Das evangelische Gesangbuch war für die Entwicklung des evangelischen Glaubens wichtiger als die Bibel«, sagt Karl Martz. Eine steile These, die der 77-Jährige da aufstellt. Doch der leidenschaftliche Lutheraner und Sammler von Gesangbüchern untermauert seinen Satz mit der Ausstellung in seiner Heimatgemeinde der Erlöserkirche in Fürth-Dambach, bei der er rund 100 Exemplare aus zwei Jahrhunderten (etwa ein Drittel seines Besitzes) zeigt und den Blick auf das Wesentliche lenkt.
Das ist in diesem Fall nicht nur innen, sondern eben auch außen: Kunstvolle Perlmutt-Intarsien, filigrane Beschläge aus kostbaren Metallen, Florales und Farbenfrohes, dagegen wieder architektonisch strenge Linien und Strukturen, wie sie einst per Handarbeit auf den Einband eines Gesangbuchs kamen. Da hat sich jemand was dabei gedacht und intensiv gearbeitet. Und damit den Wert dieses Büchleins unterstrichen, das weitaus mehr als eine Lieder- und Gebets-Sammlung war.
Der Besucher erfährt auf Text-Tafeln, dass Luther die Bedeutung des Lieds für die Festigung einer Gemeinschaft schnell erkannte. 1524 wurde in Nürnberg das erste Gesangbuch mit acht Liedern gedruckt, von denen vier aus Luthers Feder stammten. Gemäß seiner Überzeugung des Bildungsauftrags war es ab circa 1750 üblich, dass jeder evangelische Haushalt ein Gesangbuch besitzt. »Damals wurde noch viel zu Hause gesungen, im Gesangbuch gelesen und daraus gebetet. Es war zugleich ein Glaubensbuch«, sagt Martz.
Kostbar gestaltete Büchlein, die viel über ihre Besitzer verraten
Was lieb und teuer ist, erfährt bekanntlich Aufwertung und Pflege. So gewann der Schmuck des Einbands im Lauf des 19. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung. Gerade im Historismus entstanden in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wahre Prachtbände, an denen sich nicht nur Buchbinder, sondern Künstler verewigten.
Entstanden sind Büchlein, über deren Gestaltung man heute noch staunen kann und die vieles über die Epoche ihrer Entstehung und das Verhältnis zu ihrem Besitzer vermitteln können.
»Wer etwas auf sich hielt, hatte ein solches, individuelles Exemplar mit extra angefertigtem Einband zu Hause und nahm ein einfaches, schmuckloses zum Gebrauch mit in die Kirche«, erklärt Martz, der seine Schau in Stilepochen wie Historismus, Jugendstil oder Biedermeier unterteilt hat und dafür zum Erfinder wurde: Die 16 Schaukästen aus Pappelholz, die in den Räumen des Gemeindehauses verteilt sind, kommen keinesfalls von der Stange, sondern sind Sonderanfertigungen für diese Ausstellung.
Eine Sorgfalt und Liebe zum Projekt, wie sie zum Gegenstand passt. Und die bei Karl Martz gewachsen ist, nachdem er vor etwa 30 Jahren sein erstes Gesangbuch »zufällig aus rein ästhetischem Interesse« auf dem Nürnberger Trempelmarkt erstanden hat und seitdem mit wachsender Begeisterung sammelt.
Die Ausstellung ist noch bis Ende April 2017 im Gemeindehaus der Erlöserkirche Fürth-Dambach, Zirndorfer Straße 51, zu sehen. Kontakt im Pfarramt: (09 11) 7 20 015.