Psychologin Caroline Schöner-Sommer von "Blaufeuer Nürnberg" macht die Erfahrung, dass Selbsteingeständnis ein großes Thema ist. Sie berät zusammen mit drei weiteren Kolleginnen Erwerbstätige aus Mittelfranken in Stresssituationen. Im Unterschied zu anderen Hilfsangeboten ist beispielsweise eine Diagnose von Fachärzt*innen nicht notwendig.

Zu ihren Klient*innen zählt Schöner-Sommer beispielsweise einen Mitvierziger, der als Führungskraft durch seine Arbeitsbelastung plötzlich einen Tinnitus bekommt. Es findet sich auch eine Mitzwanzigerin, die neben ihrer Vollzeitstelle eine Fortbildung macht und zusätzlich einer "familiären Belastung" ausgesetzt ist. Es geht aber auch um Einsamkeit oder die Überlastung im Homeoffice mit gleichzeitiger Kinderbetreuung.

Falls nötig suchen die Experten das Gespräch mit dem Arbeitgeber 

"Wir helfen immer dann, wenn das persönliche Wohlbefinden deutlich beeinträchtigt ist", erklärt Schöner-Sommer. Das Ganze ist natürlich "vertraulich". Neben persönlichen, telefonischen oder videobasierten Beratungen hilft sie, individuelle Lösungen zu finden. Das können Gespräche mit dem Arbeitgeber sein, Hilfen bei Reha-Anträgen und Unterstützung bei der Suche nach Therapien. Hier sind Angebote schon vor der Corona-Pandemie oft nur mit monatelangen Wartezeiten zu finden.

Auch Blaufeuer-Psychologin Heike Kemter berichtet Ähnliches aus der Arbeit mit den Klienten. Häufig gehe es erst einmal darum, den "Blick für eigene Probleme zu schärfen". Dann müsse man häufig unterstützen, dass die Überlasteten auch tatsächlich etwas verändern wollen. 'Ich habe keine Zeit für Hilfe', habe ihr mal ein Mann geantwortet, als sie eine wöchentliche Therapiestunde vorgeschlagen hatte. Dabei wurde in den Blaufeuer-Sitzungen deutlich, dass die Person beruflich unter "Angst vor Druck und Zeitdruck" leide. Der Knoten konnte erst durchgeschlagen werden, als er im Betrieb einen Kollegen entdeckte, der ebenfalls kurz vor dem Burnout stand und von positiven Therapiesitzungen berichtete.

Ist die Pandemie ein Auslöser?

Wie viel Belastungen auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sind, können die Blaufeuer-Lotsen nicht sagen. Das Blaufeuer-Modellprojekt ist in Nürnberg sowie Berlin und Köln erst im vergangenen Jahr gestartet. Daher fehlen noch Vergleichszeiten zum Stress vor der Pandemie.

In Nürnberg haben im ersten Jahr bis September 2021 230 Menschen nach Hilfe angefragt. Rund 120 Menschen sind in dieser Zeit begleitet worden. Kempter vermutet, dass es auch mehr Klienten gewesen wären, wenn das Blaufeuer-Team noch größer wäre. Das kostenlose Blaufeuerangebot setzt auf niederschwelligen Zugang ohne weitere Anforderungen oder Bescheinigungen. Einzige Voraussetzung ist das Alter zwischen 18 und 64 Jahren sowie eine Erwerbstätigkeit.

Erschöpfungsgefühle sollen frühzeitig erkannt werden und durch passende Gespräche oder Präventionsangebote gelindert oder beseitigt werden, das ist das übergeordnete Ziel. Auf diese Weise werde auch langfristig einer drohenden Arbeitsunfähigkeit entgegengewirkt. "Der Zustrom in die Erwerbsminderungsrente ist groß", ergänzt Projektleiter Mario Kreß vom gemeinnützigen Berufsförderungswerk Nürnberg. Dort ist das Modellprojekt Blaufeuer angesiedelt.

Der Name "Blaufeuer" stammt aus der Schifffahrt 

Kreß hätte nicht mit der großen Nachfrage vom Start weg gerechnet. Indizien für den hohen Bedarf sind allerdings schon die Krankenstatistiken. Mittlerweile rangieren psychische Erkrankungen in der Häufigkeit nach Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems auf Platz zwei. Mit Blick auf die Dauer der Krankheitstage nimmt diese Diagnose bereits Platz eins ein. Kreß sieht diese Einschätzung auch durch die anderen beiden Modellprojekte in Berlin und Köln bestätigt, die von ähnlichen Erfahrungen berichten.

Blaufeuer ist übrigens ein Begriff aus der Schifffahrt. Wenn ein Kapitän Hilfe bei der Orientierung braucht, gibt er ein blaues Leuchtsignal - das Blaufeuer und ein Lotse kommt an Bord. Das passe gut zur Arbeit des Modellprojektes, sagt Schöner-Sommer. Der Kapitän bekomme zwar Hilfe von einem Lotsen, bleibe aber selbst in der Verantwortung.

Das Modellprojekt ist auf fünf Jahre angelegt und wird wissenschaftlich begleitet. Die Kosten trägt das Arbeits- und Sozialministerium über ein spezielles Bundesprogramm. Langfristig sollen über die bestehenden Angebote hinaus neue Maßnahmen identifiziert werden, um Menschen mit psychischen Belastungen besser zu versorgen. Kreß will das junge Angebot enger mit Unternehmen und anderen Hilfseinrichtungen vernetzen. Für ihn ist das oberste Gebot:

"Es geht uns um den einzelnen Menschen."