Dieser Tag, der jährlich am Mittwoch vor dem Ewigkeitssonntag stattfindet – elf Tage vor dem ersten Advent und damit mitten in der hektischen Vorweihnachtszeit –, soll uns Protestanten zum bewussten Innehalten auffordern, uns an die Schwelle zwischen Vergangenheit und Zukunft führen.
Obwohl der Buß- und Bettag bis in die Mitte der 1990er-Jahre bundesweit ein arbeitsfreier Tag war, hat er heute nur noch in Sachsen den Status eines gesetzlichen Feiertags. In Bayern gewährt er immerhin den Schülern eine kleine Atempause im Schuljahr, während sogar ihre Lehrkräfte und alle anderen Arbeitnehmer an diesem Tag wie gewohnt ihrer Tätigkeit nachgehen und das öffentliche Leben seinen üblichen Lauf nimmt.

Gelegenheit für kritische Selbstreflexion und für ein gemeinschaftliches Nachdenken darüber, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwickeln soll

Die protestantische Tradition sieht am Buß- und Bettag eine Zeit der inneren Einkehr vor: Persönliche Fehler, Schuld und Versäumnisse des vergangenen Jahres sollen vor Gott getragen werden. Ein solches Innehalten ist in unserer leistungsorientierten Welt, die von Wettbewerb und einer "Ellbogenmentalität" geprägt ist, selten geworden. Der Buß- und Bettag wäre damit eigentlich perfekt dazu geeignet, den notwendigen Gegenpol zu bilden, eine Gelegenheit für kritische Selbstreflexion und für ein gemeinschaftliches Nachdenken darüber, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwickeln soll.
Obwohl der Buß- und Bettag erst im 19. Jahrhundert fest in den Kalender integriert wurde, verkörpert er doch eine zeitlose Sehnsucht nach Wandel, Verbesserung und sogar einem Neubeginn. Vielleicht lässt er sich als ein leises Echo unserer rastlosen Gedanken auffassen, das im stillen Gebet oder im gemeinschaftlichen Gottesdienst seinen Ausdruck findet.

In einer Welt, die sich durch die Produktivität des Einzelnen definiert, wird die persönliche und spirituelle Entwicklung oft an den Rand gedrängt.

Der Buß- und Bettag mag aus dieser Perspektive betrachtet vielleicht antiquiert, gar anachronistisch erscheinen. Doch gerade deshalb, finde ich, sind solche Tage wichtiger denn je:

Sie erinnern uns daran, dass es nicht allein darauf ankommt, was wir tun, sondern vor allem darauf, wer wir sind, wer wir waren und wer wir in Zukunft sein möchten.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden