Beim Thema Missbrauch und sexualisierte Gewalt stand lange Zeit vor allem die katholische Kirche im Fokus. Mit der Vorstellung der ForuM-Studie am heutigen Donnerstag ist das vorbei. Das Ausmaß und die Zahl der Fälle sind auch in der evangelischen Kirche erschreckend. Und auch der Umgang mit dem Thema war lange Zeit nicht angemessen. 

Jetzt braucht es eine klare Haltung und den glaubwürdigen Willen, sich dem Problem zu stellen. Die bayerische Landeskirche hat diesen Willen bereits mehrfach und deutlich öffentlich unterstrichen. Mit der 2015 eingerichteten Anerkennungskommission, an die sich Betroffene wenden können, wurde bereits ein wichtiger Schritt getan. 

Aufklärung, Anerkennung und Prävention

Nun muss der Prozess weitergehen. Dabei geht es vor allem um drei Dinge:

  • Erstens Aufklärung und Aufarbeitung. Neben der juristischen Aufarbeitung von Missbrauch und Gewalt darf aber auch die vermeintlich weiche Seite des Problems nicht vergessen werden. Manche Betroffene beklagen nach wie vor, dass sie sich nicht respektiert fühlen, dass ihr erlittenes Leid und Unrecht nicht ausreichend gewürdigt wird. 
  • Für die Kirche ist es zweitens unerlässlich, dass dieses Gefühl der Anerkennung keinem Betroffenen vorenthalten wird. Denn im Unterschied zu anderen Institutionen der Zivilgesellschaft, wie Parteien, Gewerkschaften oder Unternehmen, ist sie in noch stärkerem Maße verpflichtet, nicht nur auf die rechtliche Seite, sondern auch auf die Gefühle der Menschen einzugehen. Das liegt in ihrer besonderen Natur. 
  • Die Kirche hat also noch viel zu tun. Ihre öffentlichen Äußerungen und auch die Tatsache, dass sie selbst die ForuM-Studie in Auftrag gegeben hat, zeigen, dass sie sich dessen bewusst ist und mit den besten Absichten daran gehen wird, bereits geschehenes Unrecht aufzuklären – und, und damit sind wir bei drittens, weiteres Unrecht präventiv zu verhindern.

Kritik ja, Bashing nein

Natürlich ist Kritik am bisherigen und weiteren Vorgehen der Kirche erlaubt und notwendig. Was aber nicht angebracht ist, ist ein hämisches, herablassendes Bashing, das der Kirche eine besondere Betroffenheit von Missbrauchsfällen unterstellt und damit ihre grundsätzliche Legitimation infrage zu stellen versucht. Denn jede einzelne Tat, sei es Missbrauch oder sexualisierte Gewalt, ist schrecklich.

Doch die Ursache liegt weder in der (teilweise immer noch kritikwürdigen) Sexualmoral der Kirche noch (im Falle der Katholik*innen) im Zölibat. So hat die "Ulmer Studie" des Kinderpsychiaters Jörg Fegert bereits 2019 festgestellt, dass die Zahl der Missbrauchsfälle im Sport fast doppelt so hoch ist wie in der katholischen Kirche. Längst ist klar: Missbrauch und sexualisierte Gewalt sind vielmehr ein Problem, das alle gesellschaftlichen Bereiche betrifft: Politik, Medien, Sport. Vereine, Unternehmen, Internate. Kurz: jede Institution und jeden Ort, an dem Menschen Macht über andere haben. 

Diesem Grundproblem müssen sich alle stellen, die nicht nur aufklären, sondern auch vorbeugen wollen. Die Herausforderung besteht darin, Strukturen zu schaffen, die Abhängigkeitsverhältnisse vermeiden, die starre Hierarchien durch flache ersetzen, die Macht nie unkontrolliert und absolut werden lassen.

Das gilt für die Kirche, aber bei weitem nicht nur für sie. Auch deshalb ist es völlig unangebracht, jetzt hämisch den Zeigefinger zu erheben. Alle müssen sich dem gesamtgesellschaftlichen Problem stellen, und zwar dort, wo sie jeweils tätig sind. Die EKD hat mit der in Auftrag gegebenen Studie einen wichtigen Schritt in diese Richtung getan. Weitere müssen folgen.

 

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