Herr Hoffmann, man sagt dem System der Fallpauschalen (diagnosis related groups, DRG) nach, dass es teure Fehlanreize produziert. Warum machen Ärztinnen und Ärzte das mit?

Peter Hoffmann: Im DRG-System werden eigentlich alle Entscheidungen primär unter finanziellen Aspekten getroffen. Das folgt der ökonomischen Logik des Systems. Und wenn die Kliniken tatsächlich betriebswirtschaftlich denken, dann basht man die Beteiligten, die sich nur systemkonform verhalten.

Es ist ja die Aufgabe eines Klinikleiters, die Kosten zu senken. Es ist die Aufgabe eines Chefarztes, die Fallzahlen zu steigern. Die große Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte lehnt dieses System inzwischen ab, aber kann sich ihm nicht entziehen. Insofern ist es gut, dass durch den Vorschlag der Regierungskommission jetzt Bewegung in die Sache kommt. Aber leider bliebe das DRG-System laut Vorschlag im Prinzip erhalten.

Kennen Sie Beispiele aus Ihrer beruflichen Praxis, bei denen im jetzigen System die medizinischen Aspekte vor den finanziellen zurückstehen mussten?

Ich sage nicht, in welchem Haus das war, aber dort gab der Chefarzt der Unfallchirurgie seinen Leuten vor, immer den größtmöglichen Eingriff zu machen, für den es gerade noch so keinen Ärger mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen gibt. Vom Patienten her gedacht ist das natürlich überhaupt nicht. Alle wissen, dass es in Deutschland unnötige Knie- und Hüftgelenk-OPs gibt.

Kann es mit rechten Dingen zugehen, dass wir doppelt so viele Kniegelenks-Ersatzoperationen machen wie andere OECD-Länder? Mir erzählen Kollegen, dass Freunde auf sie zukommen, denen eine Behandlung oder OP empfohlen wurde, und um eine zweite Meinung bitten. Und ganz oft sagen sie denen: "Mach das bloß nicht!"

Nicht nur Krankenhäuser konkurrieren um Ressourcen, sondern innerhalb der Häuser auch die Abteilungen. Die, die viel Geld einbringen, bekommen mehr Räume, mehr Personal. Faktisch konkurrieren Patientengruppen gegeneinander. Die lukrativste Gruppe erhält die meisten Ressourcen. Hier in München haben wir eine kleine Privatklinik, die vor einigen Jahren mit der Herzchirurgie angefangen hat. Dafür gibt es überhaupt keinen Bedarf, denn wir haben hier ein Herzzentrum und zwei Unikliniken. Aber die Entscheidung, welche Abteilung ein Haus eröffnet, ist eine betriebswirtschaftliche und kann wegen der Freiheit der Berufsausübung nicht einmal bei medizinischer Unsinnigkeit und Überversorgung verhindert werden.

Haben Sie auf der anderen Seite auch Beispiele dafür, dass notwendige Strukturen zu kurz kommen?

In München haben wir zum Beispiel derzeit massiv Probleme, schwer kranke Intensivpatienten zu versorgen. Weil die Betten für diese pflegeaufwendigen, internistischen Patienten zu sehr gekürzt wurden. Ein anderes, gerade sehr prominentes Beispiel ist die Überlastung der Kinderkliniken.

Wissenschaftliche Studien kommen zu dem Schluss, dass das DRG-System auch durchaus Vorteile haben kann. Es stelle Transparenz her und setze einen Anreiz, besser mit Finanzressourcen umzugehen.

Zunächst einmal: Im DRG-System wird viel Geld verschwendet, für medizinisch unnötige Behandlungen, für eine monströse Abrechnungsbürokratie und für aus dem System entnommene Gewinne. Die Behauptung, das Gesundheitssystem würde zum Selbstbedienungsladen, wenn wir die DRG abschaffen, ist Polemik. Die Kliniken würden dann nicht weniger effizient. Eine buchhalterische Transparenz ist heute mit der modernen IT möglich, mit der man Zeiten, Personal- und Materialeinsatz erfassen kann. Die Krankenkassen könnten problemlos nachhaken, warum eine Klinik für ihre Behandlungen mehr Geld als eine andere ausgibt.

Wenn - wie von der Kommission vorgeschlagen - Versorgungslevels eingeführt werden, wenn also einige Krankenhäuser medizinisch schwerere Fälle behandeln können als andere, dann ist doch aber absehbar, dass die Häuser mit höheren Levels mehr Geld pro Fall brauchen als jene mit niedrigeren.

