Sie ist erst wenige Wochen im Amt - und der Aufgabenberg in ihrem Ressort riesig: Bayerns Gesundheits-, Pflege- und Präventionsministerin Judith Gerlach (CSU) muss sich dem Fachkräftemangel im Gesundheits- und Pflegebereich ebenso widmen wie dem drohenden Kliniksterben im Freistaat. Darüber hinaus stehen der Bürokratieabbau und die Digitalisierung in diesen Bereichen auf der Agenda. Sonntagsblatt.de erläuterte sie zudem, weshalb sie strikt gegen die vom Bund geplante Legalisierung von Cannabis ist.
Frau Gerlach, bevor Sie Gesundheits- und Pflegeministerin geworden sind - wann waren Sie da zuletzt einmal in einer Klinik oder in einem Pflegeheim zu Gast?
Judith Gerlach: Ich glaube, das war Ende August, Anfang September, als ich mit meinem Amtsvorgänger Klaus Holetschek (CSU) in meinem Wahlkreis eine besondere Station im Aschaffenburger Klinikum besucht habe. Dort haben wir mit den Pflegekräften gesprochen, wie man ihren Arbeitsplatz noch attraktiver machen und wie man die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit, in diesem Berufsfeld stärken kann.
Wir sind mitten in der Erkältungszeit, viele Menschen bekommen keinen Termin bei Ärzten oder sitzen stundenlang in Wartezimmern. Ist das für ein Land wie Deutschland und erst recht für Bayern akzeptabel?
Die Situation ist durchaus problematisch - gerade im Bereich der Haus- und Kinderärzte und vor allem in ländlichen Regionen. Wir haben eine Versorgungsstruktur, deren Systematik der Bund festlegt, und an die wir uns natürlich auch in Bayern halten müssen. Die Staatsregierung versucht nachzujustieren, wo sie darf und kann - etwa mit unserer Landarztquote im Medizinstudium oder der Landarztprämie.
"Eine breite Impfkampagne für Grippe und Corona, die sich an alle Menschen richtet, ist aus meiner Sicht aktuell nicht nötig."
Offenbar macht sich hierzulande eine gewisse Impfmüdigkeit nach Corona breit, dabei schnellen die Krankschreibungen auch nach oben. Braucht es eine neue Impfkampagne der Politik?
Wir haben bereits seit dem Herbst wieder mehrfach zur Impfung gegen Grippe und Corona aufgerufen, insbesondere ältere Menschen und andere sogenannte vulnerable Gruppen. Das ist auch wichtig. Aber eine breite Impfkampagne für Grippe und Corona, die sich an alle Menschen richtet, ist aus meiner Sicht aktuell nicht nötig. Die Ärztinnen und Ärzte, die Apotheken und wir als Gesundheitsministerium klären weiterhin über Schutzimpfungen gezielt auf.
Der Gesundheits- und Pflegebereich leidet unter einer Vielzahl an Problemen und Herausforderungen. Was sind Ihrer Meinung nach die Top drei, die schnell angegangen und gelöst werden müssen?
Als allererstes ist das natürlich der Fachkräftemangel. Den müssen die Einrichtungsträger, Verbände und auch die Politik gemeinsam angehen. Meiner Meinung nach hat sich gerade in diesem Punkt aber auch schon viel getan, etwa bei der Bezahlung. Zweiter Punkt ist der Bürokratieabbau, verbunden mit einer weiteren Digitalisierung im Gesundheits- und Pflegebereiche. Und drittens die Zuverlässigkeit von Dienstplänen.
Stichwort Fachkräftemangel: Was ist für Sie ein sinnvoller Lösungsansatz? Ausländische Fachkräfte? Höheres Gehalt? Weniger Wochenarbeitszeit? Von allem ein bisschen?
Wir brauchen einen Mix aus vielen Dingen. Und es ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen greift. Wichtig war auf alle Fälle, dass wir die generalistische Pflegeausbildung eingeführt haben - also eine Ausbildung für alle in den Pflegeberufen. Mit der aktuellen Lohnentwicklung sind wir mit der Tariflohnpflicht auf einem guten Weg, finde ich. Und die Anerkennung ausländischer Abschlüsse haben wir mit unserer "Fast Lane" beschleunigt. Aber es geht natürlich auch um Arbeitsbedingungen. Da kommen wir auch zu allem, was mit Bürokratie und Digitalisierung zu tun hat. Ich bin überzeugt, dass man da noch sehr viel mehr machen kann.
