Vom Kirchturm der evangelischen Passionskirche Obersendling kräht seit Juli 2021 der Grüne Gockel: Trotz Lockdown hat es das fünfköpfige Team um die Biologin Nicole Schröder-Rogalla geschafft, die Gemeinde von Herbst 2019 bis Sommer 2021 auf Nachhaltigkeit zu trimmen. Somit ist die Passionskirche eine von 28 evangelischen Münchner Gemeinden oder kirchlichen Einrichtungen, die das Siegel für kirchliches Umweltmanagement bereits oder bald tragen. "Das ist bei 66 Gemeinden fast die Hälfte und damit im bayerischen Vergleich Spitze", sagt Wolfgang Schürger, Umweltbeauftragter der bayerischen Landeskirche.

Nun legen die Münchner Protestanten noch eine Schippe drauf: Bis 2035, so lautet der Beschluss der Dekanatssynode, soll der gesamte Dekanatsbezirk klimaneutral sein. In den letzten Jahren habe sich das Umweltthema "etwas gesettelt", sagte Stadtdekan Bernhard Liess auf epd-Anfrage. Deshalb solle das Thema jetzt erneut zum Schwerpunkt werden. "Es muss in jeden Kopf und in jede Gemeinde rein, dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit dem kirchlichen Auftrag direkt entspringen", betonte Liess.

Klimaschutzmaßnahmen sollen schnell durchgeführt werden 

Bis spätestens November 2022 soll eine Steuerungsgruppe eine "kohärente Gesamtstrategie" entwickeln. Um dafür die nötige Datengrundlage zu erhalten, soll im Dekanat flächendeckend das "Grüne Datenkonto" eingeführt werden, in dem alle Energiedaten erfasst werden. Zahlreiche Landeskirchen und Bistümer sind mittlerweile am 2007 eingeführten "Grünen Datenkonto" beteiligt. Die Nutzung ist für Gemeinden kostenlos.

Der Fokus beim Klimaschutz liegt auf den 254 Gebäuden der 66 Kirchengemeinden, denn dort entstehen 89 Prozent des CO2-Ausstoßes. Mit dem "10-Dächer- und 10-Heizungen-Programm" will das Dekanat schnelle Sofortmaßnahmen umsetzen. Nur noch in Ausnahmefällen sollen Heizungen mit fossilen Energieträgern verbaut werden. Wo ohnehin Sanierungen anstehen wie beim Pasinger Pfarrhaus oder der Lukaskirche im Lehel, fliegen veraltete Ölheizungen und Warmluftheizungen raus. Stattdessen kommen beispielsweise Bankheizungen samt separat schaltbarer Wärmestationen zum Einsatz. "Im Stadtbereich prüfen wir, ob ein Anschluss ans Fernwärmenetz möglich ist", sagt Stefan Neukamm, Leiter der Bauabteilung im Kirchengemeindeamt.

Müssen Kirchen im Winter dauerhaft geheizt werden? 

Denn Fernwärme gilt dann als klimafreundlich, wenn sie nicht aus der Abwärme von fossilen Kraftwerken stammt. "Die Stadtwerke München wollen bis 2040 den Bedarf an Fernwärme CO2-neutral abdecken", erläutert Neukamm. Vor das umweltfreundliche Heizen stellt der Bau-Chef aber eine viel grundsätzlichere Frage: "Müssen wir unsere Kirchen im Winter tatsächlich intensiv heizen?"

Ein halbes Jahr zu spät kommt der Beschluss der Dekanatssynode für eine andere Münchner Gockelgemeinde. "Unsere Heizung ist im Frühjahr kaputt gegangen", berichtet Birgitt Salamon, Umweltbeauftragte der Gethsemanekirche Sendling-Westpark. Statt einer klimaverträglicheren Lösung habe man wieder nur eine Gasheizung bekommen. Nun wolle man wenigstens auf 100 Prozent Ökogas umsteigen, "aber auch das gestaltet sich schwieriger als gedacht", sagt die Biologin und Umweltauditorin. Rückblickend bedauert auch Stefan Neukamm die verpasste Chance: "Den Beschluss zum Verzicht auf fossile Energieträger gab es zum Zeitpunkt der Beauftragung noch nicht, da waren wir noch zu nachlässig."

Auf die Dächern sollen klimafreundlich Photovoltaikanlagen kommen 

Neben den Heizungen stehen die Dächer im Fokus: Bei allen Neubauten mit Wohnungen und bei geeigneten Objekten wie dem Kirchengemeindeamt oder der Jugendkirche sollen künftig Photovoltaikanlagen verbaut werden. "Das lohnt sich überall dort, wo wir einen Eigenbedarf haben", sagt Neukamm. Im Idealfall fungiere die Gesamtkirchenverwaltung als Betreiber der Anlagen, während ein Stromanbieter das operative Geschäft als externer Partner abwickle.

Das Klimaziel 2035 sei ambitioniert und werde "Geld und Aufwand" kosten, sagt der Architekt. Allerdings spare man durch effiziente Energieanlagen auch Geld ein - ein gutes Argument für Gemeinden, die in Zukunft mit geringeren Haushaltszuweisungen auskommen müssen.

In Zukunft werden die Kirchen durch die Erneuerungen Geld sparen

Wie viel Geld die Passionskirche durch das Umweltmanagement künftig spart, kann Nicole Schröder-Rogalla noch nicht beziffern. Dass manche Maßnahmen sich auszahlen werden, sei aber jetzt schon klar: "Wir haben viele Energiefresser gefunden und entschärft", sagt sie. Und der Einbau von intelligenten Thermostaten, mit denen man einzelne Räume ansteuern kann, sei "weder kompliziert noch teuer" gewesen.

Das Umwelt-Highlight der Passionskirche ist zugleich eine Frischzellenkur für die Gemeinde: Der "Phänologische Garten", der in einer jahrelang verwilderten Ecke des Grundstücks entsteht, zieht junge und alte Helfer und immer wieder neugierige Zaungäste an. "Der Schutz der Schöpfung ist ein Urauftrag der Kirche, wie die Mission", sagt Schröder-Rogalla. In dem Garten, den Landesbischof Bedford-Strohm voraussichtlich 2023 als Schirmherr eröffnen wird, scheinen beide Aufträge erfüllt.