Schrottästhetik, Sakralarchitektur und soziales Bauen: In der Ausstellung "Neue Nachbar*innen" präsentiert das Architekturmuseum der Technischen Universität München (TUM) seit Donnerstag bedeutende Neuzugänge seines Archivs. Dazu zählen unter anderem die Pläne der 1960 eingeweihten evangelischen Versöhnungskirche in Geretsried und der Moschee in Penzberg.

Das Architekturmuseum hat seit 2002 eigene Präsentationsräume in der Pinakothek der Moderne. Gegründet wurde es bereits 1868 als Lehrsammlung für die Architekturausbildung an der Neuen Polytechnischen Schule, Vorläuferin der heutigen TUM.

Einblicke für Besucher*innen

Seit das Archiv 2014 erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, seien weitere Schwerpunkte gesetzt worden, sagte Museumsdirektor Andres Lepik. Landschaftsarchitektur ist neu im Kanon. Interviews mit Architekten und Filmaufnahmen von Baumaßnahmen sollen den Besucher*innen Einblicke geben, die man über schriftliche Quellen allein nicht bekommt.

Dabei schöpft das Museum aus dem Vollen, denn es übernimmt nicht nur Nachlässe von Architekten, sondern bereits Pläne und Modelle zu deren Lebzeiten. Der Vorteil: Man kann mit den Kreativen noch über deren Ideen sprechen und so mehr Erkenntnisse gewinnen. Die Objekte sollen, sagt Lepik, Bachelor- und Masterarbeiten sowie Promotionen ermöglichen. Trotz der Kompaktregale und einem neuen Keller in der TUM sind die Kisten voll.

Mit Zeichnungen auf Millimeterpapier und vergilbten Streichholzmodellen hat das Architekturmuseum von heute nicht mehr viel gemein. "Die letzten Dinosaurier", nennt sie der Chef und verweist auf die Vorreiterrolle seines Hauses beim Aufbau einer digitalen Sammlung. Man sei "weiter als die anderen, aber noch nicht am Ziel". Künftige Archivschauen verheißen demzufolge auch neue Seherfahrungen.

Auf jedem Tisch eine Eisbergspitze

Bei den "Neuen Nachbar*innen" jedoch versprechen die Ausstellungsinseln laut Lepik "auf jedem Tisch eine Eisbergspitze" der Architektur. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Barbara Wolf präsentiert zur Eröffnung ausgewählte Exponate wie die Industriebrache im Ruhrgebiet, die in einen Landschaftspark umgewandelt wurde. Von Fachleuten zunächst als "Schrottästhetik" verschmäht, hatte die hohe Akzeptanz in der Bevölkerung später zu einem anderen Blick auf das Projekt beigetragen. Ein anderes Modell zeigt einen Entwurf für den Münchner Marienhof - die urbane Brache musste von 1945 bis zum aktuellen Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke auf ihre Neugestaltung warten.

Sakralarchitektur ist einer der nächsten Eisberge. Wolf erläutert das Modell der evangelischen Kirche in Geretsried, das der 2019 verstorbene Architekt Franz Lichtblau entworfen hat. Das sei nicht nur wegen der siebeneckigen Form besonders, sondern auch wegen eines wabenförmigen Alugestells, das mit Zedernholzschindeln verkleidet worden ist. Neu im Archiv, in dem vonseiten der Religionen bislang nur Kirchen und Synagogen vertreten waren, sind die Pläne der Penzberger Moschee. Das muslimische Gebetszentrum wird in der Sektion "Sozial engagierte Architektur" gezeigt, da der Aspekt kultureller Integration und Vermittlung betont werden soll.

Bauen im Bestand

Die soziale Dimension von Architektur illustrieren Modelle aus München: Genossenschaftliches Wohnen und die Studentenwohnanlage im Olympiadorf sind dabei, ebenso ein Machbarkeitsbeweis jüngeren Datums: Von der Planung bis zum Bezug der Wohnanlage am Dantebad sind nur zwölf Monate vergangen. Für "Bauen im Bestand" ist der Münchner Hauptbahnhof ein aktuelles Beispiel. Sie alle haben ihr Inselchen bekommen und steuern ihren Teil zum Ausstellungsziel bei: die Sammlung als ein "dynamisches Reservoir des Wissens" zu erleben, aus dem die Besucher Erkenntnisse zu ihrer gebauten Umwelt schöpfen können.