"Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein Riesensprung für die Menschheit." So kommentiert der Astronaut Neil Armstrong einen Meilenstein der menschlichen Erforschungsfreude und der Technikbegeisterung. Die Apollo 11 landet auf dem Mond. Und Armstrong ist der erste Mensch, der seinen Fuß auf dieses Gestirn setzt. 50 Jahre ist das her. Die Mondlandung, die Raumfahrtechnik überhaupt – als habe es eines Beweises bedurft, wozu Menschen in der Lage sind: hier ist er. Immer wieder.

Man sollte doch meinen, wenn die Menschheit zu solchen Leistungen wie der Raumfahrt in der Lage ist, und das ist sie: wir sehen es täglich. Wenn also die Menschheit zu solchen Leistungen in der Lage ist, dann muss man sich fragen: Warum gibt es Herausforderungen, an denen die Menschheit regelmäßig scheitert?

Hunger hat viele Gesichter

Der Hunger in der Welt ist so eine Sache.

Natürlich: So pauschal stimmt das nicht. In unserem Land gibt es keinen Hunger mehr. Die Generation unserer Eltern und Großeltern hat ihn noch erlebt: durch den Krieg, der viele zur Flucht gezwungen hat. Durch die Weltwirtschaftskrise, die das Geld einfach gefressen hat. Am Morgen von der Bank geholt, am Abend nur noch wert, zum Anschüren des Ofens verwendet zu werden.

Bis ins 19. Jahrhundert kommt es in Mitteleuropa immer wieder zu Hungersnöten. Zum letzten Mal im Jahr 1816, dem Jahr ohne Sommer. Der Ausbruch eines Vulkans in Südostasien hatte zu einer Klimaveränderung geführt: Schnee mitten im Sommer. Ernteausfälle. Getreidepreise, die über dem dreifachen des normal Üblichen liegen. Für Reiche mochte das zu verschmerzen sein. Aber für die Armen – eine Katastrophe.

Zum Glück: Diesen Hunger, diesen nagenden Hunger, der den Magen quält und den Kopf leer macht, muss heute niemand mehr bei uns erleiden.

Und doch: Es gibt riesige Unterschiede. Da gibt es die einen – und da zähle ich mich durchaus dazu – denen geht es ausgesprochen gut. Natürlich fällt das Geld nicht vom Himmel, wir arbeiten dafür auch ordentlich. Aber – wäre ich nicht so ein Sorgenbrötchen – müsste ich mir materiell keine Sorgen machen. Für das tägliche Brot reicht es sowieso, für vieles andere auch. Und wenn in einem Monat die Waschmaschine und kurz danach auch noch der Kühlschrank kaputtgehen, muss ich schlucken. Ein Beinbruch ist es nicht.

Andere gibt es wie jene Frau, die mir ihre Geschichte erzählt hat. Ausbildung zur Bankkauffrau, ein guter Job in der Bank. Mitte dreißig will sie unbedingt ein Kind, der Vater macht sich noch vor der Geburt aus dem Staub. Wegen des Kindes reduziert sie in der Arbeit die Stunden. Dann kommt es in der Bank zu Entlassungen – und weil sie nicht bereit ist, mehr zu arbeiten, wird sie entlassen. Sie lässt sich umschulen und findet danach trotzdem nichts, weil sie noch immer zeitlich gebunden ist. Endlich eine Halbtagsstelle in einem Büro, nicht besonders gut bezahlt. Befristet, aber mit einer guten Aussicht auf eine Festanstellung. Sie wird zur Hartz-4-Aufstockerin. Dabei ist sie sehr tüchtig, tut, was sie kann, arbeitet mehr als nötig. Als ihr allerdings das Weihnachtsgeld voll auf die Hartz-4-Leistungen angerechnet wird, muss sie weinen. Schließlich findet sich ein Weg – die Stelle wird aufgestockt, auf 75%. Damit ist sie raus aus der staatlichen Unterstützung. Große Sprünge gehen jetzt natürlich auch nicht – die Wohnung ist klein und sehr beengt. Sie muss nach wie vor jeden Cent zweimal rumdrehen.

