Aus politischen oder rassischen Gründen wurden Menschen im NS-Regime brutal verfolgt. Millionen starben in Konzentrationslagern (KZs). Im Seminar "Die Konzentrationslager-SS - warum man das Verbrechen als Beruf wählte" geht es ab Montag (12. Juni) bis zum 16. Juni in der Georg-von-Vollmar-Akademie in Kochel am See um die Entwicklung der über 1.000 NS-Konzentrationslager.

Im Mittelpunkt steht die Frage, wer jene Männer waren, die in der Lager-SS Dienst taten. Außerdem wird analysiert, wie sich die Erinnerungskultur in Bezug auf diesen Aspekt der Geschichte entwickelt hat.

Wie konnten junge Männer empfindungslos grausam sein?

Christl Wickert (70) ist Historikerin aus Niedersachsen und leitet das Seminar. In den vergangenen 15 Jahren realisierte sie den Angaben zufolge Projekte in den Gedenkstätten Sachsenhausen, Neuengamme und Ravensbrück. In den von ihr mit erarbeiteten Ausstellungen in Neuengamme und in der ehemaligen Zentrale der Inspektion der KZs in Oranienburg geht es dezidiert um die KZ-SS.

Wie die jungen Männer in der Lager-SS so empfindungslos ihrem grausamen Job nachgehen konnten und welche Berufschancen die KZs ihnen eröffneten, erläutert Wickert im Gespräch mit dem Sonntagsblatt.

Frau Wickert, man fragt sich, wie groß der Judenhass gewesen sein muss, dass jemand bereit war, in der Lager-SS mitzuwirken. Warum wählten so viele Männer einen Beruf, der derart menschenverachtend war?

Christl Wickert: Antisemitismus ist nur einer von mehreren Gründen, warum sich Männer der SS anschlossen. Die SS bot ihnen berufliche Aufstiegschancen, die sie aufgrund ihrer Qualifikationen sonst nirgendwo gehabt hätten. Wer in der Wehrmacht Offizier werden wollte, musste Abitur haben. Das galt bei der SS nicht. Hier musste man lediglich eine rassisch einwandfreie Herkunft nachweisen, 18 Jahre alt und mindestens 1,70 Meter groß sein. Ein Gärtner konnte also KZ-Kommandant werden. Allerdings gingen nicht alle freiwillig in den KZ-Dienst. Ich kenne Beispiele von Männern, die hierzu abgeordnet wurden. Es war jedoch möglich, sich aus dem KZ-Dienst wieder weg zu bewerben.

Die Mitglieder der Konzentrationslager-SS hingen also nicht unbedingt der wahnwitzigen Idee einer, wie es im NS-Jargon hieß, Endlösung der Judenfrage an?

Das stand vermutlich nicht im Vordergrund. Ob, sagen wir, ein Glaser, der zur Lager-SS ging, von der Wannsee-Konferenz wusste, ist sehr fraglich. Für einfache Gemüter waren neben den Karrierechancen die Möglichkeit, politisch Andersdenkende zu bestrafen, und sich als Vertreter einer neuen, rassisch höherwertigen Elite zählen zu können, wichtig. Mit Kriegsbeginn war der KZ-Einsatz auch weniger gefährlich als an der Front. Es waren also auch "Drückeberger", die sich entschlossen, zur Konzentrationslager-SS zu gehen.

Für die Opfer des Faschismus in der NS-Zeit, zu denen ja auch die Nachfahren der Ermordeten zählen, ist die Aufarbeitung der Geschichte äußerst wichtig. Wie sieht es denn mit der Aufarbeitung in Bezug auf die Lager-SS aus?

Die nachfolgenden Generationen der Täter spüren, dass etwas nicht stimmt. Ich habe schon mehreren Kindern und Enkeln geholfen, sich in den Archiven auf die Spuren ihrer Ahnen zu begeben. Die Ausstellung zur Lager-SS in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme endet mit Interviews mit Enkeln und einer Tochter von Tätern darüber, wie es war, herauszufinden, was ihre Vorfahren getan haben.

Warum die Männer aus der Lager-SS gehandelt haben, wie sie handelten, werden wir im Übrigen wohl niemals in der Tiefe erklären können. Ich habe Männer aus der Lager-SS kennen gelernt, die zu mir sagten, dass sie sich das heute selbst nicht erklären können. Wahrscheinlich sagen sie das, um sich zu schützen. Auch sich selbst gegenüber. Das Bedürfnis nach Aufarbeitung scheint jedoch unglaublich groß zu sein. Noch bevor wir Werbung gemacht hatten, war unser Seminar in Kochel zum Beispiel ausgebucht. Das hat mich völlig überrascht. Wir überlegen nun, es noch einmal anzubieten.

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