Gewaltfreie Kommunikation - was ist das eigentlich? Unser Gastautor Pfarrer Markus Merz aus Bad Aibling erklärt, worum es geht und wie wir lernen können, besser mit anderen Menschen zu kommunizieren.

Gewaltfreie Kommunikation

Gute Wünsche – wer braucht die nicht? Sich-einander-Gutes-Wünschen ist doch eine wunderbare Eigenschaft von Menschen! Wer im Rathaus in Bad Aibling vorbeikam, konnte einen solchen Wunsch mitnehmen. Denn Grundschulkinder haben dort "Gute-Wünsche-zum-Mitnehmen" an einer Leine angeheftet.

Und wer wollte, konnte auch selbst einen Wunsch hinterlassen. Die Wünsche der Kinder – oft bunt bemalt – lauteten zum Beispiel so: "Ich wünsche dir viel Spaß im Leben" - "Du bist einmalig" - "Ich hoffe, dass die Sonne scheint" - "Du kannst dich auf mich verlassen" - "Mach, was du möchtest. Niemand zwingt dich." 

Die Kinder drückten damit in ihren Worten etwas aus, was Erwachsene eher in so großen Begriffen wie Wohlwollen, Freude, Vertrauen oder Autonomie fassen würden. Abstrakte Worte, die gelingende Kommunikation widerspiegeln. Wie wünsche ich mir denn, dass andere Menschen mich behandeln, damit Kommunikation gelingt?

Die Goldene Regel der Kommunikation

Wir freuen uns ja, wenn andere auf uns respektvoll, ehrlich, offen und Mut machend zugehen. Nur: Was ist die Voraussetzung dafür, dass sie auch Lust dazu haben und motiviert sind, sich so zu verhalten?

Eigentlich klar: Dass auch wir ihnen so begegnen und das leuchtet vielen Menschen sofort ein. So etwas lebt von der Gegenseitigkeit. Manchen fällt da die Goldene Regel ein:

"Behandle Deine Mitmenschen so, wie Du von ihnen behandelt werden willst."

Bei den Wünschen der Kinder war übrigens eine Karte, auf der die Erdkugel gemalt war und darüber der Satz: "Das ist die Welt". Diese Karte gefällt mir gut, da ich in ihr den Wunsch nach der einen Wirklichkeit entdecke, an der wir gemeinsam Anteil haben: Dass Menschen gemeinsam in einer Welt leben und darin nicht nebeneinander oder gegeneinander arbeiten. Dass Menschen eine Sprache sprechen, in der sie sich einander verstehen.

Ein von einem kleinen Kind gemaltes Bild. Oben steht mit Buntstiften gemalt in blau "Das ist die Welt". Darunter ist die Weltkugel abgebildet mit einem sehr großen zusammenhängenden blauen Anteil und vier kleineren grünen Flecken. Links unter der Erde ist in Gelb die Sonne zu erkennen.

Nur: Wie gelingt uns das? Marshall Rosenberg gibt zu diesem Wunsch eine Antwort. Die Gewaltfreie Kommunikation, die er entwickelt hat, regt zu einer Haltung an, die Wertschätzung ausdrückt und zu einer Sprache, die Verbindung herstellt. 

Wenn Menschen etwas tun, was mir gar nicht passt

Es gibt ja genug Situationen, in denen wir uns über das Verhalten einer anderen Person ärgern. Fragen wir uns doch einmal: Wie kommt denn jemand auf mich zu, dass ich nicht gerne mit ihm zu tun habe? Was genau macht er, dass sich in mir eine innere Sperre aufbaut?

Verschiedene Stimmen dazu:

  • "Nicht auszuhalten, wenn jemand nicht zuhört und redet und redet und nur an seinen nächsten Satz denkt. Ich klinke mich dann aus."
  • "Ich kann es gar nicht leiden, wenn mir jemand sagen will, was ich zu tun habe. Ich bin dann echt wütend."
  • "Schlimm, wenn Leute einen nicht ausreden lassen und ins Wort fallen."
  • "Mich blockiert es, wenn ich merke, dass mich jemand zu etwas bringen möchte. Das ist ja wie manipuliert werden."

