Sie waren als Mitglied der deutschen Delegation in Estlands Hauptstadt Tallinn bei der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK). Wie haben Sie die Konferenz denn erlebt?
Gianna von Crailsheim: Persönlich finde ich den Austausch und die Begegnung mit den verschiedenen teilnehmenden christlichen Traditionen sehr bereichernd. Es ist sehr beeindruckend, weil man diesen Rahmen nicht oft hat, zum Beispiel gemeinsam mit der orthodoxen Kirche zu tagen. Mit den in der Konferenz Europäischer Kirchen vertretenen anglikanischen, protestantischen, altkatholischen und orthodoxen Kirchen in den Austausch über die diversen Themen der Konferenz zu kommen, ist eine einzigartige Gelegenheit.
"Es geht darum, dass die Kirchen Räume schaffen für Dialog und sich für Versöhnung und Verständigung einsetzen."
Über welche Themen wurde denn alles diskutiert? Der russische Angriffskrieg war wahrscheinlich einer der Hauptpunkte.
Das Thema Ukraine stand natürlich im Fokus. Tatsächlich ist es so, dass die KEK grundsätzlich eher politische Aufgaben hat. Der Schwerpunkt liegt auf der Arbeit in der EU und im Europarat. Es geht um den Kontakt zu politischen Institutionen, sodass gesellschaftliche Themen, wie Klimagerechtigkeit oder Migration zum Beispiel, besonders wichtig sind. Auch der Beitrag der Kirchen zu Frieden und Gerechtigkeit wurde breit diskutiert. Es geht darum, dass die Kirchen Räume schaffen für Dialog und sich für Versöhnung und Verständigung einsetzen. Beim Thema Ukraine wurde der Blick aber auch auf Belarus gerichtet. Unter anderem durch die belarussische Bürgerrechtlerin Swjatlana Tsikhanouskaya, die uns vor Augen geführt hat, wie eng das Schicksal ihres Landes mit dem der Ukraine verflochten ist und mahnte, auch Belarus nicht zu vergessen.
Wie muss man sich die KEK denn grundsätzlich vorstellen? Ist die Konferenz mehr Beratungsgremium oder wurden auch konkrete Ergebnisse erzielt?
In erster Linie geht es um den Austausch der verschiedenen Kirchen und Regionen. Die Vollversammlungen finden nur alle fünf Jahre statt. Begegnungen, das Miteinander stark machen, und schließlich die politische Advocacy-Arbeit, also die Vertretung der gemeinsamen Anliegen, sind Kernpunkte der KEK. Wichtig ist auch, dass die Kirchen, die in der KEK zusammengeschlossen sind, den gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen in Europa gemeinsam begegnen. Und dabei geht es bewusst nicht nur um die Europäische Union, sondern auch um Länder, wie Armenien zum Beispiel. Konkret wurden eine Strategie für die nächsten fünf Jahre sowie Statements zum Ukrainekrieg, zur Klimakrise und zum Thema Migration verabschiedet.
"Insgesamt sollte die Zukunft von Kirche weltweit gedacht werden."
Viele Probleme, mit denen sich Kirche beschäftigt, wie der Krieg in der Ukraine, sind ja von globaler oder europäischer Tragweite. Ist die Zukunft der Kirche europäisch?
Dazu gibt es zwei verschiedene Perspektiven: Auf jeden Fall ist es wichtig, dass man sich im europäischen Kontext zusammentut, weil man sich in diesem Kontext ähnlichen Herausforderungen stellen muss. Insgesamt sollte die Zukunft von Kirche trotzdem weltweit gedacht werden. Unabhängig davon ist es sehr gut und wichtig, dass die Kirchen auf europäischer Ebene vernetzt sind und auf dieser Ebene gemeinsam mit einer starken und lauten Stimme sprechen.
Gianna von Crailsheim
Gianna von Crailsheim hat ihren Bachelor in Evangelischer Theologie an der Universität Regensburg abgeschlossen und absolviert nun ihr Masterstudium in Religion, Wirtschaft und Politik an den Universitäten Zürich, Luzern und Basel. Crailsheim ist Mitglied der bayerischen Landessynode sowie der EKD-Synode. Sie ist Mitglied im Beirat der Segen.Servicestelle Südbayern und Mitglied im Fachausschuss Entwicklung und Politik von Mission EineWelt.
