Sieben Wochen ohne Süßigkeiten und Knabbereien – kein Kuchen am Nachmittag, keine Chips am Abend, kein Schokoriegel zwischendurch. So faste ich seit ein paar Jahren von Aschermittwoch bis Ostern. Ich finde es gut, in dieser Zeit mit Gewohnheiten zu brechen und mich bewusster zu ernähren.

In diesem Jahr aber stresst mich der Gedanke an den Verzicht. Denn ich entsage doch gerade auch noch tausend anderen Genüssen: Treffen mit Familie und Freunden, Schwimmbadbesuchen, Kneipentouren, Ausflügen, Urlaub…

Wenn ich an die bevorstehende Fastenzeit denke, pöbelt meine innere Stimme:

Meine Schokolade lasse ich mir nicht auch noch nehmen!

Dann wiederum frage ich mich: Warum denn eigentlich nicht? Vielleicht bringt das Weglassen ja gerade die Abwechslung in meinen Alltag, die ich mir so sehr herbeisehne.

Theologin Breit-Keßler: Fasten bedeutet auch, Neues auszuprobieren

Zeit, jemanden um Rat zu fragen, die sich auskennt: Susanne Breit-Keßler, Kuratoriumsvorsitzende der evangelischen Fastenaktion "Sieben Wochen Ohne". Frau Breit-Keßler, sollte man sich in diesem besonderen Jahr mit all seinen Beschränkungen und Einschnitten zusätzlich noch freiwillig einschränken?

"Nein, sollte und muss man nicht", antwortet die evangelische Theologin. "Die Zeit ist schwer genug." Juhu, das wollte ich hören! Schokolinsen für alle!

Aber sie ist noch nicht fertig: "Außer man hält es persönlich für sinnvoll, dass man zum Beispiel sagt: Mir täte es gut auf Süßigkeiten zu verzichten, weil ich in diesem Pandemie-Jahr schon so viel davon gegessen habe." Mist, ertappt.

Das ist einer der Gründe, warum ich jedes Jahr faste. Es tut mir nach all den Weihnachtsleckereien und Faschingskrapfen gut, wieder etwas mehr Abwechslung auf meinen Speiseplan zu bringen. Was kann ich statt Keksen und Gummibärchen snacken? Wann esse ich, weil ich hungrig bin, und wann esse ich aus Langeweile oder Gewohnheit?

Trotzdem. Dieses Jahr erscheint mir der Verzicht wie ein weiterer Punkt auf der langen Liste an Regeln, an die ich neuerdings denken muss: Hände waschen, Abstand halten, Mundschutz tragen, keine Salzstangen schnabulieren. Was nun?

"Ich finde nicht, dass man sich in der Fastenzeit die Peitsche geben sollte"

... betont Breit-Keßler am Telefon. "Man sollte vielmehr die Freiheit genießen, die sich daraus ergibt." Moment mal, Freiheit? Ich will mich im Verzicht üben. Das schränkt mich doch vor allem ein, oder?

"Die Fastenzeit wurde früher und wird teilweise heute noch zu viel mit Verzicht zusammengebracht", sagt die frühere Münchner Regionalbischöfin. Es gehe aber ganz und gar nicht darum, mit welcher Methode man sich oder andere am besten peinigen könne.

Sie verweist auf die evangelische Fastenaktion, die 2021 unter dem Motto "Sieben Woche ohne Blockaden" steht. Sie soll Christinnen und Christen dazu animieren, Freiräume für sich zu entdecken, Neues auszuprobieren, erklärt die Theologin. Die eigenen Kochkünste verbessern, das Malen oder Schreiben auszuprobieren. Oder pragmatischer: den Keller aufzuräumen, das Badezimmerschränkchen auszumisten.

"Das ist nicht Verzicht, das ist der pure Gewinn."

Ein ordentlicher Keller klingt verlockend. Aber eigentlich wollte ich doch all die süßen Verlockungen aufspüren, die sich nach und nach in meinen Alltag geschlichen haben, und verbannen. Zumindest manche. Suche ich vielleicht nur einen guten Grund, um dieses Jahr ums Fasten herumzukommen? 40 Tage auf Leckereien aller Art zu verzichten ist nämlich gar nicht so leicht. Es ist schwierig, dem Verlangen nach einem Schoko-Croissant zu widerstehen. Und auch die Gewohnheit ist nicht zu unterschätzen. Bei der Krabbelgruppe gibt es Gebäck? Lecker! Die Kollegin bringt einen Geburtstagskuchen mit? Her damit!

Psychologe Macht: Wer fastet, will neue Einsichten gewinnen

Da hilft nur ein Anruf bei Michael Macht, psychologischer Psychotherapeut und Experte für emotionales Essverhalten. Herr Macht, ist es eine gute Idee, trotz all der Einschränkungen, die wir aktuell erleben, zu fasten oder wäre das nur eine unnötige zusätzliche Belastung? "Verzicht um des Verzichtens Willen ist aus psychologischer Sicht nie sinnvoll", antwortet Macht. Wem es nicht gutgehe, sollte nichts tun, was ihn schlechter fühlen lässt.

Der außerordentliche Professor der Universität Würzburg erinnert daran: "Das Fasten ist eine Übung, die man sich freiwillig auferlegt, um eine gewisse Läuterung zu erreichen." Der Verzicht auf Essen oder nur einzelne Lebens- oder Genussmittel wie Fleisch oder Alkohol sei nur Mittel zum Zweck. Wer faste, ergreife die Gelegenheit, seinen Alltag zu unterbrechen, mit mehr Ruhe zu gestalten, zu Besinnung zu kommen, Einsichten zu gewinnen.

Ich verstehe. Vielleicht ist es dann eher ein Motivationsproblem meinerseits. Der Lockdown seit November zehrt an den Nerven, der triste Alltag zwischen Arbeit, Kinderbetreuung und Haushalt ist ermüdend. Nervennahrung ist immer willkommen, zusätzliche Anstrengungen wie eine Fastenzeit eher nicht.  

"Grundsätzlich ist es so, dass man im Essen eine Quelle der Freude finden kann"

... erläutert Macht. Süßes zu essen habe oft einen belohnenden Charakter. Auch Gewohnheit spiele eine große Rolle. Viele Menschen täten sich deshalb leichter, im Kloster oder der Fastenklinik zu fasten. Dort sei es für die Fastenden auch schwieriger an Nahrung zu kommen.

Moment, das würde aber dafür sprechen, dass mir der Verzicht auf Süßigkeiten dieses Jahr viel leichter fällt. Keine Kinobesuche, die dazu verleiten Popcorn zu kaufen, weil es im Foyer absurd gut danach duftet. Keine Keksteller in der Cafeteria, bei dem ich versehentlich zugreife. Und ich gehe nur selten einkaufen, muss also nur selten gegen die Verlockungen der langen Süßwaren- und Chips-Regale standhaft bleiben. "Könnte man so sehen", sagt der Psychologe. "Andererseits ist die Verführung Zuhause größer, wenn einem langweilig ist oder man sich den monotonen Alltag aufheitern will."

Und was mache ich jetzt? Ein paar Tage bleiben mir noch für die Entscheidung, ob ich in diesem Jahr faste oder nicht – und wie genau diese Zeit für mich aussehen wird. Anregungen habe ich genug. Gerade kommt mir eine neue Idee: Vielleicht verzichte ich aufs Fasten.

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