"Verlässlichkeit schafft Zufriedenheit."
Können Sie kurz erläutern, weshalb die Bürokratie in der Pflege ein Problem ist und weshalb es zuverlässigere Dienstpläne braucht?
Im Gesundheits- und Pflegebereich sollte ja unser aller Anliegen sein, dass die Mitarbeitenden vor allem Zeit für die Menschen haben und nicht laufend mit Klemmbrett, Tablet oder Headset unterwegs sind. Da gibt es noch viel Potenzial, Bürokratie abzubauen. Und dabei kann auch Digitalisierung helfen. Und was die Dienstpläne angeht: Verlässlichkeit schafft Zufriedenheit. Unser Springerkonzept ist da ein wichtiger Baustein.
Bundesweit laufen 28 Insolvenzverfahren bei Kliniken mit 36 Standorten. Andere schließen schon vorher, um das zu vermeiden. Wie geht es der Krankenhaus-Landschaft in Bayern insgesamt?
Die Finanzlage der Kliniken ist schwierig, auch in Bayern. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat für Ende dieses Jahres ein bundesweites Defizit der Kliniken von rund zehn Milliarden Euro errechnet, davon rund 1,4 Milliarden Euro bei den bayerischen Kliniken. Es geht nicht darum, Panik zu schüren. Aber eine Reform, die in drei, vier Jahren greift, kommt zu spät. Wir brauchen rasch Hilfen, damit die Kliniken bis zur Reform überleben.
Aber weshalb geht es denn den Krankenhäusern überhaupt so schlecht und weshalb greift Bayern nicht selbst ein, wenn der Staatsregierung der Erhalt der Kliniken so wichtig ist?
Die Lohn- und Sachkosten steigen überall, auch in den Kliniken. Die Erstattungsbeträge sind aber nicht gestiegen. Wenn man für das gleiche Angebot an Dienstleistungen ständig mehr ausgeben muss, als man damit verdient, klappt das nicht auf Dauer. Bayern leistet mit dem Härtefallfonds seinen Beitrag. Und für die Betriebskosten der Krankenhäuser ist nun einmal der Bund zuständig - die Mehrkosten dort können die Länder nicht übernehmen, weil sie es auch gar nicht dürfen.
Kommunale Häuser werden über Kreishaushalte teils massiv subventioniert. Frei gemeinnützige Kliniken, die überdurchschnittlich oft in die Insolvenz rutschen, haben diese Chance nicht. Ist das fair?
Es geht doch um das Grundproblem, dass die Refinanzierung nicht mehr passt. Auch kommunale Träger haben nicht unendliche Ressourcen, um Defizite auszugleichen, zumal sie die erforderlichen Krankenhäuser betreiben müssen. Aber noch mal: Es ist die Aufgabe des Bundes, endlich zu handeln. Das hat auch nichts mit Parteipolitik zu tun. Im Bundesrat waren sich die Länder einig, dass der Bund aktiv werden muss, um einen kalten Strukturwandel bei den Kliniken zu verhindern.
"Die Länder haben die Planungshoheit bei der Krankenhausversorgung - und die lassen wir uns nicht nehmen."
Sie sagen kalter Strukturwandel - und Sie meinen ein Kliniksterben. Die Klinikdichte in Deutschland ist nach Österreich die höchste in Europa. Haben wir einfach zu viele (kleine) Krankenhäuser?
Eine solche Frage hätten Sie mir wahrscheinlich vor zwei Jahren während der Corona-Pandemie nicht gestellt! Schon in Deutschland sind die Klinikstrukturen von Land zu Land unterschiedlich, weil eben auch die Anforderungen und Herausforderungen in einem Stadtstaat andere sind als in einem Flächenland wie Bayern. Die Länder haben die Planungshoheit bei der Krankenhausversorgung - und die lassen wir uns nicht nehmen.
Ein großes Problem im Gesundheitsbereich sind die Sektorengrenzen, also die strikte Trennung von stationär und ambulant. Widerspricht das nicht der Idee, das Wohl der Patienten ins Zentrum zu stellen?
Es wird auf jeden Fall so sein, dass die beiden Sektoren sich künftig mehr überlappen müssen. Das soll aus Sicht des Bundes schon allein dadurch geschehen, dass der ambulante Sektor bei den Krankenhäusern durch die anstehenden Reformen enger verzahnt werden soll. Wichtig sind mehr Möglichkeiten sowohl für stationäre als auch ambulante Leistungserbringer bei gleichen Bedingungen, vor allem auch bei der Vergütung. Bevor wir solche Reformen aber angehen, müssen wir die Auswirkungen kennen. Hier muss Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) noch erheblich nacharbeiten.