Gehen wir noch einmal auf die Ebene der EKD zurück. Welche Impulse nehmen Sie denn von der Vollversammlung für die Arbeit in der Synode mit?
Wie wichtig es ist, auch über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und den Austausch zu leben. Dieses Miteinander ermöglicht uns, gemeinsam mit einer lauten Stimme zu sprechen, unsere Kräfte zu bündeln und gegenseitig voneinander zu lernen. Es ist gut, dass wir als bayerische Landeskirche und auch als EKD mit anderen Teilen Europas in Kontakt sind, da wir oftmals vor den gleichen Herausforderungen stehen. In meinem eigenen Synodenausschuss – Ökumene, Mission, Dialog – begegnet uns das immer wieder.
Sie bringen ja als junge Synodale stärker die Perspektive der jungen Generation mit in die Konferenz.
Das Thema Jugendbeteiligung wurde bei der Vollversammlung durch die jüngeren Delegierten stark gemacht und da kam uns viel Wertschätzung entgegen. Die KEK soll stärker auch eine Plattform für junge Menschen werden und dabei geht es, wie Sie richtig sagen, um die Perspektive der jungen Generation, um das, was wir inhaltlich zu sagen haben. Deutschland ist hier mit einem guten Beispiel vorangegangen, denn das Thema Jugendbeteiligung ist in der EKD schon sehr weit ausgebaut.
"Es ist aktuell sehr wichtig, dass die Kirchen als Plattform für den Dialog dienen. Das wird uns durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und die Rolle der orthodoxen Kirche immer wieder vor Augen geführt."
Was kann denn die KEK noch alles leisten? Dass sich so viele Kirchen aus den unterschiedlichsten europäischen Ländern treffen, kommt ja nicht alle Tage vor.
In meiner Wahrnehmung ist es gegenwärtig insbesondere der Beitrag zu Versöhnung und Verständigung, wie er auch im Mittelpunkt der Konferenz stand. Einen Raum für Dialog zu schaffen, auch für diejenigen, die vielleicht aus politischen Gründen sonst nicht miteinander sprechen würden. Und es ist aktuell sehr wichtig, dass die Kirchen als Plattform für den Dialog dienen. Das wird uns durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und die Rolle der orthodoxen Kirche immer wieder vor Augen geführt. Brückenbauen ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Stichwort. Darum geht es der KEK. Und letztendlich sind wir mit dieser Vollversammlung zu ihrem Ursprung zurückgekehrt, denn die KEK wurde 1959 gegründet, unter anderem um sich für Heilung und Frieden einzusetzen.
"Auch wenn die KEK vielleicht nicht direkt wahrgenommen wird, ist ihre Arbeit umso wichtiger, denn es ist essenziell für die Zukunft der Kirchen, mit der Politik gut im Gespräch zu sein und dort die kirchlichen Interessen zu vertreten."
Wie wird denn die KEK auf Landesebene wahrgenommen? Das ganze scheint erstmal weit weg zu sein von den einzelnen Gemeinden?
Ich habe tatsächlich gemerkt, dass die KEK an sich nicht so wirklich greifbar ist. Sowieso nicht auf der Ebene der einzelnen Kirchenmitglieder, aber auch weniger als andere Zusammenschlüsse auf Ebene der Landeskirchen und vielleicht sogar der EKD. Das liegt wohl daran, dass die KEK ihren Sitz in Brüssel hat und eher im europäischen politischen Kontext tätig ist. Auch wenn die KEK vielleicht nicht direkt wahrgenommen wird, ist ihre Arbeit umso wichtiger, denn es ist essenziell für die Zukunft der Kirchen, mit der Politik gut im Gespräch zu sein und dort die kirchlichen Interessen zu vertreten. Gerade die theologische und christliche Perspektive, und damit verbunden wichtige Grundwerte, kann die Konferenz Europäischer Kirchen in die Politik einbringen.
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden