Pamela Fuchs steht im Zimmer einer Bewohnerin, hält ein Smartphone in der Hand und spricht ruhig und konzentriert ins Gerät: "Blutzucker 183." Keine fünf Sekunden später ist der Wert in der digitalen Patientenakte gespeichert – kategorisiert, sicher, korrekt. "Früher hätte ich mir das auf die Hand geschrieben oder auf einen Zettel gekritzelt. Jetzt geht nichts mehr verloren", sagt sie und lacht. Fuchs ist Betreuungsassistentin und eine der ersten in ihrer Einrichtung, die mit "voize" arbeitet – einem sprachgesteuerten Dokumentationssystem, das den Pflegealltag revolutionieren soll.

Was futuristisch klingt, ist im Pflegeheim Haus Saalepark der Diakonie Hochfranken längst Alltag. Seit gut einem Vierteljahr nutzen die Mitarbeitenden das System zur Erfassung von Vitalwerten, Medikamentengaben oder Beobachtungen im Pflegeverlauf – einfach per Sprache. "Das spart enorm viel Zeit und gibt uns mehr Raum für das Wesentliche: den Menschen", erklärt Jennifer Scharff, Pflegekraft mit langjähriger Erfahrung. "Früher saßen wir abends oft eine halbe Stunde am Computer. Jetzt machen wir alles direkt beim Bewohner."

Erleichterung auf Knopfdruck

Die Idee für "voize" stammt von Fabio Schmidberger, der selbst einen pflegebedürftigen Großvater hatte – und sich fragte, warum in der Pflege so viel dokumentiert, aber so wenig Zeit für die Patienten an sich bleibt. Über Messen und Gespräche mit der Diakonie entstand der Kontakt. Heute ist die Einrichtung in Oberfranken eine der ersten, die flächendeckend mit dem System arbeitet.

Pflegedienstleiter Heiko Czichon ist überzeugt: "voize" vereinfacht die tägliche Arbeit in der Einrichtung erheblich. Wir können effizienter und trotzdem menschlicher arbeiten." Besonders schätzt er die Möglichkeit, neue Pflegekräfte mit moderner Technik zu gewinnen. "Der Pflegeberuf muss attraktiver werden – da ist Digitalisierung ein wichtiger Baustein."

Natürlich war anfangs nicht jeder begeistert. Gerade ältere Kolleginnen und Kollegen begegneten der neuen Technik mit Skepsis. Doch mit etwas Schulung und gegenseitiger Unterstützung wuchs das Vertrauen. "Wir hatten uns eine Woche zur Einführung genommen – am Ende waren die meisten schon nach zwei Tagen überzeugt", berichtet Jennifer Scharff.

Auch bei den Bewohnern stieß das neue Tool zunächst auf Neugier. "Was machst du da an deinem Handy?" – eine Frage, die Pamela Fuchs heute kaum noch hört. Die Technik ist akzeptiert, der Umgang selbstverständlich geworden. Und auch Angehörige sind laut Fuchs positiv gestimmt: "Viele merken, dass wir mehr Zeit für Gespräche haben, weil wir weniger Zeit am PC verbringen."

Menschlichkeit durch Technik

Doch wie steht es um den Datenschutz? Und wo bleiben Herz und Hand im digitalen Pflegealltag? Einrichtungsleiterin Melanie Thiel winkt ab: "Die Technik ersetzt keine Zuwendung – sie schafft sie. Wer nicht ständig zwischen Bewohnerzimmer und PC pendeln muss, kann mehr beim Menschen bleiben. Wenn es den Mitarbeitenden gut geht, geht es auch den Bewohnern besser."

Auch zur Datensicherheit gibt es klare Vorgaben: Die Dokumentation erfolgt direkt im Zimmer, die Daten werden lokal gespeichert – nicht in der Cloud. Und falls die Spracherkennung doch einmal danebenliegt, kann per Texteingabe korrigiert werden. "Das System lernt mit – sogar bei Dialekt oder gebrochenem Deutsch", sagt Scharff.

Ein Punkt steht noch auf der Wunschliste: die Integration der Rufanlage ins gleiche Gerät. "Momentan tragen wir noch zwei Handys – eins für "voize", eins für die Glocken", sagt Fuchs. "Wenn das zusammengeführt wird, wäre das perfekt." Laut Entwickler sei man hier bereits in der Planung, es könnte aber noch vier Jahre dauern.

Kein kaltes Exoskelett, bitte!

Was künstliche Intelligenz in Zukunft noch leisten kann, bleibt offen. Roboter in der Pflege? Für Thiel undenkbar: "Wir wollen, dass eine warme Hand in eine warme Hand reicht – nicht in ein kaltes Exoskelett." Technik dürfe unterstützen, nicht ersetzen. In der Dokumentation sei der Einsatz aber sinnvoll – und längst überfällig.

Die Umstellung hat ihren Preis: "Die Infrastruktur, vor allem WLAN, muss stimmen. Dazu kommen Lizenzgebühren", erklärt Thiel. Für eine Einrichtung liege der Aufwand im mittleren fünfstelligen Bereich – pro Jahr. "Aber das ist gut investiertes Geld", meint sie.

Während draußen der Pflegeruf ertönt, beendet Pamela Fuchs das Gespräch, nimmt das Handy und geht los. "Das Beste an "voize"? Ich muss mir einfach nichts mehr merken. Ich dokumentiere, was ich tue – und dann bin ich wieder ganz beim Menschen."

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