Neu in der Stadt oder momentan wenig Kontakte? Interesse an Gesprächen, die über Smalltalk hinausgehen? Lust, neue Leute kennenzulernen? Mit diesem Text werben die bayerischen Selbsthilfekontaktstellen (Seko) für einen "Walk and Talk"-Treff ab der dritten Septemberwoche. Dabei soll "etwa eineinhalb Stunden spazierengegangen und sich in einer ungezwungenen Atmosphäre ausgetauscht werden", sagt Brigitte Lindner von der Seko Nordoberpfalz. Bereits Anfang September hat die Caritas München eine Kampagne gegen Einsamkeit gestartet.

Jeder zweite Haushalt ein Single

In München lebt in jedem zweiten Haushalt ein Single, in jedem fünften ein Single über 60 Jahre. Diese Zahlen des Statistischen Amtes der Landeshauptstadt zeigten "dramatisch, wie sich Lebenswelten verändern, vor allem im Alter", sagt die Münchner Caritas-Vorständin Gabriele Stark-Angermeier. Die Gründe seien vielfältig: Kräfte und Mobilität ließen nach, die Kinder seien aus dem Haus, "manche haben bereits einen nahen Menschen verloren". In der Folge erlebten viele die Teilhabe am sozialen Leben als erschwert, sagt die Vorständin.

In München haben die Alten- und Servicezentren der Caritas deshalb zusammen mit den Fachstellen für pflegende Angehörige und den Beratungsstellen für ältere Menschen eine Kampagne gegen Einsamkeit im Alter ins Leben gerufen. Bis Ende dieses Jahres würden mehr als 60 Veranstaltungen auf die Beine gestellt. Ob offener Café-Treff oder Plauderstunde, Gesprächskreise für pflegende Angehörige, Bunte Runde, Frauenfrühstück, Wunschkonzert, Tanzcafé oder die Ü60-Disco-Party: Für jeden Geschmack sei etwas dabei, sagt Initiatorin und Sozialberaterin Sabine Müller.

Brücke aus der sozialen Isolation

Eine Brücke aus der sozialen Isolation hat auch die Selbsthilfekontaktstelle (Seko) der Diakonie in Weiden geschlagen. Seit Frühjahr dieses Jahres gibt es dort einen "Walk-and-Talk"-Treff. Die anderen Sekos in Bayern fanden die Idee so vorbildlich, dass sie auch ein Konzept aufstellten. 17 der insgesamt 38 Sekos in Bayern beteiligen sich.

Bei den Treffen sollen sich die Teilnehmer gezielt über bestimmte Themen unterhalten, sagt Brigitte Linder. Ein Kartenset mit Fragen soll den Zugang erleichtern. "Was erwarte ich von der Gruppe, was kann ich einbringen, welche Aufgaben gibt es, kann ich etwas ändern?", erläutert sie. Offen sei der Treff für jeden und jede, jung oder alt. Die ersten vier Termine würden von den örtlichen Selbsthilfekontaktstellen begleitet. Danach gehe es selbst organisiert weiter.

Einsamkeit "verborgenes Leiden"

Einsamkeit sei leider "ein verborgenes Leiden" und werde zu wenig thematisiert, betont sie. Menschen geben nicht gerne zu, dass sie einsam sind, "das heißt aber nicht, dass das Problem nicht vorhanden ist, nur gilt Einsamkeit in der Gesellschaft immer noch als Stigma". Indem Menschen zusammentreffen und über ihre Probleme oder auch über ihr Handicap sprechen, stärkten sie sich gegenseitig. "Besser gemeinsam gehen statt allein."

Die Menschen seien zurzeit sehr verunsichert, stellt Lindner fest. Corona, Krieg und Geldsorgen spielten in allen Altersgruppen eine Rolle. Selbst jüngere Menschen bildeten da keine Ausnahme. Wie eine junge Frau, Mitte 30, mit ihrer Einsamkeit umgegangen ist, zeigt ein Beispiel aus Frankfurt: Sie gründete eine Selbsthilfegruppe mit dem Titel "In Betweens - Lonesome 30+".

Ihr Anliegen beschrieb sie so: "Du bist zwischen 30 und 40, unter Gleichaltrigen fühlst du dich aber häufig wie ein Alien? Hast du bisher deine Gruppe noch nicht gefunden, bist es aber leid, allein ins Kino zu gehen? Dann geht es dir wie mir. Und sicher sind da noch viele andere versteckte Einsame." Sie traf einen Nerv: Innerhalb von vier Monaten meldeten sich zwei Dutzend Interessierte.

Hilfe bei Suizidgedanken

Ihr denkt an Suizid, macht euch um jemanden Sorgen oder habt einen Menschen aufgrund eines Suizidtodesfalls verloren? Hier findet ihr Erste-Hilfe-Tipps und Notfallkontakte sowie weiterführende Informationen zur Bewältigung dieser Notsituation

Zögert bitte nicht, bei der Telefonseelsorge anzurufen:

Evangelisch: 0800 1110111 (24 Stunden erreichbar, 7 Tage die Woche)

Katholisch:  0800 111 0 222 (24 Stunden erreichbar, 7 Tage die Woche)

Gemeinsam: 116 123

Nummer gegen Kummer für Kinder und Jugendliche: 116 111 (Montag bis Samstag 14 - 20 Uhr)
Nummer gegen Kummer für Eltern: 0800 - 111 0 550 (Montag bis Freitag 9 – 17 Uhr, Dienstag und Donnerstag bis 19 Uhr)

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden