Die Frühjahrstagung der bayerischen evangelischen Landessynode widmet sich der Zukunftsfähigkeit der Kirche. "Als Synodale wollen wir uns ganz bewusst der Unsicherheit, dem Zweifel aussetzen, wie es mit unserer Kirche weitergehen soll", sagte Synodalpräsidentin Annekathrin Preidel Anfang März. 

Oberkirchenrat Stefan Blumtritt, zuständig für die "Gesellschaftsbezogenen Dienste" der Landeskirche, führt im Interview aus, warum Angst in diesem Zusammenhang ein schlechter Ratgeber ist, warum Flexibilität und der Mut zu Neuem wichtig sind und warum er in die Synode großes Vertrauen hat, die richtigen Weichen stellen zu können. 

"Initiativen fördern, Freiheit lassen, Kirche sich ereignen lassen."

Bei der Synode soll es um das große Thema "Zukunft der Kirche" gehen. Was ist für Sie der wichtigste Aspekt bei diesem Thema?

Stefan Blumtritt: Was ich bei mir selber beobachte – weshalb ich es anderen auch nicht übelnehmen kann – ist die Sorge, manchmal auch Angst vor Veränderung. Wie bringen wir Veränderung nicht als Verlust, sondern als eine Chance, vielleicht sogar als Gewinn in unsere Köpfe? Eine kleiner werdende Kirche hat nicht aufgrund der Zahl eine geringere Strahlkraft, sondern ihre Strahlkraft hängt davon ab, was sie trägt und wie flexibel und agil sie ist und wie sie sich auf Bedürfnisse der Menschen im Blick auf ihren Glauben einstellt, und zwar verständlich. Das meine ich jetzt zunächst mal sprachlich, aber auch motivierend und organisatorisch. Sprich: Initiativen fördern, Freiheit lassen, Kirche sich ereignen lassen.

Die Kirche muss also loslassen?

Blumtritt: Warum haben wir auch als lutherische Kirche das Problem mit der "German Angst"? Das sind Trauerprozesse. Das kann ich alles gut seelsorgerisch und therapeutisch begründen. Aber es blockiert Energien, die notwendig wären, um sich frei zu machen und neu zu denken. Und mir fällt selber immer wieder auf, dass ich immer wieder in alte Fallen tappe, wo ich dann merke: Nee, das kann nicht der zukünftige Weg sein, das ist die alte Denkweise und Struktur.

"Weniger planen, weniger steuern, darauf vertrauen, dass in dieser Kirche mit Gottes Geist kluge und mutige Menschen wirken."

Wie kann es gelingen, diese Angst zu überwinden?

Blumtritt: Das ist ein innerer Prozess, dem es um Vertrauensbildung geht. Vertrauen in die eigenen Ideen und Kräfte, die uns Gottes Geist schenkt. Es geht zunächst um einen geistlichen Aufbruch und dann um einen Kultur – und Haltungswandel. Und so ein Wandel dauert länger als eine Struktur- oder Organisationsreform. Das bedeutet dann für mich weniger planen, weniger steuern, darauf vertrauen, dass in dieser Kirche mit Gottes Geist kluge und mutige Menschen wirken. Und da gehört auch dazu, dass die Freiheit auch genutzt wird – natürlich ist damit auch ein genauso großes Maß an Verantwortung verbunden. Und davor, glaube ich, schrecken wir zurück, weil wir die letzten Konsequenzen unserer Visionen und Entscheidungen nicht abschätzen können.

Eine zutiefst menschliche Reaktion, oder?

Blumtritt: Natürlich. Das kann ich, wie gesagt, auch alles verstehen. Aber ich wünsche mir eine energiegeladene, agile Gemeinschaft von Christinnen und Christen, die basierend auf der lutherischen Theologie und Tradition neue Wege beschreitet, und zwar so, dass es für Menschen heute als Gewinn gilt, dazuzugehören. Auch Gemeinschaft müssen wir, glaube ich, neu deuten. Heute geht es um individuelle, interessensorientierte, flexible Zusammenkünfte und Netzwerkverbünde.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Blumtritt: Stellen wir uns ein KonfiCamp in Grado oder im Staffelsee vor. Da kommen die engagierten ehrenamtlichen Jugendleiter zum Beispiel aus Berlin, wo sie studieren. Die sind dann vier Wochen mit den Konfis engagiert, mit Vorbereitung und Nachbereitung. Und dann sind die auch wieder weg. Irgendwann machen sie Karriere und haben im Sommer keine Zeit mehr. Dann finden sie aber vielleicht andere Formen und vielleicht nach 20 Jahren Pause auch wieder zurück zur Kirche und einem ähnlichen Engagement. Und für solche Hochengagierte auf Zeit möchte ich noch andere Beteiligungsformen anbieten können.

