Seit etwas mehr als vier Monaten schwebt das Wildbad Rothenburg in einer Art Zwischenwelt: Am 24. November 2023 wurde bekannt, dass die Landeskirche ihr Tagungshaus zum 31. Juli 2025 aufgibt. Das Haus ist zwar seit dem Ende der Corona-Pandemie wieder gut ausgelastet, aber es schreibt wie eh und je rote Zahlen.

Das führt zu der paradoxen Situation, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tagungsstätte nach wie vor "vollen Einsatz zeigen", wie es der wirtschaftliche Leiter des Wildbads, Stephan Michels, nennt. Und trotzdem wissen sie: Es geht mit großer Wahrscheinlichkeit bald zu Ende.

Leiter: Leisten Sterbebegleitung für Wildbad

Tagungsstätten-Leiter Wolfgang Schuhmacher formuliert die Lage noch ein wenig dramatischer. Im Wildbad gehe es derzeit zu "wie im Hospiz", sagt er: "Wir machen das, was gerade geht - und das machen wir gut." Man leiste eine Art Sterbebegleitung für das traditionsreiche Haus, das seit Anfang der 1980er-Jahre in kirchlicher Trägerschaft ist:

"Wir leisten vollen Service für die Gäste, aber der Blick nach innen ist ein anderer. Es gibt bei den Mitarbeitenden viel Gesprächsbedarf, wir wollen für jede und jeden gute Perspektiven finden."

Weder der Landeskirche noch dem Leitungs-Duo vor Ort sei egal, was aus dem Haus und den Menschen wird.

Die Entscheidung, die Zuschüsse für das Wildbad ab Mitte 2025 einzustellen, hat sich die Kirchenleitung nicht leicht gemacht - das sieht man schon alleine am jahrelangen Ringen um ein Konzept für die landeskirchlichen Gäste- und Tagungshäuser.

Als externe Gutachter nach einem von der Kirche festgelegten Kriterienkatalog alle Häuser bewertet hatten, war Ende November 2023 klar: Unter anderem das Wildbad hat keine Zukunft mehr in der Trägerschaft der Landeskirche. Seither wurden auch öffentlich mehrere Alternativen ins Spiel gebracht, ein tragfähiges Konzept für den Weiterbetrieb als kirchennahes Haus gibt es bislang aber offenbar nicht.

Die wechselvolle Geschichte des Wildbades Rothenburg

Die bayerische Landeskirche und das Rothenburger Wildbad - das war keine Liebe auf den ersten Blick. Gekauft wurde der imposante Gebäudekomplex eher unfreiwillig - gemeinsam mit der Stadt wollten Kirche und Diakonie verhindern, dass im Wildbad eine dubiose Meditationssekte einzieht. Aber das malerisch gelegene Wildbad war in seiner Geschichte noch vieles mehr. 

1903: Der Tüftler und Erfinder der orthopädischen Prothese, Friedrich von Hessing, der bereits mehrere "Heilanstalten" in Bayern betrieb, lässt das Gebäude in neun Jahren Bauzeit errichten. Im Jahr 1903 wird das "Wildbadetablissement" als Kurhotel mit Anwendungsbetrieb eröffnet.

1917: Ein Jahr vor von Hessings Tod muss der Betrieb des Wildbads aus Kostengründen eingestellt werden. Dem "Kurhotel ersten Ranges", mit seiner weitläufigen Parkanlage nach Vorbild der englischen "Pleasure Gardens", war somit nur ein ziemlich kurzer Erfolg vergönnt.

1925: Der Landesverband der Bayerischen Ortskrankenkassen kauft das Wildbad in einer Zwangsversteigerung. Dort sollten Fortbildungen für Mitarbeiter und Ähnliches stattfinden. Aber auch für diese Zwecke wird das Prachtgebäude unterhalb der Altstadt nur kurz genutzt.

1939: Während des Zweiten Weltkrieges wird das Wildbad unter anderem als Lazarett, Kinderheim, als Hitlerjugend-Schule und nach Ende des Weltkrieges vom US-Militär als Lagergebäude genutzt. Im Anschluss wird es zur Unterkunft für Vertriebene aus dem Baltikum.

1951: Die Bayerische Bereitschaftspolizei bezieht Quartier im Wildbad und richtet dort ihr Ausbildungszentrum ein. Die Polizei bleibt dort bis ins Jahr 1976, also 25 Jahre - so lange wie noch kein Nutzer zuvor. Nach wie vor gehört es dem Rechtsnachfolger der Ortskrankenkassen.

1977: Die Meditationssekte "Gesellschaft für Transzendentale Meditation" will eine "Residenz des Zeitalters der Erleuchtung" hier einrichten. Das gefällt der Stadt Rothenburg ganz und gar nicht - sie macht 1978 von ihrem Vorkaufsrecht für 300.000 D-Mark Gebrauch.