Von Hunger ist auch diese Frau weit entfernt, aber: Keinen Hunger zu haben ist nicht alles. Es gibt große Unterschiede. Auch bei uns.

Weltweit allerdings – da ist der Hunger ein großes Thema. Jeder 9. Mensch auf der Welt leidet an Hunger. Natürlich nicht alle an akutem Hunger, der auf Naturkatastrophen folgt. Wo ein Wirbelsturm die Ernte zunichtemacht, wegen einer Dürre der Mais auf den Feldern verdorrt. Menschen und Tiere an Hunger sterben. Die meisten leiden an Fehl- und Mangelernährung. Diesen Hunger kann man sehr genau lokalisieren. Nur bestimmte Länder sind davon betroffen. Sie liegen alle südlich der Sahara in Afrika und in Südasien. Und zwar nicht erst seit gestern oder vorgestern, sondern schon seit langem. Ich entsinne mich an die Bilder meiner Jugend: Bis auf die Knochen abgemagerte Kinder in Bangladesch. In dieser Zeit entstand auch das Lied "Streets of London". Ein Spaziergang durch die Straßen einer Großstadt. Auch hier wohnen Hunger, Einsamkeit, Ausgrenzung.

Bis 2030 soll der Hunger in der Welt ein Ende haben – das ist das erklärte Ziel der Welternährungsorganisation. Nur – wie soll das gehen? Mir erscheint das wie ein schöner Traum, eine Fantasie ohne Anhalt in der Wirklichkeit. Kann man den Kampf gegen Windmühlen denn wirklich gewinnen?

Sind nicht Kriege und Korruption, Armut und Landraub so weit verbreitet, dass der Hunger fast wie ein Naturgesetz erscheint? Mir scheint, wir haben uns fast daran gewöhnt. Nach dem Motto: Hunger gibt es halt. Er hat viele Gründe, ist ein komplexes Problem. Und – er ist auch weit weg.

Zum Glück gibt es viele, die sich nicht damit abfinden. Den Hunger bekämpfen. Und die neueste Technik dafür einsetzen. Es beginnt damit, genau hinzusehen. In Indien und anderen Orten: Welches Kind ist normal ernährt, welches Kind zeigt Zeichen von Fehlernährung und wo herrscht der Mangel? Was kompliziert klingt, kann man ganz leicht erkennen, wenn man eine App benutzt, die den Körperumriss eines Kindes aufzeichnet und ihn mit einem Normalmaß vergleicht. Davon wird zwar noch keiner satt, aber das ist die Grundlage für die weiteren Schritte. Manchmal ist es schlichtes Unwissen, wie eine richtige Ernährung aussieht. Manchmal fehlt es tatsächlich an den Mitteln. Aber auch da kann man helfen

Ob wir es schaffen, den Hunger wirklich zu besiegen? Werden wir an den Punkt kommen, dass wir über Erzählungen und Geschichten, die vom Hunger handeln, fragend den Kopf schütteln und erst einmal Google fragen müssen – was das denn ist, der Hunger? Ich weiß es nicht, aber ich hoffe es. Bis zu diesem Zeitpunkt jedoch ist uns eine Geschichte aus dem Johannesevangelium, die ich gleich erzählen möchte, fremd, aber nicht unverständlich.

Spuren von Hunger in den biblischen Geschichten

Vielleicht ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass ziemlich viele Geschichten in der Bibel mit Hunger zu tun haben. Oder anders gesprochen: Wenn Jesus Wunder tut, geht es auffällig häufig darum, dass die Leute satt werden oder einen guten Wein bekommen, den sie sich selbst nicht leisten könnten. Die Wundergeschichten, die davon erzählen, dass die Leute etwas von Jesus geschenkt bekommen, haben ihren Ursprung darin, dass die meisten Leute in Israel zur Zeit Jesu arm waren. So arm, dass sie froh waren, wenn eine ordentliche Mahlzeit am Tag auf den Tisch kam. Getreide war üblich, mit Glück ein bisschen Milch oder Fisch. Öl und Gemüse. Fleisch gibt es sehr selten, vielleicht zweimal im Jahr. Viel ist das nicht.