Solche Sätze sind eher dazu geeignet, eine Grenze aufzubauen. Kann sein, dass ich dennoch höflich meine Rolle spiele. Verbindung entsteht da aber nicht. Wahrscheinlicher ist es, dass ich allenfalls dem Willen des anderen entspreche und mich zugleich aber ärgere. Lust auf Kooperation bekomme ich so nicht.

Die "Kommunikationssperren" von Thomas Gordon

Das bringt uns zu den sogenannten "Kommunikationssperren", wie Thomas Gordon sie einmal formuliert hat. Gordon gehört zu den Pionieren der humanistischen Psychologie. Seine Überzeugung: Menschen, die in einem fürsorglichen und freiheitlichen Klima aufwachsen, lernen Verantwortung zu tragen und sie lernen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Sätze und Haltungen, die nach seiner Erfahrung Motivation zum Abbruch bringen, nennt er "Kommunikationssperren". Für ein gutes menschliches Miteinander sind sie nicht günstig. Wir erleben sie letztlich als eine gewalttätige Sprache. 

Ein paar Beispiele: Da ordnet mir jemand etwas an und sagt: "Hör‘ auf damit; da bist du auf dem falschen Weg!" – das klingt ja wie eine Bevormundung. Oder der Vorwurf: "Wenn Du das nicht getan hättest, dann wäre es so nicht gekommen." Oder wenn sich der Fachmann meldet und sagt: "Am besten wäre es doch, wenn du …" Da ist so ein Gefälle zu spüren und ich werde zum Adressaten guter Vorschläge. Klar: Vorschläge bekommen, muss keine Kommunikationssperre sein. 

Vorschläge im Alltag

Nur kommen Vorschläge im Alltag oft zu früh - manchmal zu einem Zeitpunkt, zu dem ich noch gar nicht bereit bin, über Lösungen nachzudenken. Wenn ich zum Beispiel nervös meinen Schlüssel suche, würde mir der Hinweis auf den Fundort meines Schlüssels helfen. Ich mag in genau diesem Augenblick nicht den Tipp bekommen, dass ein Schlüsselbrett die Lösung meines Problems sein könnte.

Da gibt es übrigens noch so einen Satz, der eher Widerstand erzeugt:  Sagen wir einmal, mir passiert etwas  unangenehmes - ich habe den Zug verpasst oder eine Prüfung nicht bestanden - und der andere will mich trösten und sagt dann: "Das hat doch auch sein Gutes." Das kann dann echt zu schnell sein und ich mag das gar nicht hören. 

Die Kommunikationssperren nach Thomas Gordon beschreiben eine Sprache, die Grenzen aufbaut und die letztlich gewalttätig wirkt. Im Umkehrschluss kommen wir auf die Spur, wie wir miteinander gut kommunizieren können. 

Giraffensprache und Wolfssprache

Ich kann so kommunizieren, dass Sperren aufgebaut werden und Fremdheit entsteht oder ich kann so kommunizieren, dass ich Verbindung suche und mich öffne. Marshall Rosenberg hat für beide Sprachen eine eigene Bezeichnung gefunden: Er hat die eine Wolfssprache und die andere Giraffensprache genannt.

Der Wolf

Der Wolf steht für die bewertende Haltung. Er kann nicht einfach nur sehen und hören, sondern er heult sofort los, wenn ihm etwas nicht passt oder wenn ihm etwas fehlt. Er zeigt dann sein großes und angsteinflößendes Gebiss. 

