Dekanatskantor, gehört die Leitung des Madrigalchors doch zu dessen Aufgaben. Nach Städtler, der auf Karl Wünsch gefolgt war, hatte diese neun Jahre lang Friedrich Fröschle und dann für stolze 29 Jahre Michael Nonnenmacher inne.

Unter ihm begann der Chor auch, sich weitaus breiterem Choralwerk zu widmen. Zu den "Klassikern" wie Johann Sebastian Bachs Messen und Oratorien, Mozarts Requiem oder Brahms' deutsches Requiem gesellten sich dann auch Stücke zeitgenössischer Komponisten wie Benjamin Britten oder Igor Strawinsky. Mit Naji Hakims "Augsburger Sinfonie" (2011), Patrik Schäfers Kirchenoper (2017) oder Martin Torps Johannespassion (2019) wurde dann auch Musik uraufgeführt, die extra für den Madrigalchor geschrieben wurde.

Madrigale singen sie nur selten

Das Ensemble orientiert sich bei seinen Auftritten am liturgischen Kalender, bringt an den hohen kirchlichen Feiertagen geistliche Werke zu Gehör und nimmt sich zwischendurch größere Chorwerke nebst kleineren Einsätzen bei besonderen Anlässen vor. Madrigale, also weltliche Vokalstücke, wie sie in der Renaissance vor allem in Italien entstanden, liegen dabei nur selten auf dem Notenpult, auch wenn sie dem Chor den Namen gaben.

"Wir singen in der Regel anspruchsvolle Literatur. Wer also mitsingt, nimmt sein Hobby recht ernst", sagen Hill und Meyer. Viele sind schon seit Jahrzehnten dabei. Nachwuchs sei immer willkommen. Gerade in den von Corona geprägten vergangenen zwei Jahren hätten sich die Reihen ausgedünnt. Claudia Meyer und Edith Hill machen aber auf jeden Fall weiter.

"Wenn wir nicht singen können, fehlt uns etwas."