Ein Silbergroschen ist der übliche Lohn eines Arbeiters oder eines einfachen Soldaten. Große Sprünge sind mit diesem Einkommen unmöglich. In guten Zeit wurde man damit satt. Kleider und Schuhe musste man sich im ganz eigentlichen Sinn vom Munde absparen. Nicht alle waren arm. Römische Beamte in dieser Zeit haben ein durchaus einträgliches, ab einer bestimmten Position auch stattliches Einkommen. Teilweise verdienen sie fast das Tausendfache der Armen – damit lässt es sich natürlich bestens leben: Auch deswegen gibt es für die römischen Beamten keinen Druck zum Handeln. Sie betrifft der Hunger nicht.

Das also ist der Hintergrund zu einer Wundergeschichte, die in unterschiedlichen Variationen von den Evangelisten erzählt wird. Johannes erzählt sie in etwa so:

Und viele wurden satt

Jesus und seine Jünger sind am See Genezareth. Wo genau, tut nichts zur Sache. Auf jeden Fall in der Nähe des Ufers. Eigentlich wollen Jesus und die Jünger ein bisschen unter sich sein. Verschnaufen, das gemeinsam Erlebte verdauen. Wenn nur die Leute nicht wären. Da kommen sie auch schon wieder. Eine große Schar von Menschen, 5000 Männer, noch einmal mindestens so viele Frauen und eine riesige Schar von Kindern. Wie viele Leute werden es wohl sein? 20.000 vielleicht. Niemand kann sie zählen.

Und sie haben Hunger – großen Hunger. Manche sind schon seit Jahren nicht mehr richtig satt geworden. Jetzt am Ende eines Tages, steht ihnen der Hunger ins Gesicht geschrieben. Was also tun? Wo bekommen wir auf die Schnelle etwas zum Essen? Guter Rat ist hier nun teuer. "200 Silbergroschen reichen da nicht", sagt Philippus. Ganz der Fachmann. Aber woher hätte er auch die 200 Silbergroschen nehmen sollen? Jesus und seine Jünger reisen mit leichtem Gepäck und das heißt auch, ohne Geld. Es ist also gar nicht die Frage: Wo bekommen wir was zum Essen, sondern: Wie machen wir das überhaupt? Wie sollen diese Leute sattwerden? Heimschicken kommt nicht in Frage.

Da hat Andreas einen Einfall: Da ist einer. Der hat fünf Brote und zwei Fische. Das ist nicht viel, viel zu wenig für eine derartige Menge, aber immerhin ein Anfang. Denn das ist klar: Genauso wenig, wie Wegschicken in Frage kommt, kommt es in Frage, die Leute nur mit einer Portion für den hohlen Zahn abzuspeisen.

Fünf Brote und zwei Fische. Das scheint schon zu genügen. Die Leute nehmen Platz. Und nach einem Dankgebet wird das Essen verteilt. Vom ersten bis zum letzten – jeder und jede bekommt etwas. Die Leute essen und essen. Soviel wie sie wollen. Bis sie satt sind. Manche das erste Mal seit langem. Bis sie nicht mehr können. Als alle fertig sind, ist das Essen noch längst nicht aufgegessen. Zwölf Körbe vom Brot bleiben übrig. Vom Fisch nichts. Aber den hat man schon gar nicht alle Tage.

"Bis alle satt sind". Das ist der große Traum der Hungrigen. Ein Menschheitstraum.  "Wie lange werden wir singen und beten? Arbeiten und reden? Wie lange horten wir, was wir nötig haben? Bis alle satt sind. Bis alle auf dieser Erde zu essen haben. Wir werden solang aufstehn, bis das Brot für alle reicht"- dieses Lied aus den USA habe ich beim Ökumenischen Rat der Kirchen 2013 in Busan kennengelernt, es war zur Melodie der Versammlung geworden.

Brot des Lebens für den spirituellen Hunger

Die Leute am See Genezareth sind begeistert. Einer, der so etwas kann, alle satt machen, der muss König sein. Könige, die ihnen das Blut aussaugen – die kennen sie wahrhaftig zu Genüge. Aber dieser, Jesus, könnte zum König werden – zum König der Armen. Weil er die Armen nicht verachtet, sondern sie liebt. Von Herzen.

