Memes von Susanne Daubner geistern durch die sozialen Medien, und wir wissen alle, was das bedeutet: Das Jugendwort des Jahres wurde mal wieder verkündet. Also stellt sich die "Tagessschau"-Sprecherin in bewährter Manier vor die Kamera und stellt es in ihrer unnachahmlichen Art vor. Nach "Smash", "Cringe" und "Goofy" ist es dieses Jahr an ihr, "Aura" zu erklären und in welchen Situationen es verwendet wird.
Sie sagt: "Aura beschreibt die persönliche Ausstrahlung. Ein Beispiel: Ich wurde einfach von einer KI ersetzt – Minus 5.000 Aura".
Doch ist der Begriff mit "persönlicher Ausstrahlung" wirklich zutreffend erklärt? Beschreibt das nicht eher die ursprüngliche Bedeutung, die von den Jugendlichen durch ihre Verwendung abgewandelt wurde? Schauen wir uns das mal genauer an.
Die ursprüngliche Bedeutung von "Aura"
"Aura" ist ursprünglich Altgriechisch und bedeutet "Lufthauch". In der griechischen Mythologie ist Aura die Göttin der Morgenbrise.
Bis heute haftet dem Begriff meist etwas Spirituelles an. In der christlichen Welt gilt der Heiligenschein als Aura. Auch im Islam hat das Wort eine große Bedeutung, hier bezeichnet es die Nacktheit eines Menschen, übersetzt wird es mit "Scham". Und in der Energiekörperlehre der modernen westlichen Esoterik bezeichnet "Aura" den gesamten Charakter und die momentane Befindlichkeit eines Menschen.
Umgangssprachlich wird es heute eher als Synonym für Ausstrahlung oder Charisma verwendet – die Bedeutung also, die Susanne Daubner dem frischgewählten Jugendwort unterstellt.
Aber verwenden die Jugendlichen es wirklich in diesem Sinn? Hier lohnt sich ein genauerer Blick.
"Aura" als "Ausstrahlung"?
"Ich dachte, es gibt keine Stufe mehr und bin gestolpert - minus 50 Aura" mit "Ich dachte, es gibt keine Stufe mehr und bin gestolpert - minus 50 Ausstrahlung" zu übersetzen, ergibt irgendwie wenig Sinn.
"Aura", in dem Sinne, wie es Jugendliche verwenden, kann also in Zahlen ausgedrückt werden. Je höher die Zahl, desto besser. Je nachdem, wie man sich verhält oder was in einem Leben passiert, werden Punkte abgezogen oder hinzugewonnen.
Das funktioniert genau wie bei Videospielen. Wenn etwas Gutes passiert, erhält man XP (Experience Points, also Erfahrungspunkte) und mit genügend XP erreicht man das neue Level. Es scheint so, als würden die Jugendlichen im wirklichen Leben ihre Erfahrungspunkte in "Aura" angeben. Es geht also nicht um Ausstrahlung, sondern eher um Performance.
Die Gamification der Sprache
Dahinter steckt ein Phänomen, das sich nicht nur auf das neue Jugendwort bezieht: die Gamification der Sprache. Wörter aus dem Gaming-Kosmos wie "Imposter" (Hochstapler) oder "Noob" (Anfänger) sind schon länger in den normalen Sprachgebrauch eingeflossen. Immer öfter werden sprachlich Parallelen zwischen dem realen Leben und Videospielen gezogen.
Das macht bei einzelnen Begriffen nicht Halt. Du willst eine falsche Entscheidung treffen, weißt aber schon vorher genau, dass sie dir und deinem Leben schaden wird? Die perfekte, aus dem Gaming-Kontext übernommene Rechtfertigung: "Do it for the Plot!" Also tu es, um die Handlung des Spiels, beziehungsweise in diesem Falle deines Lebens, voranzutreiben, damit es spannend bleibt. So würzt du dein Leben mit ein bisschen mehr Drama.
Und wenn dir das zu viel wird, kannst du auf den nächsten Trend aufspringen. Eine virale Tik-Tok-Stimme beklagt sich: "I feel like I'm on season 5 in my life, and the writers keep doing outrageous shit to keep it interesting" (Ich fühle mich, als wäre ich in Staffel 5 meines Lebens und die Autoren machen nur noch unverschämte Dinge, um es interessant zu halten.) Du bist also gar nicht für die Komplikationen in deinem Leben verantwortlich, sondern die Autoren, die dein Leben schreiben, auch wenn du vorher von dir aus Entscheidungen "for the Plot" getroffen hast.
NPCs und Main Character Moments
Du kannst dich auch entscheiden, ob du wie ein "NPC" (Non-Playable-Character, Figuren in Videospielen, die nicht aktiv gespielt werden können, also Statisten) in der Gegend herumstehen willst. Oder, ob du deinen "Main Character Moment" (Hauptdarsteller-Moment) haben willst, indem du traurig und melancholisch wie in einem Film im Zug sitzt und den Regentropfen zusiehst, wie sie die Fensterscheibe herunterlaufen.
Bei dem Jugendwort "Aura" geht es also darum, wie die Dinge, die man erlebt, einen leiten und vor allem von außen bewertet werden können. "-5.000 Aura" ist der Kommentar, wie die vorhergehende Situation von außen gesehen werden könnte. Natürlich könnte man sagen, durch den Ansehensverlust verliert man auch an Ausstrahlung. Womit sich der Bedeutungskreislauf in gewisser Weise schließt.
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