Herr Kopp, vor Ihrem Amtsantritt als Landesbischof sind Sie im September noch schnell von Garmisch-Partenkirchen über die Alpen an den Gardasee geradelt. Wie war es?
Christian Kopp: Das war ein sehr spirituelles Erlebnis. Ich war ganz allein - eine wichtige Erfahrung, denn ich glaube, in so einem Amt ist man auch manchmal ganz schön allein. Ich habe Tagebuch geführt und aufgeschrieben, was ich mir für meine Zeit als Landesbischof vornehme.
Und das wäre?
Ich möchte mir und meiner Persönlichkeit treu bleiben, in einem Amt, das sehr fordernd ist. Wie ich die Rolle letztlich ausfüllen werde, weiß ich jetzt noch nicht. Das muss ich erst spüren. Ich würde aber schon sagen, dass ich ein geborener Netzwerker bin, was für so ein Amt hilfreich ist. Und ich will mit meiner Arbeit das Beste für die Menschen erreichen.
"Wer jetzt Kirchenmitglied ist, ist das aus Überzeugung."
2022 haben knapp 50.000 Menschen in Bayern der evangelischen Kirche den Rücken gekehrt - ein sprunghafter Anstieg. Wie wollen Sie damit umgehen?
Aus Tradition ist kaum noch jemand bei uns Mitglied. Das war früher so. Wer jetzt Kirchenmitglied ist, ist das aus Überzeugung. Menschen, die grundsätzlich sagen, dass sie Religion interessiert, müssen wir wieder neugierig machen. Aus Studien und Mitgliederbefragungen wissen wir, was die Menschen von uns erwarten: dass wir uns etwa für die Schwachen und Kranken einsetzen, also für Menschen, die keinen Fürsprecher haben.
Ihre Amtszeit wird wohl entscheidend dafür sein, wie die "Kirche der Zukunft" ab 2030 dasteht. Was muss jetzt passieren?
Wir werden weniger Pfarrerinnen und Pfarrer haben und auch weniger Kirchenmitglieder. Wir müssen also mit weniger Ressourcen ein passgenaues Angebot für die Menschen schaffen. Und das geht nur, wenn man bestimmte Haltungen verändert. Keine Pfarrerin und kein Diakon kann heute mehr sagen, dass er oder sie nur für seine Gemeinde zuständig ist. Heute brauchen wir Teams in den Regionen, die die Situation vor Ort gut kennen und noch besser als bisher zusammenarbeiten. Bei schwindenden Mitgliedszahlen werden auch unsere finanziellen Spielräume enger. Kürzungen wird es geben müssen.
Wobei?
Ein Beispiel: Nach dem Zweiten Weltkrieg sind viele evangelische Vertriebene zu uns gekommen. In den 1960er- und 1970er-Jahren sind daher sehr viele Gemeindehäuser gebaut worden. Die sind jetzt um die 60 Jahre alt, müssten saniert werden, gleichzeitig schrumpfen aber die Kirchengemeinden. Da braucht es sinnvolle Lösungen. Kann man zum Beispiel etwas mit der katholischen Kirchengemeinde vor Ort auf die Beine stellen, oder mit der Kommune? Können wir uns mit dem Gebäude am sozialen Wohnungsbau beteiligen? Oder wird es einfach verkauft? Da gibt es viele Ideen und Möglichkeiten.
"Die tätige Nächstenhilfe ist ganz wichtig - also nicht nur Diakonie, sondern auch Tafeln oder Nachbarschaftshilfen."
Wie wird die evangelische Kirche in Bayern zum Ende Ihrer Amtszeit aussehen?
Wir wollen nah bei den Menschen sein. Dazu braucht es Hauptamtliche und Ehrenamtliche, die im Zuhören und der Seelsorge geschult sind. Die tätige Nächstenhilfe ist ganz wichtig - also nicht nur Diakonie, sondern auch Tafeln oder Nachbarschaftshilfen. Und wir werden gute spirituelle Angebote haben, womit nicht nur Gottesdienste gemeint sind. Wir wollen die Menschen in ihrem Alltag und ihrer jeweiligen Lebenssituation unterstützen.
Sie sagten, dass die Menschen von der evangelischen Kirche den Einsatz für die Schwachen erwarten - das ist das Feld der Diakonie. Sind hier auch Kürzungen zu erwarten?
Grundsätzlich finanziert sich die Diakonie zum Großteil über staatliche Mittel und nicht so sehr über Kirchensteuermittel. Allerdings stellen wir fest, dass sich der Staat vor allem aus der Beratungsarbeit massiv zurückzieht. Aber Menschen brauchen Beratung, wenn sie in Not sind. Die Nachfrage nach diesen Angeboten ist enorm - und sie sind unser kirchlich-diakonischer Auftrag. Wir werden deshalb alles dafür tun, dass wir diese Arbeit erhalten können.
Gleiches gilt für die Kitas in evangelischer oder diakonischer Trägerschaft. Auch Menschen, die keinerlei Bezug zu Religion oder Christentum haben, wählen für ihre Kinder unsere Einrichtungen aus. Evangelische und katholische Kitas haben ein Wertekonstrukt und einen wertschätzenden Umgang. Das überzeugt auch kirchenferne Menschen. Bei konfessionellen Schulen ist es ähnlich.
"Wir haben durchaus Nachholbedarf in Sachen Marketing: Tue Gutes und rede darüber!"
Spiritualität ist ein Kernelement im Zukunftskonzept der Landeskirche. Aber der spirituelle Markt ist riesig. Wie kann sich Kirche da besser platzieren?
