Der kda ist ja eine Schnittstelle. Sie haben es mit armen Menschen zu tun, mit Menschen, die anständig verdienen, mit Flüchtlingen, Jugendlichen, Menschen, die in Rente gehen. Müsste der kda nicht eine bedeutendere Rolle in der Landeskirche spielen?

Johannes Rehm: Sie deuten an, dass das hier keine langweilige Arbeit ist. Das kann ich bestätigen. Alle gesellschaftlichen Veränderungen schlagen hier auf. Und den Reiz dieser Arbeit hat immer ausgemacht, dass wir milieuübergreifend arbeiten. Das ist auch das, was mir ganz wichtig ist, dass man für Arbeitnehmer, die vielleicht nur eine einfache Ausbildung genossen haben, gesprächsbereit bleibt und im Kontakt bleibt mit Menschen, die eine sehr elaborierte Ausbildung haben. Es gelingt nicht jeden Tag gleich gut, aber das ist das Ziel.

Und von Ihrer Aufgabe her sollten Sie mit all denen auch über Gott sprechen …

Das ist, was uns unterscheidet von den anderen Verbänden in der Arbeitswelt, dass wir im Auftrag der Kirche unterwegs sind. Und diese Kirche lebt nicht aus sich selbst, sondern empfängt ihren Auftrag von woanders. Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass das unseren Gesprächspartnern sehr bewusst ist. Es gibt die Erwartung, dass wir von einer evangelischen Sozialethik herkommend unsere Fragen stellen und eben auch da, wo es angebracht ist, einen entsprechenden Akzent setzen.

Da meinen Sie jetzt auch die Gesprächspartner auf der anderen Seite, die Arbeitgeber.

Da meine ich jetzt alle Seiten. In meiner Zeit haben wir angefangen, uns sehr stark als Kompetenzzentrum Arbeit zu verstehen. Wir wollen im Gespräch sein mit der gewerkschaftlichen Seite, mit der Arbeitnehmerseite, aber auch mit dem Mittelstand, mit dem Handwerk, mit dem Gastgewerbe. Auch Veranstaltungs- und Gesprächsformate mit der Unternehmerseite bieten wir an und führen wir durch. Das ist ein wahnsinniger Spagat.

"Vermögenssteuer gab es zu Zeiten von Helmut Kohl. Also was ist da schlimm dran?"

Der kda formuliert immer wieder Forderungen an Politik und Gesellschaft: Zum Schutz des Sonntags, zum Mindestlohn, jetzt haben Sie sich für die Vier-Tage-Woche ausgesprochen. Wie wäre es denn mit einer Forderung nach einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer? Spielte da die Landeskirche mit?

Ich habe das 17 Jahre und einen Monat gemacht und bin noch nie angerufen worden, weil ich irgendeine Äußerung, die ich tun will, nicht tun darf. Und wenn Sie es hören wollen, ich halte die Vermögenssteuer in der jetzigen Situation für kein Tabu. Diejenigen, die sie zahlen würden, können das schultern. Vermögenssteuer gab es zu Zeiten von Helmut Kohl. Also was ist da schlimm dran?

Sie und ich müssten sie ja nicht zahlen.

Aber selbst wenn ich sie zahlen müsste, wäre es mir eine Freude, weil das dem sozialen Frieden zugutekommt. Gleichzeitig muss man natürlich sehen, dass die Wirtschaft nicht abgewürgt werden darf.

Im Namen Ihrer Dienststelle heißt es: Dienst in der Arbeitswelt. Wie stark sind Sie auch für die Arbeitslosen da?

Wenn man über Arbeit redet, muss man immer auch über Arbeitslosigkeit reden. Selbstverständlich wissen wir, dass wir jetzt im Augenblick in einer Phase relativer Vollbeschäftigung leben und eigentlich ein fürchterlicher Arbeitskräftemangel herrscht. Gleichzeitig können nicht alle Menschen im selben Maß davon profitieren.

Man kann sagen, die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist niedrig. Aber was heißt hier niedrig? Dem, den es betrifft, nutzt diese Einschätzung nichts. Mit unserer Aktion "1 + 1 - mit Arbeitslosen teilen" wenden wir uns einem Personenkreis zu, der sehr lange Zeit arbeitslos ist und auf normalem Wege wenig oder keine Chance hat, zu einem Arbeitsplatz zu kommen. Das Problem kann gesundheitlicher oder psychischer Art sein. Aber zum Menschsein gehört eben auch die Verletzlichkeit, die auch mich, die jeden Menschen schnell treffen kann.

Die Themen, die Sie beim kda behandeln mussten, sind nicht wenige. Firmenpleiten oder Fachkräftezuwanderungsgesetz sind nur zwei. Sind Sie in den letzten 17 Jahren in einem Hamsterrad gelaufen?

Die Jahre, die ich im Amt war, waren Zeiten von tiefgreifenden Veränderungen in der Arbeitswelt. Es war der Wechsel von der Industriearbeit zur Dienstleistungsgesellschaft spürbar. Dann gab es die Auseinandersetzungen um Quelle, die Schlecker-Krise und so weiter. Es gab Eruptionen und Veränderungen, die ungebremst auf den Rücken von arbeitenden Menschen ausgetragen worden sind.