Doch noch bevor die Leute Jesus zum König der Armen krönen können, ergreift Jesus die Flucht. Ans andere Ufer. So leicht jedoch kommt er allerdings nicht davon. Wie die Motten zum Licht, so kommen die Leute ihm hinterher. Jesus zieht sie magisch an.

Und als sie ihn fanden am andern Ufer des Meeres, fragten sie ihn: Rabbi, wann bist du hergekommen? Jesus antwortete ihnen und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von dem Brot gegessen habt und satt geworden seid. Müht euch nicht um Speise, die vergänglich ist, sondern um Speise, die da bleibt zum ewigen Leben. Dies wird euch der Menschensohn geben; denn auf ihm ist das Siegel Gottes des Vaters. Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, auf dass wir sehen und dir glauben? Was wirkst du? Unsre Väter haben Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): "Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen." Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot. Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. (Joh 6, 25-27.30-35)

Was für ein kompliziertes Gespräch! Die Leute suchen einen, der sie satt macht. Das sagt Jesus ihnen auf den Kopf zu. Sie geben es auch zu. Das ist doch auch zu verstehen: Sie wollen endlich ihren Hunger loswerden. Denn darunter haben sie nun wahrhaftig lang genug gelitten. Jesus aber geht es um mehr. Dieses Brot, das die Menschen gegessen haben, das sie satt gemacht hat, ist für ihn ein Zeichen. Essen soll nur ein Zeichen sein – das können die Leute nun wiederum nicht verstehen. Sie sind doch wirklich satt geworden, oder nicht? Ihre Sehnsucht nach einem vollen Magen ist doch "in echt" gestillt worden.

Ja, natürlich stimmt das. Und doch geht es um einen ganz anderen Hunger, den Jesus stillen will. Das Brot, von dem er redet, ist nicht heute frisch und morgen schon trocken. Oder gar in der Hitze verdorben. Das Brot, von dem er redet, soll den Hunger auf Dauer stillen. Den Hunger nach Leben, nach Liebe, nach Gerechtigkeit.

Den Hunger, den alles Geld dieser Welt nicht befriedigt. Die Suche danach, anerkannt zu sein, gesehen zu werden. Ohne Leistung, einfach so. Den Wunsch, irgendwo auf der Welt wirklich zuhause zu sein, alle Masken ablegen zu dürfen. Den Wunsch, geliebt zu werden, auch und selbst dort, wo die eigene Schwäche offen zutage tritt. Wenn man nicht mehr kann, nicht mehr weiterweiß. Darauf angewiesen ist, dass ein anderer nun übernimmt.

Diesen Hunger können wir Menschen stillen. Aber nie ganz. Da bleibt immer ein Rest: der andere bleibt immer ein bisschen fremd, vielleicht sogar unheimlich in seinen Eigenheiten, in seinen Gefühlen und Reaktionen. So vertraut er auch sonst ist. Die Sehnsucht nach Liebe ist immer größer, als dass ein Mensch sie stillen könnte. Einer allein kann das schon überhaupt nicht – und sei er auch die große Liebe eines Lebens. Auch viele miteinander können das nicht, weil es einfach zu viel ist. Die Sehnsucht eines Menschen nach Leben, nach Liebe, nach Glück ist einfach unermesslich.

Von diesem Hunger nun redet Jesus. Und davon, dass er diesen Hunger nach Leben stillen will.

Indem er den Riss schließt zwischen Gott und den Menschen. Die Lücke füllt. Zur Brücke wird von Mensch zu Mensch. Den Graben überwindet. Und schließlich: Menschen mit sich selbst eins sein lässt. Die Zerrissenheit überwindet.

Ein Gespräch mit einem eher flüchtigen Bekannten. Ganz harmlos fängt es an und plötzlich sind wir bei den Dingen, die uns zutiefst angehen. Wir sprechen von Angst und von Schmerz, von der Liebe und vom Tod. Es gibt nur wenig, was uns trennt. Mir ist ganz klar: Das war nicht ich mit meinen geschickten Gesprächskünsten. Hier ist etwas passiert, was wir nicht gemacht und nicht gewollt haben: Wir waren ganz bei uns selbst und ganz bei dem je anderen.

