Die Corona-Pandemie sorgt in der Sebalder Altstadt Nürnbergs jeden Freitag für ein ungewöhnliches Bild. Weil seit dem Lockdown im März das kirchliche Obdachlosenfrühstück vor dem sonntäglichen Gottesdienst dicht ist, hat Diakonin Ute Kollewe kurzfristig eine andere Lösung aus dem Boden gestampft. Aus einem Seitenfenster des Ecksteins, des Hauses der evangelischen Kirche im Schatten der Nürnberger Burg, werden Tüten mit Lebensmitteln an Bedürftige herausgereicht.
Bevor um zehn Uhr die Ausgabe beginnt, hat sich bereits eine beachtliche Anzahl Menschen versammelt. Die Reihe der Wartenden schlängelt sich von dem winzigen Durchgang des Ellenbogengäßchens über zwei weitere kleine Altstadtstraßen bis zum Sebalder Platz. Orientierung geben kleine aufgeklebte Punkte, damit die Menschen den üblichen Corona-Abstand einhalten. Ordner achten darauf, dass alles reibungslos verläuft.
Vor Ostern startete Kollewe das Projekt mit 120 Tüten, in die unter anderem Brot, Käse und Wurst gepackt wurde. Obwohl mittlerweile viele Lockerungen eingeführt wurden und Wirtschaft sowie Gesellschaft langsam wieder zur Normalität zurückkehren, nimmt die Nachfrage nicht ab. "Es gibt keine Entspannung, im Gegenteil", bilanziert die Diakonin.
240 Tüten mit Lebensmitteln - "und es werden immer mehr"
Neben Obdachlosen sind nun auch Hartz-IV-Empfänger unter den Wartenden. Aber auch Künstler, selbstständige Journalisten und Musiker sind dabei. "Die ersten stehen bereits früh um sieben Uhr an", stellt Kollewe fest. Mittlerweile packen die ehrenamtlichen Helfer von Kollewe 240 Tüten, - "und es werden immer mehr".
Hinzu kämen auch Senioren, die von Altersarmut betroffen sind sowie "alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern", was Kollewe besonders betroffen macht. Denn jemand, der die Hilfen nicht braucht, "stellt sich nicht in die Schlange". Auch geringfügig Beschäftigte, die durch das Hilfsnetz an Kurzarbeitergeld und anderen Förderungen durchrutschen, nehmen das Angebot in Anspruch.
Ohne die politischen Corona-Hilfen zu werten fragt sich Kollewe trotzdem, warum von den vielen Milliarden Euro-Geldern "nichts bei dieser Klientel ankommt".
Knapp fünf Euro ist der Inhalt der Tüten wert, manchmal inklusive gespendeter Mund-Nasen-Maske. "Diese gute Frühstücksration teilen sich manche für mehrere Tage ein", erfährt die Diakonin. Eigentlich war dieses Hilfsangebot nur als kurzfristiges Angebot gedacht. Aber das klassische Sonntagsangebot wird wegen der Corona-Abstandsregeln bis auf weiteres geschlossen bleiben.
Kollewe fürchtet, dass ihr Angebot bis "mindestens bis Jahresende" dauern werde. "Die Spitze ist noch nicht erreicht", sagt sie. Die Unternehmertochter kennt die elterlichen Sorgen bei Auftragsflauten. Manche Betriebe werden die Krise nicht überleben, auch die Gastronomie, die nur die Hälfte ihrer Sitzplätze belegen darf, werde kaum unbeschadet zur Normalität zurückkehren, glaubt sie.
Kollewe will den Hilfesuchenden ihre Würde geben
Während im Ellenbogengäßchen aus zwei Fenstern die Tüten in Körben am Seil in Akkordtempo herabgelassen werden, steht Kollewe am Haupteingang. Sie begrüßt die Menschen, die sich ihre Tüten abholen wollen mit ein paar freundlichen Worten. Sie fragt nach deren Befinden, spricht über den Bedarf an Corona-Schutzmasken oder gibt den Herrchen mit Hund zusätzlich ein Hundeleckerli. So will sie den Hilfssuchenden die Würde geben, die die oft vermissen. Die Einsamkeit dieser Menschen "hat sich durch Corona noch weiter verstärkt".
Immerhin bereiten neun Ehrenamtliche am Donnerstagnachmittag die Ausgabe vor, damit auch die 100 Kilo Gurken und 100 Kilo Äpfel gleichmäßig verteilt werden. Am Freitag packen 15 Helfer die Tüten, geben sie aus oder ordnen die Schlange. Auch wenn es mal in der Schlange Streit gibt, vermitteln die Helfer. Geld und Sachspenden, wie Masken oder Desinfektionsmittel, sind für das Obdachlosenfrühstück dringend nötig. Kollewe weiß, dass dieser Wunsch schwierig ist.
Auch jetzt bei den Lockerungen "halten viele Menschen ihr Geld zusammen".
Zu den treuen Spendern gehört die 76-jährige Maria aus dem Osten Nürnbergs. Sie kommt jeden Freitag mit Bus und Bahn angefahren, um einen Karton mit selbst gebackenen Nussecken zu spenden. "Ich habe ein gutes Schicksal in meinem Leben gehabt, andere hatten nicht so viel Glück", berichtet die Dame. Als sie hörte, dass das sonntägliche Obdachlosenfrühstück ausgesetzt werden müsse, habe sie sich spontan entschlossen, zu helfen.
"Eigentlich gehöre ich gar nicht hierher", sagt Maria augenzwinkernd, sie ist nämlich katholisch. Dann blickt sie auf den Karton in ihrem Arm und ergänzt: "Die Nussecken sind nicht katholisch."