Die ohnehin steigende Wohnungslosigkeit in bayerischen Großstädten könnte durch Corona noch verschärft werden. Mario Frombeck vom Evangelischen Hilfswerk (EHW) in München sagte, es gebe einige Indizien, dass die Zahl der Wohnungslosen als Folge der Pandemie weiter ansteigen könnte.

So habe sich die Zahl der Wohngeldanträge in der Landeshauptstadt in einem Monat mehr als verdoppelt, zudem hätten viele Mieter Zahlungsschwierigkeiten, sagte Frombeck anlässlich des bundesweiten Tages der Obdachlosen an diesem Freitag (11. September).

Frombeck, EHW-Bereichsleiter Frauen, erwartet, dass sich womöglich bald viele neue Wohnungslose an die Hilfsangebote wenden.

In München leben aktuell rund 9.000 Menschen ohne eigene Wohnung, vor fünf Jahren waren es erst gut 5.000. Nürnberg zählt nach städtischen Angaben aktuell knapp 2.300 Wohnungslose (2014: 1.600), in Würzburg sind es 400 (2015: 300) und in Regensburg grob geschätzt ebenfalls 400 Wohnungslose.

Sie sind in städtischen Unterkünften und denen freier Träger wie dem EHW untergebracht, hieß es.

In München steigt laut Frombeck vor allem der Anteil wohnungsloser Frauen mit Kindern und ganzer Familien, die ihre Wohnung verlieren.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe schätzt, dass Frauen mehr als ein Viertel (27 Prozent) der Wohnungslosen ausmachen, Kinder und Jugendliche acht Prozent. In Würzburg liegt der Anteil der Frauen ebenfalls bei 27 Prozent, in Nürnberg lediglich bei elf Prozent. Kinder und Jugendliche stellen in Würzburg 31 Prozent und in Nürnberg vier Prozent der Wohnungslosen.

Isabel Schmidhuber, die in München das Frauenobdach "Karla 51" leitet, berichtet von immer mehr Anfragen von Frauen mit Kindern. 55 Plätze bietet die Anlaufstelle, insgesamt rund 230 Frauen pro Jahr wohnen hier für einige Wochen oder Monate. Waren früher pro Jahr etwa fünf Kinder dabei, so zählt Schmidhuber bis jetzt bereits 37 Kinder. Mehr als 2.000 Anfragen von Frauen erhält sie pro Jahr.

Hauptgrund für die Zunahme ist der überlastete Mietmarkt.

Wer nicht viel Geld verdient und sich trennt, stehe oft vor der Unmöglichkeit, eine bezahlbare Bleibe zu finden, sagt Schmidhuber. So etwa Hannah A.: Die 40-Jährige wohnte nach der Scheidung monatelang weiter mit den zwei Töchtern bei ihrem Ex-Mann, weil sie keine Wohnung fand. Seit fünf Wochen lebt sie nun im "Karla 51", das Sorgerecht ist geteilt, sie will wieder arbeiten gehen.

Hinzu kämen immer mehr ältere Frauen mit wenig Rente, denen wegen Eigenbedarf ihre Wohnung gekündigt wurde, sagt Schmidhuber. Auch der Flüchtlingszuzug von 2015 mache sich bemerkbar: Etwa 60 Prozent der Frauen hätten inzwischen eine ausländische Staatsangehörigkeit.

München hält 6.000 städtische Plätze vor, die freien Träger weitere 3.000. Das EHW, das zur Inneren Mission München (IM) gehört, reagiert auf den wachsenden Bedarf zudem mit neuen Beratungsangeboten.

Seit Juli gibt es die "Integrationshilfen", die Familien nach der Wohnungslosigkeit dabei unterstützen, sich wieder in einem geregelten Alltag einzufinden.

Die neue Beratungsstelle "Wohnen und Existenzsicherung" hilft Familien in prekären Verhältnissen, indem sie ganzheitlich alle Familienmitglieder in den Blick nimmt. So sei heuer etwa das Homeschooling bei vielen Familien ein schwieriges Thema gewesen, sagte Frombeck.

IM-Vorstand Thorsten Nolting betonte die zwei Seiten Münchens. Einerseits wundere er sich, dass die Stadt - wie andere auch - die sich lange abzeichnende problematische Entwicklung des Mietmarkts nicht früher angepackt habe. Andererseits sehe er ein großes Engagement bei freien Trägern und Stadt, so gut wie möglich mit der Situation umzugehen: "Mit viel Ruhe, Pragmatismus, Respekt vor den Wohnungslosen und fachlich innovativ", sagte Nolting.

Die Schaffung von Wohnraum bleibe Thema Nummer eins, sagte Nolting.

Zudem forderte er die Stadt auf, die Hilfsangebote weiter zu finanzieren und auszubauen, falls die Wohnungslosen-Zahlen steigen sollten. Desweiteren brauche die IM junge Ehrenamtliche etwa für die Bahnhofsmission oder den Kälteschutz, weil wegen Corona viele Ehrenamtliche aus Risikogruppen ihr Engagement niedergelegt hätten.