Diese Erfahrung dauert nicht an. Sie ist flüchtig – vergeht so schnell wie sie kommt. Aber sie nährt die Seele, bis zu dem Tag, an dem der Hunger nach Leben, nach Einheit und Glück wirklich gestillt sein werden. Noch erwische ich nur immer einen kleinen Zipfel, aber schon der gibt mir eine Ahnung, wenn ich darauf achte.

Bitte um das tägliche Brot

Und was ist nun mit dem echten Hunger? Ist der Jesus letztlich doch egal, weil es am Ende doch nur auf das Geistige ankommt? Nein, glaube ich. Denn er und die Seinen haben den Leuten echtes Brot und keine Steine gegeben. Die Menschen haben so viel gegessen, dass sie wirklich satt waren. Womöglich von den Brocken noch etwas für den Nachhauseweg mitgenommen haben. Gott will, und davon bin ich überzeugt, dass es uns Menschen an nichts mangelt. An überhaupt nichts. Materiell und geistig.

Martin Luther hat das sehr schön auf den Punkt gebracht. In seiner Erklärung, was denn nun das tägliche Brot sei, um das im Vaterunser gebeten wird, antwortet er:

"Alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Fried, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und dergleichen."

Geistiges und Materielles fließen hier ineinander. Beides ist von einander nicht zu trennen. Wir brauchen das Brot und wir leben vom Glanz. Von dem, was unser Leben schön macht, was unsere Seele nährt.

Und vielleicht ist das, was unsere Seele nährt, das, was uns bereit macht, mit anderen zu teilen. Etwas weiterzugeben. Zehn Körbe mit Brocken sind bei der Speisung der Vielen übrig geblieben. So heißt es in der Geschichte. Die sich dann allerdings darüber ausschweigt, was mit diesem übrig gebliebenen Brot geschieht. Die Jünger werden es kaum allein gegessen haben. Sie wären vermutlich daran erstickt.

Andere haben an der Erzählung weitergedacht. Auch ein Mann namens Karl Schnitger. Ende des 19. Jahrhunderts lebt er in einer diakonischen Einrichtung in Bielefeld. Bethel heißt sie. Haus Gottes. In der Bibel ist das der Name für einen Ort, an dem Gott einen Menschen in tiefer Krise segnet. Ein Ort, an dem Gott nahe ist und Menschen diese Nähe spüren – das soll auch der Ort Bethel in Bielefeld sein. Hier leben Menschen mit und ohne Behinderungen, hier wird Kranken geholfen. Menschen, die außerhalb der Gesellschaft stehen, finden den Weg zurück in eine geregelte Arbeit, zu einer Wohnung, in ein stützendes soziales Umfeld. Karl Schnitger also: Ihn ärgert, wie viele Dinge weggeworfen werden, obwohl sie nur ein bisschen kaputt sind und so leicht, mit ein bisschen Geschick und Geduld zu richten wären. Man könnte die Sachen sammeln, und anschließend reparieren. Der Gründer von Bethel, Friedrich v. Bodelschwingh, nimmt diese Idee begeistert auf. Unter dem Motto: "Sammelt die übrigen Brocken, dass nichts umkomme", bittet er um Spenden. Noch brauchbaren Abfall. Und die Spenden kommen: kaputte Kochtöpfe und dreibeinige Stühle. Löchrige Schuhe und gerissene Kleidung. Alles wird sorgfältig repariert, geflickt und wieder verkauft. Der Erlös fließt in die Stiftung und kommt den Armen und Bedürftigen zugute. Bis heute. Bis in unsere Zeit existiert die Brockensammlung – ihr Gesicht hat sich gewandelt, doch noch immer stillt sie im weiteren Sinne den Hunger von Menschen.

Was Karl Schnitger und Friedrich von Bodelschwingh angetrieben hat, sich um das tägliche Brot für die Armen und Bedürftigen zu kümmern, war der feste Glaube an den, der sich das Brot des Lebens nennt.

Evangelische Morgenfeier vom 04.08.2019 mit Kirchenrätin Andrea Wagner-Pinggéra, München, Thema: Und alle wurden satt (Joh 6, 25-35)