Es ist tatsächlich so, dass für viele Arbeitnehmende, die zunächst ihre Arbeit verloren haben, auch neue Arbeitsplätze gefunden worden sind. Trotzdem sind dieser Schock und diese nicht selbst gesuchte Veränderung in ihren Auswirkungen auf den Menschen nicht zu unterschätzen. Es ist ein Unterschied, ob ich irgendwo kündige und weggehe, wenn es mein Plan ist oder wenn es einfach mit mir geschieht.

Jetzt stecken wir in den Umwälzungsprozessen in Richtung einer digitalisierten Arbeitswelt. Und auch da ist es wieder so, dass es Gewinner und Verlierer gibt: diejenigen, die stärker digital affin sind, und die, denen die Digitalität nicht so liegt. Die Entwicklung geht so schnell, dass die kulturelle Seite dieser Veränderungen des Arbeitens gar nicht mitbedacht wird.

Hat der kda bei der Geschwindigkeit der Veränderungen mithalten können?

Die Entwicklung, die wir miterlebt haben, war immer so schnell, wir mussten auf aktuelle Veränderungen reagieren. Es war wenig Zeit zum Durchatmen, um mit dem notwendigen Tiefgang zu reflektieren, was passiert. Es war eine Fahrt auf der Achterbahn der Arbeitswelt. Ganz leicht war dieses Amt, das ich jetzt weitergebe und das ich von anderen übernommen habe, aber in den 70 Jahren seines Bestehens nie.

Da ist immer eine Spannung zwischen einer Kirche, die schon zu einer gewissen Bürgerlichkeit neigt, und einer Arbeitswelt, die einfach nach anderen Gesichtspunkten funktioniert. Diese Interessengegensätze, die es in der Wirtschaft oder die es in der Gesellschaft gibt, die gibt es auch in der Kirche - überall, wo Menschen sind.

Haben Sie zum Abschied in Ihrer Predigt Ihrer Kirche noch etwas ins Stammbuch geschrieben?

Ich habe gesagt, dass ich den kda nicht für eine beliebige von Kassenlagen abhängige kirchliche Zusatzaufgabe halte, sondern für unverzichtbar im gelingenden gesellschaftlichen Miteinander. Natürlich wird alles schwieriger, und wir leiden unter steigenden Kirchenaustritten.

Aber deshalb dürfen wir uns gerade nicht aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Wir brauchen neben den Komm-Strukturen von Kirchengemeinden und ihren Angeboten dringend Dienste, die dahin gehen, wo die Menschen leben und arbeiten. Und wir leben nun mal in der Arbeitsgesellschaft.

Die ganzen Sozialversicherungssysteme, das Steuersystem, alles ist um die Arbeit herum gruppiert. Wenn man eine Kirche sein will, die nahe am Menschen ist, muss man im Grunde diese Veränderungen der Arbeitswelt irgendwo mitvollziehen. Es ist sehr wichtig, dass man da auch Maßstäbe christlicher sozialer Wirtschaftsethik einbringt.

"Die Kirchengemeinde kann nicht die einzige Form von Begegnung zwischen Kirche und den Menschen sein."

Soll die Kirche also auf eine solche Geh-Struktur setzen?

Die Kirchengemeinde kann nicht die einzige Form von Begegnung zwischen Kirche und den Menschen sein. Ich bin der Sohn eines Gemeindepfarrers. Ich war selber gerne Gemeindepfarrer. Ich will niemals die Gemeinden schlecht machen.

Aber es gibt einfach Menschen, die aus Gründen, die wir nicht zu bewerten haben, dort nie ankommen werden. Merkwürdigerweise freuen die sich, wenn ein Pfarrer zu ihnen kommt und sich erkundigt, wie es ausschaut. Sie sind auch auf eine tiefere Dimension ansprechbar, trotzdem werden sie den Weg in die Gemeinde in der Regel nicht finden.

Wie sehr sind Sie in Ihrem Amt noch Pfarrer gewesen? Sie werden wahrscheinlich wenig den Talar angehabt haben, und Beerdigungen werden auch nicht so viele gewesen sein?

Ich war in diesem Amt immer Pfarrer, weil ich gar nicht anders kann und auch nicht anders will. Den Talar hatte ich sehr oft an. Ich hatte eine ganze Menge Beerdigungen zu halten von Menschen, die mit mir Kontakt hatten. Ich hatte in jedem Jahr so viele Beerdigungen wie ein Dorfpfarrer auch. Ich hatte auch immer Taufen von Menschen, etwa aus der Bundesagentur für Arbeit, die mit mir zu tun hatten.

Es gab Leute, die unbedingt von mir getraut werden wollten. Und auch sehr säkulare Menschen, die weder mit der Kirche noch mit dem Glauben etwas am Hut haben, haben gesagt, dass sie interessiert, was ich von Christus denke. Die Offenheit für einen Vertreter der Kirche, wenn er sich anständig benimmt, würde ich nicht unterschätzen.

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