Die Diakonie Passau ist insolvent, die Diakoneo-Klinik Neuendettelsau schließt ihr stationäres Angebot und das wird erst der Anfang sein. Wollen und können Sie frei gemeinnützigen Trägern unter die Arme greifen?
Wir in Bayern sind - und das waren wir schon in den letzten Jahren - ein starker Partner für die Krankenhäuser. Was die Kliniken angeht, tun wir als Staatsregierung, was wir dürfen und können. Im Bereich der Investitionskosten haben wir die Krankenhäuser in Bayern in den vergangenen zehn Jahren mit fünf Milliarden Euro unterstützt, dieses Jahr sind es allein 643 Millionen Euro. Außerdem gibt es in 2023 einen Härtefallfonds. Das wird aber nicht alle Kliniken in Not retten, solange der Bund bei den Betriebskosten keine Hilfen anbietet.
Den Krankenhäusern geht es aber ja nicht erst seit Amtsantritt der Ampel-Koalition schlecht. Zwischen 2013 und 2021 lag die Verantwortung für das Bundesgesundheitsministerium bei den Unionsparteien...
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin absolut für eine Krankenhausvergütungsreform. Da sind sich auch alle Bundesländer einig. Deswegen treffen wir uns regelmäßig auch mit dem Bundesminister und versuchen, gute Lösungen zu finden. Aber das, was Lauterbach zuletzt in der Bund-Länder-Gruppe gemacht hat, also nur mündlich Änderungsvorschläge vorzutragen, das ist nicht seriös. So verlieren wir wichtige Zeit. Und die Verantwortung dafür liegt bei ihm.
Sie haben vorhin selbst gesagt, Digitalisierung sei auch für den Gesundheits- und Pflegebereich wichtig. Aber Digitalisierung gibt es selten zum Nulltarif. Kurzum: Wer soll das alles bezahlen?
In Bayern haben wir dazu ganz verschiedene Förderprogramme aufgelegt, die alle gut angenommen werden. Ich denke auch nicht, dass es am Ende an der Finanzierung scheitert. Wir müssen den Nutzen einer Digitalisierung manchmal noch besser erläutern, etwa beim Projekt "Virtuelles Kinderkrankenhaus". Statt einzelne Kliniken nach freien Betten abzutelefonieren, können die anderen Kliniken online sehen, wo freie Kapazitäten sind.
Themenwechsel: Amtsvorgänger und auch Sie sind entschiedene Gegner der Cannabis-Legalisierung. In drei Sätzen: Glauben Sie, durch ein Festhalten am Verbot lässt sich irgendjemand vom Kiffen abhalten?
Ich glaube, dass durch eine Legalisierung von Cannabis eine gefährliche Verharmlosung geschieht. Denn wenn der Staat durch eine Legalisierung quasi offiziell die Erlaubnis zum Konsum gibt, kann bei den Menschen das Gefühl entstehen: "Wird schon nicht so schlimm und schädlich sein!"
Wir wissen aber, dass das insbesondere für Jugendliche und für Heranwachsende gerade nicht gilt. Denn für junge Menschen geht der Konsum von Cannabis mit besonders gravierenden gesundheitlichen Risiken einher. Ich halte eine Legalisierung daher für falsch - und wir werden als Staatsregierung alle rechtlichen Möglichkeiten dagegen ausschöpfen.
"Wir dürfen der Legalisierung weiterer Suchtmittel überhaupt keinen Vorschub leisten."
Experten raten, auch den Alkoholkonsum einzuschränken, den Zugang gerade für junge Menschen zu erschweren. Wäre so etwas im Bierland Bayern überhaupt umsetzbar?
Das wäre nicht nur in Bayern kaum umsetzbar, sondern überall. Denn es ist wahnsinnig schwierig, Dinge wieder zurückzunehmen oder einzuschränken, sobald sie einmal erlaubt sind. Das ist auch eines meiner Hauptprobleme mit der Cannabis-Legalisierung. Man kann das nicht einfach ausprobieren und dann wieder zurückdrehen. Wir dürfen daher der Legalisierung weiterer Suchtmittel überhaupt keinen Vorschub leisten.
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