Der alte Schrank im Gästezimmer beispielsweise, vor dem sich Oma seit jeher gruselt. Die Handtücher mit den unpassenden Initialen, die schon immer ungenutzt im Schrank lagen. Das Porzellan, das nie verwendet wird - ebenso die kleinen Silberlöffel in der Schublade.
All diese Dinge haben eine dunkle Geschichte. Sie stammen aus jüdischen Haushalten und fanden in der NS-Zeit auf verschiedene Art und Weise ihren Weg in nichtjüdische Familien.
Seit Jahren forscht Carolin Lange von der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern dazu. Bei Sprechstunden nimmt sie Erbstücke und Familiengeschichten unter die Lupe.
Die Enteignung der Juden
Dass die jüdischen Mitbürger von den Nazis enteignet und beinahe ihr ganzes Hab und Gut konfisziert wurde - das ist natürlich bekannt.
Nicht zuletzt auch durch die vielen Funde von NS-Raubkunst in der jüngsten Vergangenheit.
Die "Judenauktionen" vor allem ab Herbst 1941 aber sind weitestgehend aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden oder waren nie da.
Bei diesen Auktionen versteigerte der NS-Staat alles, was in den versiegelten Wohnungen deportierter Juden übriggeblieben war oder bei der Zwangsemigration von Nazi-Deutschland bei der Ausreise einbehalten wurde: von der Bettwäsche bis zur Kaffeekanne.
Der Verkauf jüdischen Eigentums
Bei den "arischen" Deutschen setzte oft ein "regelrechter Kaufrausch" ein, sagt Provenienzforscherin Lange: "Die Leute haben sich bei diesen Auktionen um die angebotenen Dinge fast geschlagen."
Dabei gab es dort längst nicht nur Wertvolles zu ersteigern. Auch gestopfte Socken und geflickte Unterhosen waren dabei - gekauft worden sei es von den Menschen trotzdem.
Unter anderem auch deshalb, weil ab Herbst 1941 viele Deutsche bereits ausgebombt waren und selbst das nötigste Hab und Gut weg war. "Die Leute wussten, was dort angeboten wurde. Sie wussten, dass sie dort enteignete Dinge kaufen", sagt Lange.
Weitergabe über Generationen
Der Expertin zufolge wurde dieses Wissen häufig von Generation zu Generation weitergegeben. "Bei mir standen schon Enkelkinder in den Sprechstunden, die genau wussten, dass sie einen historisch belasteten Gegenstand im Haushalt haben", sagt Lange.
So richtig ehrlich zu sich selbst sind die meisten Betroffenen allerdings nicht.
"Wir hören oftmals Sätze wie: 'Das hat die jüdische Nachbarin meiner Oma am Vorabend der Deportation schnell noch selbst gegeben.'" Das ist zum einen nicht nur sehr unwahrscheinlich, etwa bei Möbelstücken. Zum anderen war es damals auch verboten, Hab und Gut von Juden anzunehmen.
Die Einstellung der heutigen Eigentümer
Die meisten Gäste, die in die bislang zehn Münchner Sprechstunden gekommen sind, wollen "eine Mischung aus Therapie und Absolution".
Viele wollten einfach die Geschichte des Gegenstandes erzählen, für die sich Lange ja auch besonders interessiert - weil sie unter anderem an einem Buch über die private Rezeption des Holocaust schreibt.
"Viele wollen die Gegenstände behalten, obwohl sie belastet sind. Sie wollen aber auch, dass man ihnen sagt, dass das in Ordnung ist." Rechtlich sei es so: Privatpersonen dürfen diese Dinge behalten, alle Ansprüche sind verjährt. Die moralische Bewertung sei dann eben Privatsache.
Ansprechpartnerin Carolin Lange
Lange sammelt die Geschichten und Anekdoten zu den Gegenständen, sie bewertet nicht, wie jemand deren Eigentümer wurde.
"Aber ich bin gerne bereit, bei einer Rückgabe zu helfen", sagt Lange. Bislang sei es zwar noch in keinem der Fälle gelungen, die Erben der ursprünglichen Eigentümer zu finden - Expertin Lange hilft allerdings gerne dabei, Objekte beispielsweise an das "United States Holocaust Memorial" in Washington D.C. zu vermitteln.
Am 13. und 14. Oktober lädt Lange nun jeweils von 9 bis 12 sowie von 13 bis 17 Uhr zu Sprechstunden in das Museum jüdischer Geschichte und Kultur in Aschaffenburg ein.
"Sieben Kisten mit Jüdischem Material"
Die Projektleiterin der Provenienzforschung an der Landesstelle hat sich in den vergangenen Jahren schon als "Spürnase" einen Ruf erarbeitet:
Sie und ihre Kollegin Christine Bach waren es, die 2016 im Depot des Mainfränkischen Museums auf der Würzburger Festung Marienberg gut 150 jüdische Ritualgegenstände gefunden haben, die von den Nazis unrechtmäßig eingezogen wurden.
Diese "Sieben Kisten mit Jüdischem Material" wurden als ebenso betitelte und gut besuchte Ausstellung zuerst im Jüdischen Museum in München und danach im "Museum für Franken" - wie das Mainfränkische Museum heute heißt - gezeigt.
Wohnungsenteignungen zu NS-Zeiten
Durch die Berichte bei den Sprechstunden ist Lange übrigens noch auf einen ganz anderen Aspekt gestoßen: Nicht nur das Inventar aus den Wohnungen der deportierten Juden verwertete der NS-Staat, sondern auch deren Wohnungen selbst.
Sie wurden ausgebombten Deutschen angeboten - doch die wurden nicht selten nicht glücklich darin. "Viele entwickelten Putzzwänge oder wollten unbedingt dort wieder ausziehen und woanders hin", berichtet Lange. "Es war offensichtlich für einige doch belastend, in der Wohnung von Deportierten zu leben."