Es war Anfang der 1970er Jahre, als Michael Ende (1929-1995) genug hatte von Deutschland. "Mir bleibt hier die Luft zum kreativen Arbeiten weg", soll der Autor damals gesagt haben - und zog nach Italien. Literaturkritiker hatten Ende als "Schreiberling für Kinder" diskreditiert, sie hatten ihm "Eskapismus" und "Fluchtliteratur" vorgeworfen, wie sich sein langjähriger Wegbegleiter und Lektor Roman Hocke erinnert. Seine Erzählungen würden die Kinder nicht auf das richtige Leben vorbereiten, kritisierten selbst Freunde. Unweit von Rom ließ Ende sich nieder und schrieb einen seiner Bestseller: "Momo". Am 12. November wäre der Erfolgsautor 90 Jahre alt geworden.

Michael Ende wurde 1929 in Garmisch-Partenkirchen geboren, zog kurze Zeit später mit seinen Eltern nach München. In den heutigen Stadtteilen Schwabing und Pasing erlebte er als Sohn des surrealistischen Malers Edgar Ende die Münchner Künstlerszene - und den langen Arm des NS-Regimes, als die Werke seines Vaters als "entartete Kunst" diffamiert wurden. Nach dem Krieg machte er Abitur an der Stuttgarter Waldorfschule, studierte an der Schauspielschule Otto Falckenberg in München. Einige Jahre war er als Filmkritiker für den Bayerischen Rundfunk tätig, in dieser Zeit schrieb er auch das Manuskript für "Jim Knopf".

Michael Ende: Gefeiert vom Publikum, ignoriert von Kritikern

Nachdem der Stuttgarter Thienemann Verlag die Geschichte 1960 als Buch veröffentlicht hatte, wurde es zwar zu einem wirtschaftlichen Erfolg und mit dem Kinderbuchpreis ausgezeichnet. Die Anerkennung des Feuilletons aber blieb Ende lange verwehrt. So geht es etlichen Kinder- und Jugendbuchautoren, sagt der Frankfurter Literaturwissenschaftler Hans-Heino Ewers: "Bis auf wenige Ausnahmen ignoriert die Kritik Kinder- und Jugendliteratur." In den Redaktionen landeten Rezensionsexemplare oft nicht bei den Kritikern, sondern auf dem Geschenkestapel. Hinzu komme, dass Ende als fantastischer Autor einen schweren Stand gehabt habe.

Dem entgegen steht der große Erfolg Endes bei den jungen Lesern: Seine Bücher wurden in mehr als 50 Sprachen übersetzt, manche seiner Werke hielten sich mehr als ein Jahr lang auf den Bestsellerlisten. Dazu gehören "Die unendliche Geschichte", sein fantastisches Meisterwerk, das vom jungen Bastian Balthasar Bux und der zauberhaften Parallelwelt "Phantásien" handelt. Oder auch "Momo", die Geschichte von dem kleinen wundersamen Mädchen, das gegen die Zeitdiebe kämpft - es wurde mit dem Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, millionenfach verkauft und mehrfach verfilmt.

"Sowohl in der Literaturwissenschaft als auch in der Literaturkritik gibt es in Deutschland eine Hilflosigkeit bei Phantastik und Fantasy", glaubt Ewers. Erst die epischen Filme etwa zu Tolkiens "Herr der Ringe" mit ihrer bombastischen Bildsprache hätten diese Genres den Deutschen nähergebracht. Während Fantasy in englischsprachigen Ländern längst ein anerkanntes Literaturgenre sei, habe der deutsche Sprachraum in diesem Punkt Nachholbedarf. "Peinlicherweise betrifft das auch mich. Erst auf Drängen meiner Studierenden hin habe ich mich mit Fantasy beschäftigt", sagt der inzwischen emeritierte Literatur-Professor der Frankfurter Goethe-Universität.

"Er hat auch nie dezidiert für Kinder geschrieben, sondern für das Kind im Menschen."

Ende-Kenner Roman Hocke ist sich sicher, dass der Autor unter der Nichtwürdigung seines Werks zeitlebens gelitten hat. Und daran sei vor allem ein grundsätzliches Missverständnis schuld: "Ende hat sich nie als literarischer Pädagoge verstanden, er wollte nur gute Geschichten schreiben", sagt Hocke, der heute als Literaturagent arbeitet und eine Internetseite in Erinnerung an Michael Ende betreibt: "Er hat auch nie dezidiert für Kinder geschrieben, sondern für das Kind im Menschen."

Michael Ende: Politischer Autor

"Es ist Zeit, die Erwachsenendimension seines Werkes entdecken", sagt auch Ewers. Michael Ende sei ein politischer Autor gewesen, seine Texte voll mit verschiedenen Bedeutungsebenen. "Jim Knopf" sei ein aufklärerischer Text mit einem modernen Helden, "Momo" ein offen politischer Roman und "Die unendliche Geschichte" gesellschaftskritisch durch und durch - und obendrein "wohl eines der schwersten, komplexesten Werke der deutschen Gegenwartsliteratur".

Ende-Wegbegleiter Hocke ergänzt: "Die philosophisch-politische Dimension und die vielen Bedeutungsebenen erschließen sich einem als Kind natürlich nicht - trotzdem und ist es ein faszinierendes Kinderbuch, genau das macht die Qualität aus." Er wünsche sich, "dass man diese 'Innenwelten' seiner Literatur erkennt, nicht nur das Offensichtliche".

Michael Ende und Unendliche Geschichte - Was ist das Nichts?

Eine dieser "Innenwelten" Endes ist das "Nichts" in der "Unendlichen Geschichte", das schleichend die Fantasiewelt Phantásien auffrisst. Für die kindlichen Leser sei es einfach etwas Bedrohliches, Ungreifbares, sagt Hocke. Doch es stehe für eine Kritik an der heutigen modernen Gesellschaft mit all ihren Banalitäten und Bedeutungslosigkeiten. Mit der Verfilmung der "Unendlichen Geschichte" nach Blockbuster-Manier Ende 1984 war Ende dann auch nicht zufrieden. Auch darunter litt der Erfolgsautor in den letzten Jahren seines Lebens. Am 28. August 1995 starb er in Filderstadt bei Stuttgart an den Folgen von Magenkrebs.