Es gibt in der evangelischen Kirche einen unglaublichen Reichtum an spirituellen Angeboten: Orden, Kommunitäten oder geistliche Begleiter. Mit all dem kann man Ruhe oder Balance im Leben finden. Wir müssen schauen, dass die Menschen mit ihren jeweiligen Lebenssituationen das Passende für sich finden. Wir haben durchaus Nachholbedarf in Sachen Marketing: Tue Gutes und rede darüber!
Zu welchen Themen wollen Sie sich als Landesbischof äußern und wie politisch wollen Sie sein?
Die Kirche ist politisch, sie hat einen politischen Auftrag. Das hat uns Jesus mitgegeben. Studien haben aber auch ergeben, dass unsere Mitglieder nicht andauernd tagespolitische Kommentare von uns erwarten - wohl aber zu den grundlegenden Themen des Lebens. Für 80 Prozent gehören dazu die Themen Migration, Klima oder psychische Belastungen.
Das alles sind Themen, die gerade auch in der Tagespolitik weit oben stehen. Vor zwei Wochen fand der verheerende Angriff der islamistischen Terrororganisation Hamas auf israelische Zivilisten statt. Was geht da in Ihnen vor?
Das hat mich völlig schockiert. Das war ein Ausmaß an Terrorismus und Unmenschlichkeit, der sprachlos macht. Der 7. Oktober wird in unserem Gedächtnis bleiben wie der 11. September. Wir sind eng verbunden mit den Juden und den palästinensischen Christen, wir leisten auch viel humanitäre Hilfe und Unterstützung in den besetzten Gebieten. Aber dieser Konflikt zerreißt einen innerlich.
Ein Frieden scheint in weiter Ferne ...
Ob es zu meiner Lebenszeit Frieden geben wird? Ich bete jeden Tag dafür. Ich würde mir es total wünschen, aber da müssten sich wirklich sehr viele Dinge verändern. Der Nahost-Konflikt ist ein Dauerleid. US-Präsident Joe Biden hat wieder von der Zwei-Staaten-Lösung gesprochen - also ein Staat Israel und ein Staat Palästina. Das würden wir uns doch alle so wünschen!
"Wir müssen Wege finden, um gemeinsam durch dieses Dilemma zu gehen, denn eine Lösung wird es auf absehbare Zeit im Nahost-Konflikt nicht geben."
Welche Folgen hat denn der Konflikt für den interreligiösen Dialog hierzulande? Vor allem muslimische Gemeinden stehen unter Zugzwang...
Das, was hilft im interreligiösen Dialog, ist, einander zuzuhören und empathisch mit den Opfern zu sein. Wir müssen Wege finden, um gemeinsam durch dieses Dilemma zu gehen, denn eine Lösung wird es auf absehbare Zeit im Nahost-Konflikt nicht geben. Wenn aber Positionen im interreligiösen Dialog zu extrem oder menschenverachtend sind, sagen wir dazu Nein.
Bei den Landtagswahlen vor zwei Wochen haben 13 Prozent der evangelischen Christen die AfD gewählt. Welcher Auftrag ergibt sich daraus für die Kirche?
Der Auftrag aus der Landtagswahl für mich ist, für eine tolerante Politik zu werben, die die demokratischen Grundregeln beachtet und die Respekt vor jedem Leben hat. Es gibt von AfD-Politikerinnen und -Politikern offen menschenfeindliche und rassistische Worte. Wollen wir wirklich Leute in unseren Parlamenten, die keinerlei konstruktive Vorschläge machen, sondern sich auf nur zwei Themen draufsetzen? Sich die Demokratie wieder "von denen da oben zurückholen" und Deutschland für Migranten dichtzumachen? Ich möchte das nicht.
"Wenn man weiß, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken und man sie ertrinken lässt, dann ist das mit christlichen Grundüberzeugen nicht zu vereinbaren."
Zuletzt ist die Seenotrettung im Mittelmeer, an der auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) beteiligt ist, wieder in die Kritik geraten. Halten Sie die für berechtigt?
Wenn man weiß, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken und man sie ertrinken lässt, dann ist das mit christlichen Grundüberzeugen nicht zu vereinbaren. Die Europäische Union sollte alles dafür tun, dass niemand auf der Flucht sterben muss, auch nicht im Mittelmeer. Es braucht dazu aber viel mehr Fluchtursachenbekämpfung in den Herkunftsländern und außerdem bessere Informationen für die Menschen darüber, was überhaupt rechtliche Asylgründe in Europa sind.
Gibt es eine Person, die Ihnen auf Ihrem Lebensweg ein Vorbild war?
Meine Oberpfälzer Oma, eine unvorstellbare Frau. Sie kam aus ganz einfachen bäuerlichen Verhältnissen, hatte eine anstrengende Schwiegermutter, einen vom Krieg traumatisierten Mann, und war trotzdem immer positiv und dankbar. In dieser Situation sechs Kinder großzuziehen, war schon eine Nummer. Von ihr habe ich eine Haltung der Grunddankbarkeit gelernt.
"Man sollte jeden Moment des Lebens als einen geschenkten Moment sehen, in dem Großartiges passieren kann."
Welche theologische Botschaft wollen Sie den Menschen vermitteln?
"Das Reich Gottes ist mitten unter euch". Der christliche Glaube hat manchmal etwas Schweres, etwas nicht leicht Verständliches. Dabei ist er relativ simpel. Es geht ums Jetzt, Heute, Hier. Man sollte jeden Moment des Lebens als einen geschenkten Moment sehen, in dem Großartiges passieren kann.
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