Hochbetrieb in der Backstube Schöllkopf im schwäbischen Waiblingen: Im Sekundentakt schneidet eine Teigbandanlage Dinkelteig in Brötchenform, eine Maschine schlingt aus Teigwürsten Brezeln, in einer riesigen Schüssel wird rund 160 Kilo Teig geknetet. "Wir produzieren wöchentlich 33 bis 35 Tonnen Backwaren, die wir hoffentlich dann auch alle verkaufen", sagt Bäckermeister Julian Schöllkopf, schwarz-weiß karierte Bäckerhose, schwarzes Kopftuch.

Exakt das ist die Kunst: "Wir müssen möglichst genau einschätzen, wie viele Brötchen und andere Backwaren für den nächsten Tag gebacken werden müssen, damit wenig übrigbleibt, die Kunden aber bis zum Abend eine schöne Auswahl haben und nicht vor leeren Theken oder Regalen stehen müssen", erläutert der 27-Jährige.

1,7 Millionen Tonnen Backwaren wandern jedes Jahr in den Müll

Nach einem Report des Thünen-Instituts werden in Deutschland jedes Jahr rund 1,7 Millionen Tonnen Backwaren zu Lebensmittelabfall, ein gutes Drittel davon entsteht durch Retouren in Bäckereien, also durch unverkaufte Waren. Manche Bäcker verkaufen Brot vom Vortag zum halben Preis, bieten es über die App "Too good to go" an oder geben es wie die Bäckerei Schöllkopf an Tafelläden. Doch in vielen Fällen landet ein Großteil der unverkauften Backwaren am Ende in Biogasanlagen - eine ungeheure Verschwendung.

Es geht also darum, die Nachfrage genauer vorherzusehen. Bisher plant die Mehrheit der Bäckereien auf der Grundlage von Zahlen aus der Vergangenheit und etwas Bauchgefühl die Bestellmenge für die Backstube. Doch es geht auch anders: Seit Dezember 2021 testet Schöllkopf gemeinsam mit fünf anderen größeren Bäckereibetrieben in Baden-Württemberg die Software "BäckerAI", die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz möglichst genau vorhersagen will, wie viele Backwaren die jeweiligen Bäckereien am kommenden Tag benötigen. Mittlerweile haben etwa 15 Bäckereibetriebe begonnen, diese Software zu verwenden.

Dank Algorithmen sollen weniger Backwaren übrig bleiben

"Je besser unsere Algorithmen sind, desto weniger Lebensmittel landen in der Tonne und desto mehr Geld und Zeit spart der Bäcker", erklärt Wirtschaftsinformatiker Franz Seubert, der die Idee zur "BäckerAI" hatte. Gemeinsam mit Fabian Taigel und Jan Meller, die beide an der Universität Würzburg zum Thema Künstliche Intelligenz forschen, hat er im Februar 2021 die Firma "PlanerAI" mit Sitz im baden-württembergischen Großrinderfeld nahe der Grenze zu Unterfranken gegründet, die die Software programmiert hat.

Ähnliche KI-Programme für Bäckereien heißen FoodTracks oder Foodforecast. Mit deren Hilfe kann der Computer - vereinfacht gesagt - aus einer großen Menge von Daten Muster erkennen, die die Planung erleichtern.

Faschingskrapfen und Co.: Künstliche Intelligenz berücksichtigt auch saisonale Angebote

Bei der "BäckerAI" liegen der Bestellvorhersage Daten wie Wetter oder Ferienzeiten zugrunde, aber auch Erfahrungswerte aus der Vergangenheit wie Retourenquoten. Auch Werbeaktionen werden berücksichtigt oder Saisonartikel wie Berliner. Wenn diese beispielsweise in der Winterzeit im Sortiment sind, wird einkalkuliert, dass deshalb anderes süßes Gebäck in geringerer Zahl produziert werden muss.

Auf dieser Grundlage berechnet der Computer eine Prognose für jeden Tag. Insgesamt könne mithilfe der Software rund ein Viertel der Rückläufe eingespart werden, sagt Seubert. Ziel sei, in den nächsten fünf Jahren die Lebensmittelverschwendung bei seinen Kunden zu halbieren.

Die Bäckerei Schöllkopf beliefert neben ihren eigenen Filialen im Landkreis Ludwigsburg auch 25 Filialen eines Lebensmittel-Discounters. Für die Bestückung dieser Brotregale verwendet Julian Schöllkopf die "BäckerAI". Die Bestellvorhersage der Software werde täglich automatisch in das Betriebssystem der Bäckerei eingespielt. "Man sieht dann ganz genau, in welche Filiale wie viele Kisten von Brötchen und anderen Backwaren kommen." Was abends übrigbleibe, werde gezählt und wieder ins System eingegeben.

Einsatz von KI spart Ressourcen und Zeit des Bäckers

Noch könne er wegen der kurzen Laufzeit nicht genau sagen, wie viele Backwaren die Künstliche Intelligenz einspare. Aber durch den schnelleren Bestellvorgang sei schon jetzt klar, dass er täglich etwa eine Dreiviertelstunde Zeit gewinne, sagt Schöllkopf.

Aber er warnt auch: Durch die Nachtarbeit und das tägliche Geschäft habe jeder Bäcker bereits viel Stress. "Wenn sich dann niemand um die Pflege der Daten kümmert, dann hilft die Software auch nicht und ist nicht erfolgreich."

Seubert sieht in Nutzung von KI großes Potenzial: Im Prinzip funktioniere die Software nicht nur für Backwaren, sondern für alle Lebensmittel mit einer kurzen Haltbarkeit wie Fleisch- und Wurstwaren, Obst und Gemüse oder abgepackte Produkte wie Fertigsalate oder Sushi, sagt er. Langfristig könne Künstliche Intelligenz so helfen, dass weniger Essen bereits im Laden weggeworfen werden müsse. Genau das motiviere auch das Gründertrio von" BäckerAI": "Je besser wir sind, desto besser können wir die Umwelt schonen."