Hunderte Männer mit Rauschebärten, ein halber Ort auf der Theaterbühne, Oberammergau im Ausnahmezustand: Das weltberühmte Laienspiel geht zurück auf ein Gelübde aus dem Jahr 1633. Als vor fast 400 Jahren die Pest in vielen Teilen Europas wütete, machte sie auch vor dem oberbayerischen Dorf Oberammergau nicht halt.

Seine Bewohner gelobten damals, in jedem zehnten Jahr das Leiden und Sterben Christi aufzuführen, wenn nur niemand mehr an der Pest sterben sollte. Das Dorf wurde erhört, und so spielten die Oberammergauer 1634 das erste Passionsspiel.

Corona bremste Laienspiel

Eigentlich sollten die 42. Passionsspiele im Jahr 2020 stattfinden. Doch Corona machte dem Laienspiel, das alle zehn Jahre Hunderttausende Besucher aus der ganzen Welt anzieht, einen Strich durch die Rechnung. Die Macher verschoben die Spiele wegen der Pandemie um zwei Jahre, nun finden sie - bereits zum vierten Mal unter der Regie von Christian Stückl - von 14. Mai bis 2. Oktober 2022 statt. Die Verschiebung von 2020 ist erst die vierte in der langen Geschichte der Spiele.

An den Passionsspielen wirkt traditionell die Hälfte des oberbayerischen 5.000-Einwohner-Ortes Oberammergau mit. Neben den großen Figuren Jesus, Maria, Petrus, Judas, Pontius Pilatus und Kaiphas gibt es 120 größere und kleinere Sprechrollen, dazu Soldaten, Priester und das Volk von Jerusalem. Mitmachen darf nur, wer in Oberammergau geboren und aufgewachsen ist oder seit mindestens 20 Jahren im Dorf wohnt. Spielleiter Stückl ist Intendant des Münchner Volkstheaters und 1961 in Oberammergau als Sohn eines Gastwirtehepaares geboren.

Premiere: Muslim spielt Hauptrolle

Erstmals übernimmt in diesem Jahr ein Muslim eine Hauptrolle: Der Oberammergauer Cengiz Görür feiert als Judas sein Debüt in einer tragenden Rolle. Eine Provokation wolle er in dieser Besetzung jedoch nicht sehen, betonte Spielleiter Stückl. Sein zweiter Spielleiter Abdullah Karaca ist ebenfalls Muslim und spielt außerdem den Nikodemus.

Insgesamt wirken in diesem Jahr etwa 2.100 Laiendarsteller aus Oberammergau mit, 500 davon sind Kinder. Jesus wird gespielt von Frederik Mayet, der die Rolle bereits zum zweiten Mal übernimmt, sowie von Student Rochus Rückel, dem zweitjüngsten Jesus-Darsteller in der fast 400-jährigen Geschichte der Passionsspiele.

Kostüme sind handgefertigt

In einer Gemeinschaftsleistung entstanden nach einem Entwurf von Stefan Hageneier neue Kostüme und Bühnenbilder. Rund 1.500 Kostüme werden per Hand im Passionstheater angefertigt. Markus Zwink, musikalischer Leiter der Spiele, bearbeitete die Musik und besetzte insgesamt 120 Chormitglieder und das 70-köpfige Passionsorchester.

Erstmals finden am 7. und 8. Mai auch Jugendtage zu den Festspielen statt: Besucher zwischen 16 und 28 Jahren können dort das weltweit erfolgreichste Laienspiel zu vergünstigten Preisen besuchen, werden ins Spiel eingeführt und bekommen Gelegenheit, sich mit den Darstellern auszutauschen. Die Jugendtage sind überkonfessionell und richten sich an alle Nationalitäten.

Haarige Tradition

Berühmt sind die Passionsspiele auch für eine haarige Tradition im Ort: Immer am Aschermittwoch des Vorjahres der Spiele findet der traditionelle "Haar- und Barterlass" statt: Bis zu den Passionsspielen lassen sich dann alle Mitwirkenden, einer alten Tradition folgend, die Haare und die Männer auch die Bärte wachsen.

Das Passionstheater hat fast 4.700 überdachte Plätze. Es wurde 1928 errichtet, der Zuschauerraum stammt aus dem Jahr 1898. Vor zehn Jahren wurde das gesamte Theater renoviert. Inzwischen kann auch der Großteil der Bühne mit einem Schiebedach vor Regen geschützt werden. Die Oberammergauer Passionsspiele wurden im Dezember 2014 in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes im Sinne des Übereinkommens zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen.

Die fünfstündige Aufführung beginnt nachmittags mit dem Einzug in Jerusalem und erzählt die Passionsgeschichte über das Abendmahl bis hin zur Kreuzigung. Sie endet in den Abendstunden mit der Auferstehung. Insgesamt sind 103 Vorstellungen geplant. Die letzten Passionsspiele fanden im Jahr 2010 statt; es kamen 515.000 Menschen aus aller Welt zu dem Großereignis der 2.400 Laiendarsteller mit mehr als 100 Aufführungen.