Das mit den Levels ist etwas, das ich an dem Vorschlag der Kommission sehr begrüße. Ja, daher sollte man natürlich jeweils die Häuser eines Levels vergleichen, hinsichtlich Kosten, vor allem aber hinsichtlich ihrer Qualität. Fällt da eines auf, kann man nach den Ursachen forschen. Ist ein erhöhter Verbrauch medizinisch begründet, wäre das okay.

Absehbar ist, dass dann Kliniken schließen müssen, weil sie die geforderten Levels nicht halten können.

Hoffmann: Wir von "Krankenhaus statt Fabrik" sagen: Die Versorgung muss gesichert werden, aber nicht der Bestand jedes einzelnen Standorts. Dazu brauchen wir ein abgestuftes, arbeitsteiliges Netzwerk von Krankenhäusern, das eine Versorgung in die Tiefe, also hinsichtlich der Komplexität von Interventionen, aber auch in der Fläche sicherstellt. Da muss man sich dann auch gewisse Entscheidungen trauen. Wenn man ein kleines Krankenhaus schließen will, gibt es ja in der Regel einen Volksaufstand vor Ort.

Die Kritik an Schließungen betont durchaus zurecht, dass Kliniken allein deshalb geschlossen werden, weil sie Defizit machen, das niemand mehr tragen will. Dieser "kalte Strukturwandel" fragt nicht danach, ob Häuser gebraucht werden. Sie werden nicht im Rahmen eines Planungsprozesses geschlossen, dass man also schaut, welches Haus man noch braucht und welches nicht. Und so eine Planung bräuchte es.

Wie würde ein System der Selbstkostendeckung nach Ihren Vorstellungen aussehen?

Wir bräuchten eine Krankenhausplanung mit Durchgriffsrechten in öffentlicher Verantwortung. Nicht als behördliche Anordnung, sondern mit Beteiligung von Wissenschaft, Betroffenen, Gebietskörperschaften und Fachleuten aus der Praxis. Diese Planung müsste ein bedarfsgerechtes Netzwerk als Sollstruktur definieren: benötigte Betten, Apparate und Personal. Jedes Haus bekäme einen Versorgungsauftrag mit angemessenem Budget, und dann würde Transparenz hergestellt, was es im Jahr wirklich verbraucht.

Wenn etwas überbleibt, geht das zurück an die Krankenkassen. Wenn es aber nicht ausreicht, zum Beispiel wegen Tarifsteigerungen für das Personal oder wenn es wieder eine Pandemie gibt, muss nachgeschossen werden. Es bräuchte dafür eine verbindliche Personalbemessung für alle Berufsgruppen, damit die Kassen wissen, was an Kosten auf sie zukommt und damit man eine vergleichbare Versorgungsqualität hat.

Das setzt natürlich voraus, dass Kliniken Überschüsse auch tatsächlich zurückzahlen. Kann man darauf wirklich vertrauen?

Wir sind der Meinung, dass die Bereiche der Daseinsvorsorge - nicht nur Krankenhaus, sondern auch Bildung, Stadtwerke, Nahverkehr - komplett der Profitwirtschaft entzogen gehören. "Keine Profite mit der Gesundheit" ist die Forderung, und eine maßvolle Kontrolle statt blinden Vertrauens. Dann fiele der Anreiz weg, Geld zu behalten.

Wenn private Krankenhausbetreiber nichts mehr verdienen dürfen, würden sie ihre Häuser wahrscheinlich nicht weiterbetreiben wollen und Entschädigungen für ihre Investitionen verlangen. Wie würden Sie damit umgehen?

Wenn wir die Finanzierung auf Selbstkostendeckung ändern und wenn das private Kapital dann sein Interesse an seinen Kliniken verliert, dann soll es eben gehen. Es gibt keinen Anspruch darauf, dass Krankenhausleistungen Profit abwerfen müssen. Eine Entschädigung kann man ja verhandeln, aber ich sehe keinen Grund, Kapitalinvestoren den Ausstieg zu vergolden. Das ist jederzeit möglich als politischer Prozess. Langfristig halte ich das für einen großen Gewinn für die gesamte Gesellschaft.

Ein Porträt von einem Mann mit kurzen braunen Haaren. Er trägt eine große eckige Brille.
Anästhesist Dr. med. Peter Hoffmann