In den vergangenen zwei Jahren stand Deutschland zwischenzeitlich scheinbar still. Kontaktbeschränkungen, Lockdowns, Schließungen: Die Innenstädte waren menschenleer, Theater, Schwimmhallen und Fußballstadien waren geschlossen. In dieser Zeit verlagerte sich für viele der gesamte Alltag in die eigenen vier Wände. Nach zwei Jahren Stillstand ruft die evangelische Fastenaktion "7 Wochen Ohne" nun dazu auf, aktiv zu werden. "Üben! Sieben Wochen ohne Stillstand", lautet das Motto. 40 Tage Neues ausprobieren. 960 Stunden raus aus dem normalen Trott. Aber geht das so einfach?
Aus Altem ausbrechen, um Neues zu wagen, fällt nicht jedem leicht, erklärt die Angstforscherin Angelika Erhardt vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München: "Es gibt viele Menschen, die sehr sicherheitsbedacht sind. Sie tun sich mit anstehenden Veränderungen eher schwer." Beim Gedanken an das Ungewisse plage diese Menschen vor allem die Sorge davor, sich schlecht zu fühlen, etwas falsch zu machen oder in emotionale Situationen zu geraten, die für sie nicht zu bewältigen seien.
Evangelische Fastenaktion "7 Wochen Ohne"
In der Fasten- oder Passionszeit erinnern Christen an das Leiden und Sterben Jesu Christi und bereiten sich auf Ostern vor, auf die Botschaft von der Auferstehung. Die evangelische Aktion "7 Wochen Ohne" soll helfen, diese Wochen bewusst zu erleben und zu gestalten.
In diesem Jahr steht sie unter dem Motto "Üben! Sieben Wochen ohne Stillstand". Die Aktion ruft dazu auf, in der Fastenzeit von Aschermittwoch (2. März) bis Ostern (17. April) Neues auszuprobieren: "Auch wenn nicht alles sofort gelingt, ist es gut, sich auf den Weg zu machen."
Teilnehmende können sich zu Fastengruppen zusammenschließen oder auch für sich alleine den Fastenkalender nutzen, das zentrale Element der Aktion. "7 Wochen Ohne" wird mit einem Gottesdienst am Sonntag, 6. März, ab 9.30 Uhr in der Kirche St. Michael in Fürth eröffnet. Das ZDF überträgt live.
Die Fastenaktion wurde 1983 gegründet. Koordiniert wird "7 Wochen Ohne" von einem Projektbüro im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik in Frankfurt am Main.
Der Mensch reagiert oft mit Unbehagen auf Neuerungen
Ein Grummeln im Bauch oder Sorgenfalten auf der Stirn, das leicht spürbare Unbehagen, während die Gedanken in Richtung Neuerung ziehen - all das seien normale Reaktionen des menschlichen Bewältigungssystems auf die sich ständig verändernde Welt und eine Hilfe dabei, Lösungen zu erarbeiten. "Sorgen sind dabei der gedankliche Anteil der Angst. Angstemotion erfasst den Körper sowohl psychisch als auch körperlich, deshalb spürt man zum Beispiel Herzklopfen", erklärt die Forscherin. Angst könne auch dazu führen, dass notwendige Änderungen nicht umgesetzt würden:
"Die Angst signalisiert dann Gefahr und macht eine Änderung schwer möglich."
Von Neuem und Ungewissen erzählt auch die Bibel an vielen Stellen, wie die Theologin Claudia Kusch erklärt: "Die ist da aber sehr realistisch. Oft geht es dabei nämlich auch ums anschließende Scheitern." Biblische Helden, die Neues wagten, seien also keineswegs lupenrein, vielmehr erzählten ihre Geschichten von Fehlern und Zweifeln, von Sorgen oder gar von Verrat und Verleumdung. Beispielhaft hierfür seien die Geschichten von Mose, Elia, Petrus oder Paulus.
"Aber das ist eben nicht das Letzte, was über sie gesprochen wird."
Bei Neuanfängen spielt Vertrauen eine wichtige Rolle
Denn die Geschichten gingen weiter und zeigten Neuanfänge, erzählten vom Wissen um das eigene Versagen und von der Akzeptanz der eigenen Fehler: "Die Geschichten zeigen uns, dass wir Menschen eben keine Superhelden sein müssen", sagt Kusch.
Bei dem Versuch, etwas Neues zu wagen, solle deshalb das Vertrauen in Gott und der unverzagte Blick auf anstehende Änderungen im Vordergrund stehen, nicht die Frage danach, ob das Neue denn auch wirklich Erfolg haben wird. "Trotzdem sind diese Zweifel, die Angst und das Unbehagen einfach total menschlich", ergänzt die Referentin bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Am Anfang sollten die Neuerungen eher klein sein
Wie viel Raum Sorgen und Ängste einnehmen könnten, sei Typsache, erklärt der Göttinger Angstforscher Borwin Bandelow. "Wer Ängste hat, bekämpft diese am besten damit, sich der jeweiligen Situation zu stellen, die diese Angst verursacht", rät er. Wer also Angst vor Neuem hat, solle öfter mal etwas Neues wagen.
"Am besten fängt man aber nicht gleich an, die großen Dinge zu ändern. Es reichen zunächst auch kleine Schritte."
Man könne zum Beispiel einfach mal einen anderen Weg von der Straßenbahn ins Büro nehmen oder ein neues Kochrezept ausprobieren. Oft zeige sich schon dann: Wer wagt, gewinnt.
Manchmal entwickelt sich auch krankhafte Angst
Werden die Sorgen und Ängste im Alltag allerdings zu groß, können sich diese zu einer krankhaften Angst entwickeln, warnt Forscherin Erhardt: "Es entsteht ein erheblicher Leidensdruck, die Betroffenen spüren teilweise ständige Anspannung, haben permanent Angst, dass gleich etwas passieren könnte." Um erkrankten Personen zu helfen, sei nicht nur die Ermutigung durch Familie und Freunden wichtig, auch über eine Therapie sollte nachgedacht werden.
"In dieser lernen die Patienten wieder, dass es im Leben Erfolg und Misserfolg gibt - dass eben beides dazu gehört", erklärt die Expertin. Auf dem Weg der Besserung sei entscheidend, dass er oder sie sich der individuellen Angst Stück für Stück stelle.
"Eine Garantie für Erfolg gibt es eben nicht, das müssen wir akzeptieren, um Mut für Neues aufzubringen."