1978: Die Stadt Rothenburg überlässt das Wildbad für die gleiche Kaufsumme der Diakonie Neuendettelsau. Drei Jahre später wird ein "Trägerverein Wildbad" gegründet, dem die Diakonie, die Landeskirche und acht Dekanate aus Westmittelfranken angehören.

1983: Das Wildbad nimmt nach einer ersten Teilrenovierung und einem Umbau zur Tagungsstätte den kirchlichen Tagungsbetrieb auf.

1990: Die Renovierung des gesamten Gebäudeensembles wird abgeschlossen. Das Wildbad wird zu 100 Prozent eine Einrichtung der Landeskirche, der Trägerverein in einen Beirat umgewandelt.

1990er- und 2000er-Jahre: Das Wildbad sorgt mit seinen teilweise enormen Defiziten aus dem laufenden Betrieb für Unmut. Mehrmals wird erwogen, den Prachtbau wieder zu verkaufen - die Vorhaben werden wegen Widerständen und mangels Interessenten stets verworfen.

2017: Erstmals kommt offenbar ein Kaufinteressent auf die Landeskirche als Eigentümer des Wildbades zu und macht ein Angebot für die Immobilie. Die Landeskirche prüft, ob ein Verkauf, der Nicht-Verkauf oder eine Kooperation mit dem Interessenten die beste Option ist. Am Ende bleibt, auch wegen des Widerstands vor Ort, alles beim Alten.

März 2022: Die Landessynode beschließt, die Tagungshäuser, die direkt oder indirekt Zuschüsse von der Landeskirche erhalten, im Zuge von Restrukturierungs- und Sparplänen von externen Gutachtern bewerten zu lassen - nach inhaltlichen, betriebswirtschaftlichen und baulichen Kriterien. Darunter auch das Wildbad.

26. November 2023: Die Ergebnisse der Gutachter werden öffentlich. Für das Wildbad Rothenburg steht das Aus fest. Es soll "zeitnah geschlossen und verkauft" werden.

Januar 2024: Eine Ideenschmiede, die Zukunftsoptionen für einen kirchennahen Fortbestand des Wildbads ausloten will, trifft sich das erste Mal. Angedacht ist unter anderem, den Hotelbetrieb auszuweiten und mit den Einnahmen daraus den kirchennahen, nicht kostendeckenden Tagungsbetrieb zu bezuschussen. Dazu sind aber erst einmal Investitionen nötig.

April 2024: Wenige Wochen vor der Frühjahrstagung der Landessynode treten mögliche Zukunftsideen für das Wildbad auf der Stelle. Als Hauptproblem werden die nötigen Investitionskosten für einen rentablen Betrieb des Hauses in kirchlicher Trägerschaft gesehen. Ein Verkauf oder Betriebsübergang in private Hände erscheint vielen Beteiligten als wahrscheinlichste Lösung.

Landeskirche legt für jede Übernachtung 30 Euro drauf

Der Ansbacher Dekan Matthias Büttner hatte schon im Dezember als Mitinitiator der Ideenschmiede für eine kirchennahe Zukunft des Wildbads gesagt, ein profitabler Betrieb der Tagungsstätte könne so schwierig nicht sein - zumindest dann nicht, wenn man eine Richtungsentscheidung trifft. "Das Wildbad kann künftig kein rein kirchliches Tagungshaus mit subventionierten Preisen mehr sein", sagt Rothenburgs Dekanin Jutta Holzheuer, ebenfalls Mitinitiatorin der Ideenschmiede. Aktuell legt die Landeskirche für jede getätigte Übernachtung im Wildbad 30 Euro obendrauf. Pro Jahr kommt so eine sechsstellige Summe zusammen.

"Das Wildbad wird auch ab Mitte 2025 nicht in einen Dornröschenschlaf mit zugenagelten Fenstern und völlig verwildertem Park verfallen", glaubt Michels. Denn zum einen ist es eine Filet-Immobilie:

"Es gibt Unternehmer, die Potenzial in dem Gebäude sehen."

Zum anderen ist Rothenburg ein internationaler Tourismus-Hotspot, in dem es besondere Übernachtungsmöglichkeiten wie das Wildbad brauche. Die Landeskirche jedenfalls teilte auf Anfrage mit, dass eine "Übernahme des ganzen Betriebs" durch einen Käufer oder Investor, der die Arbeitsplätze sichern würde, "eine wünschenswerte Option" wäre.

Diese Zwischenwelt – manche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden wohl eher von einer Hängepartie sprechen – ist natürlich belastend, sagt Stephan Michels. Gerade deshalb sei es bewundernswert, dass "bis auf einen Mitarbeiter, der einfach ein sehr gutes Angebot bekommen hat und wohl auch ohne die Schließung abgeworben worden wäre", alle noch mit großem Elan dabei seien. Das liegt wohl auch daran, dass nach dem ersten Schock Ende 2023 im Wildbad-Team etwas Verständnis für die Entscheidung der Kirche gewachsen ist. Man wolle nicht dauerhaft ein Zuschuss-Betrieb sein, hört man aus der Belegschaft.

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