Auch die osteuropäischen Kirchen reagieren auf den gesellschaftlichen Wandel: "Church planting" heißt ein Projekt der Evangelisch-Lutherischen Kirche (ELKU) in Ungarn. Deren Ökumene-Beauftragte Klara Tarr Cselovszky aus Budapest erläutert im Gespräch mit dem Sonntagsblatt, wie dies abläuft. Seit 1992 ist die ELKU Partnerkirche der bayerischen evangelischen Landeskirche. Eine Delegation von 70 Protestanten aus Ungarn kam zum bayernweiten Auftakt der Fastenaktion im niederbayerischen Ortenburg. Sie steht unter dem Motto "Füreinander einstehen in Europa".

 

Frau Tarr, auch die lutherische Kirche in Ungarn hat mit dem demografischen Wandel zu kämpfen. Immer mehr Menschen ziehen in die Ballungsgebiete. Wie reagiert die ungarische Kirche auf solche Herausforderungen?

Klara Tarr: Die Menschen ziehen gern dorthin, wo das Leben bequemer ist und wo sie eine Arbeitsstelle haben. Viele Dörfer werden dadurch entvölkert. Die Kirche versucht, den Menschen zu folgen und dort neue Kirchengemeinden ins Leben zu rufen, wo die Menschen sind, in den urbanen Ballungsräumen. Die ELKU hat deshalb ein neues Programm, das "Gemeindepflanzungsprogramm" eingeführt, das genau dieses Ziel hat. Dieses Programm wurde mit Unterstützung der bayerischen Landeskirche angefangen, also Bayern hat den Startzuschuss gegeben. Nach dem ersten Jahr werden diese Programme nachhaltig aus eigenen Quellen der Kirche finanziert. Der Staat hat aber auch die Dörfer im Blick und das ungarische Dorf-Programm ins Leben gerufen, das gerade die kleinen Dörfer mit bedeutenden finanziellen Mitteln unterstützt.

 

Inwiefern bietet die lutherische Kirche Ungarns auch Schutz gegen die nationalistische Politik von Orbáns Fidesz-Partei?

Tarr: Die Frage enthält ein Vor-urteil gegenüber der Politik in Ungarn, die nicht schwarz-weiß beurteilt werden kann. Die Politik in Ost-Mittel-Europa, nicht nur in Ungarn, hat auch das Ziel eines gemeinsamen Europa vor sich; aber der Weg, wie man das verwirklichen möchte, unterscheidet sich an manchen Stellen von dem Weg, den West-Europa gewählt hat. Welcher Weg sich als gut erweisen wird, entscheidet die kommende Generation. Die Kirchen haben aber die wichtige Rolle, immer ein Forum des Austauschs zwischen Ost und West zu bieten, damit die Kommunikation vorhanden bleibt. Denn nur so können Vereinbarungen geschlossen oder auch Kompromisse gefunden werden. Denn auf beiden Seiten gibt es Europäer: deutsche und ungarische, holländische und tschechische, französische oder slowakische Europäer.

 

Welche Strategien verfolgt die lutherische Kirche, um gegen Armut und andere gesellschaftliche Missstände vorzugehen?

Tarr: Die evangelische Kirche in Ungarn versucht das auf unterschiedliche Weise: Einerseits tritt sie über ihre diakonischen Institutionen gegen die Armut in der Gesellschaft auf. Das ist sehr ähnlich wie in Deutschland. Es gibt Obdachlosenheime, Mutterhäuser, wo Mütter mit Kindern Obhut finden können. Aber auch die Roma-Bevölkerung wird von der Kirche angesprochen: Es gibt eine Roma-Missionsarbeit, die Roma und Nicht-Roma zusammenbringt.

Einen anderen Weg beschreiten wir mit dem Roma-College, das ökumenisch von den Kirchen getragen, aber vom Staat finanziert wird. Den jungen Menschen mit Mittelschulabschluss wird ein Stipendium angeboten, das ihnen das Studium an einer Hochschule oder Universität ermöglicht. Sie wohnen in kirchlichen Wohnheimen zusammen mit anderen Studierenden. Das ist ein sehr erfolgreiches Projekt, das zum Ziel hat, einen gebildeten Intellektuellenkreis von jungen Menschen mit Roma-Hintergrund zu erreichen. Das ist ein langer Weg. Aber wir sind stolz auf unsere gebildeten jungen Menschen mit Roma-Hintergrund und setzen auf ihre integrative Kraft.

INFO

Die osteuropäische Partnerkirche Ungarn steht heuer im Zentrum der Fastenaktion der evangelischen Landeskirche. Etwa drei Prozent der Bevölkerung in Ungarn gehören der lutherischen Kirche an. Täglich besuchen dort 17 000 Kinder die kirchlichen Schulen. Ältere Menschen, Menschen in Not und Geflüchtete werden von der Diakonie betreut.

Mit der Fastenaktion soll diese Arbeit gestärkt werden. Konkret unterstützt wird eine Jugendmusikschule in Fot, wo ein mit Asbest verseuchtes Dach saniert werden muss. In einem integrativen Gartenbauprojekt werden Menschen mit Behinderung Gemüse anbauen und verkaufen. Schließlich soll eine vom Pilz angegriffene Holzkirche erneuert werden, sodass die Gemeinde im Zentrum Bethel in Piliscsaba auf dem Land wieder eine Kirche für Gemeindeleben und Gottesdienste hat.

Diese Projekte stehen exemplarisch für den Willen, den Dialog in Europa zu stärken und dort zu helfen, wo Not herrscht, erklärte Oberkirchenrat Michael Martin: "Es ist heute wichtiger denn je, als Kirchen in Europa aufeinander zuzugehen und füreinander einzustehen." Mit der Fastenaktion könnten Christen in Bayern und Osteuropa einen Beitrag zu gelingender europäischer Zusammenarbeit leisten.