Die Giraffe

Dem gegenüber steht die Giraffe. Sie symbolisiert die einfühlsame Kommunikation. Wer sich in der Tierwelt auskennt, mag gehört haben, dass die Giraffe das größte Herz unter den Säugetieren hat. Das braucht sie ja auch, damit der Blutkreislauf den langen Weg zum Kopf schafft. Über ihren langen Hals kann sie sich den Dingen zuwenden und den verstehenden Überblick suchen. Diese beiden Symbole und Sprachen stehen nicht etwa für Gut und Böse, sondern für unterschiedliche Sichtweisen.

Der Wolf fordert durch sein Geheule heraus und die Giraffe ist seine Versteherin, wenn sie dafür Worte sucht, was im Wolf vorgeht. Wenn also der "Wolf" Wertungen ausspricht, Dinge verallgemeinert und Forderungen stellt oder wenn er sich selbst oder andere als Opfer begreift und Verantwortung von sich schiebt, merken wir, dass gerade etwas in ihm unrund ist und ein Bedürfnis in ihm nicht erfüllt ist. 

Der Wolf stößt so einen wichtigen Klärungsprozess an. Genau hier braucht er nämlich die "Giraffe": Sie schaut hin, spürt genau hin und gibt sich mit pauschalen Hinweisen nicht zufrieden. Sie will genau wissen, welches Bedürfnis gerade in Schieflage ist. So übernimmt sie Verantwortung und stellt Verbindung her. 

Die beiden Sichtweisen können sich so ausdrücken:

  • "Niemand wollte mir zuhören. Die sind alle so rücksichtslos!"
  • Als "Giraffe" hören, bedeutet, die Mitteilung des "Wolfes" zu übersetzen und beispielsweise zu sagen: 
  • "Du bist enttäuscht? Dir war es wichtig, loszuwerden, wie es dir da ging, oder?"

Ein anderes Beispiel:

  • "Das ist ja unerhört! Wie konntest du nur so schlampig arbeiten?"
  • Als "Giraffe" hören, bedeutet, die Mitteilung des "Wolfes" zu verstehen und nicht sogleich in Rechtfertigung einzusteigen, sondern zunächst den Sachverhalt und das unerfüllte Bedürfnis verstehen wollen: 
  • "Geht es dir um das Ergebnis unserer Arbeit gestern? Kannst du mir bitte sagen, was du genau damit meinst?" 

Wolf und Giraffe sind übrigens beide in uns selbst zu finden; sie sind Teil der eigenen Kommunikation mit uns selbst und mit anderen. 

Giraffenohren in uns suchen das dahinterliegende Anliegen in allem Wolfsgeheul. Wer die Sprache der Giraffe trainiert, übt sich darin, dem anderen in einer tieferen Weise Aufmerksamkeit zu schenken. Durch die Übersetzungsleistung der Giraffe werden die Botschaften des Wolfs verständlich.

Wolfssprache und Giraffensprache

Die beiden Sprachen – die Giraffensprache und die Wolfssprache - sind in uns selbst präsent! Letztlich übe ich mich darin, welche Ohren ich mir selbst aufsetze und mit welchen Ohren ich anderen zuhöre – und von daher: Welche Sprache ich spreche und welche Handlungen ich wähle.

Nehmen wir einmal folgendes Beispiel: 

  • Ich habe zum Fest eingeladen. Mehr Gäste sind gekommen, als ich erwartet habe. Beim Buffet war die Hauptspeise schon weg, bevor alle nehmen konnten. Wie könnte der innere und äußere Wortwechsel in mir selbst aussehen?
  • "Jetzt nimm mal das Buffet nicht so wichtig. Habt Ihr nichts zuvor gegessen?"
  • "Ich habe nicht ausreichend vorgesorgt. Ich bin ein schlechter Gastgeber."
  • "Ich wollte einfach alle willkommen heißen. Ich tue mich schwer, Grenzen zu setzen."
  • "Ihr hättet gerne mehr gegessen. Ich bedaure, dass ich nicht mehr vorbereitet habe."

