Mit ihrer Hörinstallation "Requiem für Verschwundene" macht die Regisseurin Gesche Piening ab 19. September an der Münchner Lukaskirche sechs Biografien von Menschen erfahrbar, die ohne Angehörige beerdigt worden sind. Rund 600 Menschen werden in der Landeshauptstadt jährlich von Amts wegen bestattet, bayernweit sind es rund 2.300, Tendenz leicht steigend. Den Behörden ist es in all diesen Fällen nicht gelungen, Angehörige zu finden, die die Totenfürsorge übernehmen könnten. Oft sind die Friedhofsangestellten die einzigen Menschen, die bei der Trauerfeier anwesend sind.

"Es bleibt extrem wenig übrig, wenn man niemanden mehr fragen kann", sagt Gesche Piening, die die Installation am Donnerstag der Öffentlichkeit präsentierte, im Gespräch mit dem Sonntagsblatt. In einem Hörbeispiel seien das nur der Name, das Geburts- und Todesdatum. In einem anderen Fall sei ihr der Zufall zu Hilfe gekommen: Die Großnichte einer Verstorbenen hatte über Umwege doch noch von deren Tod erfahren, später aufgetauchte Tagebücher legten Zeugnis ab von "einer Einsamkeit, die kaum zu ertragen war", sagt die Künstlerin. Dies sei die einzige Biografie, in der die Verstorbene selbst zu Wort komme.

Zwischen den beiden Extremen fand die 42-Jährige in langwieriger Recherche manchmal Menschen, die noch fragmentarisch vom ehemaligen Kollegen, von der früheren Nachbarin berichten konnten. Was Piening im Gespräch mit Todesermittlern der Polizei, Bestattern oder Hausverwaltern erfahren hat: "Es kann jeden treffen." Einsam zu sterben habe nichts mit dem sozialen Status eines Menschen zu tun. Oft sei das ein Phänomen der Großstadt, in der Menschen leichter untergehen, über den Tod hinaus. Eine zentrale Frage, die aus dem Thema für Gesche Piening erwuchs, lautet: "Was nehmen wir alles nicht wahr in unserer Gesellschaft?"

Piening beschäftigt sich in ihren genreübergreifenden Arbeiten häufig mit sozialen Fragen. Doch noch nie habe sie bei einem Thema einen so schnellen Wandel der gesellschaftlichen Haltung erlebt wie bei ihrem Großprojekt "Bestattungen von Amts wegen in München". "Als ich 2017 angefangen habe, war die erste Reaktion immer Abgrenzung", erinnert sich die Künstlerin, die für diese Arbeit ein Stipendium der Landeshauptstadt München bekam. Allein zu sterben oder ohne jede Anteilnahme von Angehörigen, Freunden oder Nachbarn bestattet zu werden, sei für die meisten nicht vorstellbar gewesen. "Doch durch die Corona-Pandemie musste sich jeder plötzlich mit der Möglichkeit auseinandersetzen, allein im Krankenhaus zu sterben", sagt Piening. Das Mitgefühl für den einsamen Tod mancher Menschen sei dank Corona sprunghaft gestiegen.

Auch die Lukaskirche kommt dank Corona in den Genuss der Hörinstallation auf einem ungenutzten Rasengeviert auf der Nordseite. Ursprünglich sollte das "Requiem für Verschwundene", der dritte Teil der Trilogie "Bestattungen von Amts wegen", bereits im Sommer als Theaterstück aufgeführt werden - zum damaligen Zeitpunkt undenkbar. Auf der Suche nach einem anderen Ort bot sich die Lukaskirche an. "Mit ihrem sozialen Engagement für Menschen ist sie für das Thema genau richtig", sagt Gesche Piening.

Vom 19. September bis 22. November können sich Passanten und Besucher nun von dem schmalen gelben Leitstreifen vom Portal der Kirche zum Ort der Ausstellung locken lassen und die "kleinstmögliche Form eines Staatsbegräbnisses" erfahren. Für jede der sechs Biografien haben Musiker ein eigenes Requiem komponiert. Vom Jodler in Moll über ein Songwriter-Stück bis hin zur zeitgenössischen Oper ist alles dabei. Gesche Pienings Ziel ist, die einsam und unbemerkt Gestorbenen und Begrabenen sichtbar zu machen und ihnen Würde zurückzugeben.