Man kann nicht viel Gutes über das Coronavirus sagen, der Digitalisierung in Deutschland hat es allerdings einen gehörigen Schub verpasst. Auch - und gerade - in den Kirchen: Videokonferenzen statt Präsenz, Streaming-Gottesdienste, Pfarrerinnen und Pfarrer auf Youtube oder mit einem Podcast auf Spotify & Co., digitale Info-Stelen statt analoger Schaukästen. In Württemberg, Baden und Bayern haben die evangelischen Landeskirchen vergangenen Herbst das Projekt "Digitale Mustergemeinde" gestartet. Drei Kirchengemeinden probieren seither viel Digitales aus.
Kirchengemeinde in Markt Einersheim ist Paradebeispiel für die Integration von digitalen Angeboten
Dekan Ivo Huber aus dem bayerischen Markt Einersheim im Kreis Kitzingen ist begeistert. "Früher, also vor Corona, saß man hier im ländlichen Raum viel im Auto", sagt er. Nicht nur, um Seelsorgegespräche zu führen oder Gottesdienste zu halten, sondern eben auch für Dinge, für die es eigentlich nicht nötig wäre: "Wenn ich vor zwei Jahren einen alten Bauplan benötigt habe, musste ich erst ins Pfarrbüro ins übernächste Dorf fahren, um den Plan zu suchen." Dank digitaler Archive, dezentral - also auf Servern - abgelegter Dateien und mobiler Arbeitsplätze geht das heute mit einem Wisch am Smartphone.
Auch ein Online-Kalender zur Koordination der Haupt- und Ehrenamtlichen wird in Markt Einersheim genutzt. "80 Prozent der Lektoren, Kirchenmusiker und Pfarrer machen mit - und suchen sich aus, in welcher Gemeinde sie in welchem Gottesdienst was übernehmen wollen", sagt Huber. Auch ein extra Videokonferenz-System für hybride Sitzungen wurde von Projektmitteln angeschafft. "Das ist toll und nicht vergleichbar mit den üblichen Lösungen." Darüber hinaus machen die Markt Einersheimer einen Podcast: Die täglichen Losungen laufen auch über Spotify & Co. und hätten erstaunliche Reichweite, sagt er.
Digitale Gottesdienste in Gemeinden in Heidelberg-Kirchheim und in Eningen unter Achalm
In der Bonhoeffer-Gemeinde in Heidelberg-Kirchheim haben sie andere Schwerpunkte gesetzt. Etwa auf Gottesdienst-Streaming, sagt Pfarrer Fabian Kliesch - in Markt Einersheim wurde das dagegen von vornherein ausgeschlossen, weil es ja ohnehin Fernsehgottesdienste gibt. Doch Pfarrer Kliesch ist überzeugt, dass der Gottesdienst der eigenen Gemeinde etwas anderes ist. Es habe sich eine "digitale Teilgemeinde" entwickelt, die regelmäßig zuschauen: Ältere, nicht mehr so bewegliche Gemeindeglieder ebenso wie jüngere, die lieber vom Sofa aus den Gottesdienst mitfeiern.
Pfarrer Johannes Eißler aus Eningen unter Achalm pflichtet seinem badischen Kollegen bei:
"Selbst bei Abendmahlsfeiern machen die Leute am Bildschirm mit."
Und wenn die Gottesdienste gut seien, zögen sie auch Kreise über die "analogen" Gemeindegrenzen hinaus. "Wir haben eine Frau aus Tirol unter unseren Zuschauern, die immer wieder einschaltet", sagt Eißler, der auch zweiter Vizepräsident der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg ist. Über Streaming und vor allem über soziale Medien wie Facebook, Instagram und TikTok erreiche man "zusätzliche Zielgruppen".
Gesangbücher abgeschafft
In der badischen Mustergemeinde wurde aus dem spontan zu Beginn der Pandemie gestarteten Streaming-Projekt mit zusammengewürfeltem Equipment von Konfirmanden-Eltern inzwischen ein semiprofessionelles Streaming-Studio in der Kirche. Zwei Kameras, Tontechnik und Mischpult sind aus Projektmitteln angeschafft worden, auch ein neuer Beamer mit großer Leinwand. "Wir nutzen inzwischen keine Gesangbücher mehr im Gottesdienst", erzählt Kliesch. Alles wird eingeblendet - im Stream und vor Ort. Selbst ältere Besucher fänden das gut, auch wenn die "Haptik" verloren gehe.
Die Bonhoeffer-Gemeinde in Heidelberg setzt außerdem auf digitale Predigt-Vorgespräche unter der Woche, es gibt digitale Bibel- und Hauskreise, ein Team aus Ehrenamtlichen bespielt soziale Medien. "Ich war da vorher auch nicht so affin, aber ich habe das jetzt auch für mich persönlich entdeckt", sagt Kliesch.
"Egal, was man im Digitalen macht, es muss erst mal angeschoben werden - und das kostet Zeit",
sagt der Theologe. Das bestätigt Johannes Eißler: "Es macht unglaublich viel Spaß und Freude, gerade die Kommunikation in sozialen Medien." Aber derzeit komme das alles einfach "on top".
Weitere Schritte in geplanten Digitalisierungsprojekten
Doch nicht alles läuft rund bei den geplanten Digitalisierungsprojekten in den drei Mustergemeinden. In Heidelberg-Kirchheim und Eningen unter Achalm steht noch der Relaunch der Internetauftritte auf der To-do-Liste, in Markt Einersheim klemmt es - ganz anders als im Südwesten - eher beim Thema "zielgruppenorientierter Kommunikation" in den sozialen Medien. "Da brauchen wir noch Schulungen, da stehen wir auf der Warteliste", sagt Dekan Ivo Huber. In Baden ist die digitale Kommunikation mit Ehrenamtlichen noch eine Baustelle - und in Württemberg das digitale Gemeindemanagement.
Trotzdem ziehen alle drei Gemeinden ein positives Zwischenresümee - knapp acht Monate nach dem Projektstart im November 2021. "Saumäßig viel Arbeit" sei das alles, sagt Dekan Huber, aber "es lohnt sich". Am Ende sollen Best-Practice-Beispiele für andere Gemeinden nach einer Art Baukasten-Prinzip herauskommen: "Jede Gemeinde kann dann das für sich Passende heraussuchen." Pfarrer Johannes Eißler geht in seinem Fazit noch einen Schritt weiter:
"Ich spüre einen Hauch von Aufbruchstimmung gegenüber der leicht depressiven Grundstimmung, die sonst oft in unseren Kirchen vorherrscht."