Ein anderes Beispiel:

  • Als Lena zur Verabredung kommt, sitzt Arthur schon längst da. Arthur sagt:
  • (zu Lena vorwurfsvoll) "Wo steckst so lange? Du bist auch nie pünktlich!"
  • zu sich selbst: "Ich bin ihr nicht wichtig. Ich bin ja auch wirklich ein Langweiler."
  • zu sich selbst: "Ich bin traurig. Mir ist jetzt Klarheit wichtig: Hat sie dieselben Erwartungen wie ich?"
  • (bei Lena nachfragend) "Ich bin jetzt schon 20 Minuten hier. Was hattest du verstanden, was wir ausgemacht haben?"

Mit welchen Ohren höre ich?

Wenn wir genau hinhören, merken wir: Da drückt sich eine innere Dynamik von Wolfsohren und Giraffenohren aus. Letztlich gibt es da vier Sprecher:

  • Wolfssprache nach außen: "Mit dem anderen stimmt was nicht"
  • Wolfssprache nach innen: "Mit mir stimmt etwas nicht"
  • Giraffensprache nach innen: Was fühle und brauche ich? Es geht um Verständnis für mich selbst.
  • Giraffensprache nach außen: Was fühlt und braucht der andere? Es geht um Verständnis für den anderen.

Hier geht es also um folgende Dynamik: Der Wolf nach außen hin antwortet mit einem Vorwurf / der Wolf in mir bewertet sich selbst, schämt sich und rechtfertigt sich / die Giraffe nach innen hin ist wie der klassische Hinweis bei Druckabfall im Flugzeug "Sauerstoffmaske zunächst selbst anziehen" – denn erst Selbstempathie macht die Empathie für andere möglich / und schließlich – umso mehr, wenn ich die anderen Stimmen in mir durchlaufen habe: Die Giraffe nach außen steht für die Empathie für andere.

Unerfüllte Bedürfnisse

Für manche ist ja der Wolf in uns sehr vertraut: "Ich kann das ja nie" – sagt er. "Ich bin ja nichts wert" "Ein Einzelner kann da eh nichts tun" "Ich bin nicht gut genug" Wer sich in der Gewaltfreien Kommunikation einübt, trainiert hingegen die eigene Giraffensprache. Wir greifen unsere Selbstvorwürfe auf und transformieren sie. Wir suchen das unerfüllte Bedürfnis in uns und beginnen, uns selbst zu verstehen.

Das größte Geschenk der Giraffe ist das Suchen und Benennen des Bedürfnisses, das in uns unerfüllt ist. Es ist nicht Aufgabe der Giraffe, Lösungen zu präsentieren – das macht ja gerne der Wolf! – sondern es ist die Gabe der Giraffe, einen Verstehensprozess anzustoßen. Habe ich einmal das Bedürfnis benannt, das in mir oder im anderen in Schieflage ist, stellen sich Lösungen von alleine ein – so die Überzeugung der Gewaltfreien Kommunikation.

Der Wolf gibt keine Ruhe. Durch die Giraffe in uns will er verstanden werden. Alle Fremdheit und alles Harte kann einen wirksamen Prozess anstoßen, wenn es gelingt, zu den dahinterliegenden Werten und Bedürfnissen zu gelangen. 

Man könnte auch einen Schritt weitergehen: Dunkle Stimmen in uns und um uns lassen wir zu. Wir wertschätzen diese, weil sie uns Zugang zu einem vitalen Teil von unseres selbst geben. Daher nicht einfach weg¬drücken: Der Wolf will gehört werden!


Denken wir noch einmal an die ersten Kommunikationssperren – wie könnte es denn anders sein?

Die Gewalt­freie Kommunikation nach Marshall Rosenberg ist die Einübung in eine Haltung, mit anderen Ohren zu hören und an einer Sprache zu arbeiten, die Wertschätzung und Verbindung möglich macht.