Was braucht es außer Flexibilität noch?

Blumtritt: Ein großes Thema für uns ist auch: Hören wir als Kirche wirklich zu?

Was meinen Sie?

Blumtritt: Wir sind in vielen Bereichen eine sprechende Kirche. Aber wir hören nicht immer zu. Und wenn ich etwas höre, dann meine ich immer gleich, reagieren zu müssen, statt das einfach auch mal stehen zu lassen, wahrzunehmen und auch mal mit anderen Erfahrungen abzugleichen. Nicht gleich ein Programm oder ein Angebot daraus zu machen.

"Bewährtes kann auch mal ein Akzeptanz-Tal überstehen."

Läuft man dann nicht Gefahr, sich kurzlebigen Trends anzuschließen?

Blumtritt: Ich habe nichts dagegen, an bestimmten Formen, die vielen Menschen vertraut sind, auch noch eine Weile festzuhalten. Die müssen vielleicht anders mit Ressourcen ausgestattet sein und sich selbst organisieren. Ich habe ein bisschen die Sorge, dass wir jetzt durch Ressourcenmangel und Reformwillen Strukturen einreißen könnten, die wir vielleicht in 15, 20 Jahren wieder brauchen. Bewährtes kann auch mal ein Akzeptanz-Tal überstehen.

Stichwort Ressourcenmangel: Müssen Ehrenamtliche aus Ihrer Sicht in Zukunft eine größere Rolle spielen?

Blumtritt: Ich habe die Vermutung, dass sich das Pfarrer*innenbild hin zur Moderatorin und Begleiter verändern wird. Anders werden wir das nicht stemmen können. Wir wollen ja nicht nur die Kerngemeinde versorgen, sondern auch neue Menschen darüber hinaus gewinnen. Man muss sich das System der Freiwilligenagenturen anschauen, die arbeiten ja mit bürgerschaftlichem Engagement, was ja eine ganz andere Kultur hat, als das Ehrenamt aus vergangener Zeit. Da gibt es Kontrakte, Verträge auf Zeit. Da gibt es eine Begleitung, eine Fort- und Weiterbildung. Ich glaube, in ein ähnliches System müssten wir auch in der Gemeindearbeit einsteigen.

"Die Jammer-Kultur, die uns in vielen Bereichen unseres Lebens, nicht nur in der Kirche, begleitet, sollte weniger werden."

Auf der Synode ist auch ein Impulsvortrag von Israel Pereira geplant ist, der wohl die Begeisterung in der Kirche vermisst. Sehen Sie da auch ein Problem?

Blumtritt: Beim Begriff Begeisterung fallen mir Motivations-Seminare oder die Fan-Kultur ein. Das kann's nicht sein. Ich brauche kein kirchliches Gekreische, aber ich glaube, was wir wirklich mit aller Macht tun müssen, ist gut und verständlich von unserer Arbeit zu sprechen. In verständlichen Worten und damit mitreißend, ja vielleicht sogar Begeisterung weckend. Die Jammer-Kultur, die uns in vielen Bereichen unseres Lebens, nicht nur in der Kirche, begleitet, sollte weniger werden.

Glauben Sie, dass von der Synode in Bezug auf all diese Veränderungen, die Sie fordern, ein starkes Signal ausgehen kann?

Blumtritt: Der Synode traue ich sehr viel zu. Da findet sich doch die Vertretung einer breiten Vielfalt von Regionen, unterschiedlichen Lebenssituationen, Professionen, Motiven in der Kirche zu arbeiten. Und somit, glaube ich, genug Innovation und Energie, um diese Kirche zu verändern. Dass das manchmal nicht schnell geht, dass es mühselig ist, das wissen wir alle. Ich liebe es nicht, aber es ist so.