"Die Gründe für die vielen Austritte sind vielfältig."

Haben die in Deutschland hohen Kirchenaustrittszahlen etwas mit der Kirchensteuer zu tun? 

Patrick de La Lanne: Sicher ist auch die Kirchensteuer ein Grund. Aber die Gründe für die vielen Austritte sind vielfältig. Einmal muss man die Austritte in einem Gesamtzusammenhang sehen. Überlegen Sie einmal, wie viele Menschen heute überhaupt noch eine Tageszeitung abonniert haben. Den Gewerkschaften laufen die Mitglieder weg, den Arbeitgeberverbänden laufen die Mitglieder weg, den Parteien, aber auch den Vereinen laufen die Mitglieder weg. Das Thema Kirchenaustritte ist sicherlich Teil eines globalen Gesamtphänomens. Kirchenaustritte sind Teil eines gesamtgesellschaftlichen Umbruchs, der Parteien, Verbände, Arbeitgeber, Gewerkschaften, Vereine, aber letztlich auch Familien betrifft.

Wofür wird die Kirchensteuer verwendet?

Nur 50 Prozent, also etwa die Hälfte unserer Mitglieder, zahlen überhaupt Kirchensteuer. Die Kirchensteuer wird für die sozialen Leistungen der Kirchen verwendet, sie fließt natürlich auch in die Gemeinden vor Ort, und natürlich auch in Personalkosten und Bildung. Für uns ist seit der Reformation Bildung ein ganz wichtiger Punkt.

"Ich wüsste nicht, wie wir unsere Aufgaben dann noch erfüllen könnten, wenn rund 80 Prozent unserer Einnahmen wegbrächen."

Könnte sich die Kirche überhaupt noch selber finanzieren, wenn es die Kirchensteuer nicht geben würde?

Fast 80 Prozent unserer Einnahmen sind Kirchensteuern. Wenn diese wegfielen, hätte das natürlich gravierende Folgen. Wir unterstützen zum Beispiel die Diakonie, Krankenhäuser, Kindergärten und Schulen. Ich wüsste nicht, wie wir unsere Aufgaben dann noch erfüllen könnten, wenn rund 80 Prozent unserer Einnahmen wegbrächen,.

Wenn es jetzt so weitergeht, und die Leute immer weiter aus der Kirche austreten, wie wird sich das dann weiterentwickeln?

Wir haben in Bayern einen starken Rückgang zu verzeichnen: 48.000 Menschen sind im letzten Jahr aus der Kirche ausgetreten. Das ist eine besorgniserregende Zahl. Wenn das so weitergeht, werden wir das natürlich auch finanziell merken. Wir haben für 2023 mit 805 Millionen Euro Kirchensteuer gerechnet. Wir hoffen, dass wir 770 Millionen einnehmen können. Dann kämen wir ohne ein Defizit aus. Wenn der Rückgang der Mitglieder in den nächsten Jahren so weitergeht, dann haben wir die große Sorge, dass wir Defizite produzieren, und das können und dürfen wir uns nicht leisten. 

"Wir müssen deutlich machen, dass wir bestimmte Aufgaben in Zukunft nicht mehr übernehmen können. "

Was wird dann passieren? Werden Leute gekündigt, oder müsste man dann die Kirchensteuer anheben? 

Die Kirchensteuer zu erhöhen, wäre sicher der falsche Weg. Wir haben Anfang des Jahres ein umfangreiches Sparprogramm in Höhe von 189 Millionen Euro beschlossen, das alle Bereiche der Landeskirche betreffen wird. Diese 189 Millionen Euro müssen bis 2030 eingespart werden. Da dürfen wir auch nicht nachlassen und dürfen keine Schulden anhäufen.  Das heißt, wir werden bestimmte Aufgaben nicht mehr machen können. Wir werden Prioritäten setzen müssen. Wir müssen sagen, was wir machen wollen, und wir müssen sagen, was wir nicht mehr machen wollen. Und wir müssen deutlich machen, dass wir bestimmte Aufgaben in Zukunft nicht mehr übernehmen können. 

In welchen Bereichen wird dann eingespart werden müssen? 

Das müssen wir mit unseren Gremien abstimmen, also natürlich mit der Synode und mit dem Landeskirchenrat, sowie mit der Betroffenen. Aber ganz wichtig ist, dass wir den Kern unserer kirchlichen Aufgaben erhalten müssen. Wir müssen auch in Zukunft Kirche sein. Das ist unter anderem die Verkündigung des Wortes, Diakonie, Seelsorge, Spiritualität. Das müssen wir unbedingt erhalten.

"Wir helfen den Menschen, wenn sie in Not sind. Wir machen etwas Gutes und das müssen wir auch in Zukunft tun."

Wie könnte man die Kirche und die Kirchensteuer bei der Gesellschaft attraktiver machen, damit es weniger Austritte gibt?

Es gibt ein spannendes Projekt der württembergischen Landeskirche zu diesem Thema, was ungefähr lautet: "Warum gibt es Kirchensteuer?". Da wird erklärt, wofür das Geld ausgegeben wird, und was man als Mitglied von der Kirchensteuer hat. Auch uns als bayerische Kirche ist Transparenz sehr wichtig. Wir haben seit 2014 eine Bilanz, in der alles drinsteht, was wir an Vermögen haben, und welche Aufgaben wir haben. Wichtig ist, dass wir um Verständnis werben. Wir tun etwas Gutes.  Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Pflegeheime, Altenheime, das machen wir. Natürlich macht der Staat das auch, aber wir als Kirche übernehmen hier Verantwortung. Wir helfen den Menschen, wenn sie in Not sind. Wir machen etwas Gutes und das müssen wir auch in Zukunft tun.

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