Hunderte Gepäckstücke, wahllos übereinandergeworfen, daneben Bahngleise. Koffer, Taschen, Bündel und Säcke, alle herrenlos. Solche Bilder haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt: das letzte Hab und Gut der Menschen, die von Schergen des NS-Regimes viele Jahre schon drangsaliert wurden, auf einen Haufen geworfen - ehe es noch nach Wertsachen durchsucht wird. Die Besitzer sind nicht zu sehen, in vielen Fällen waren sie schon gar nicht mehr am Leben - oder auf dem Weg in den sicheren Tod: in die Konzentrations- und Tötungslager. In Würzburg soll demnächst ein "DenkOrt" genau daran erinnern.
Der "DenkOrt Deportationen" spannt ein Netz über eine ganze Region.
In vielen Städten und Gemeinden wird an die Opfer des NS-Regimes gedacht, es gibt bereits heute zahllose Stelen oder Informationstafeln zur perfiden Tötungsmaschinerie der Nazis und ihren Ausläufern vor Ort. Doch in Würzburg wird alles anders. Es geht nicht nur um die aus Würzburg stammenden NS-Opfer, vornehmlich Juden, die per Zug in Richtung Theresienstadt deportiert wurden, sagt Mit-Initiatorin Benita Stolz. Der "DenkOrt Deportationen" spannt ein Netz über eine ganze Region. Er ist zentrales und dezentrales Denkmal gleichzeitig - und vor allem: Er soll nichts Statisches sein, sondern auch ein Lernort.
Im Mittelpunkt wird aber dann doch auch viel Beton stehen. Der Würzburger Architekt Matthias Braun hat ein Denkmal entworfen, das mit genau diesem bekannten Bildmotiv arbeitet: zurückgelassene und herrenlose Gepäckstücke. Sie sollen auf anthrazitfarbenen Betonblöcken auf einer Fläche vor dem Würzburger Hauptbahnhof drapiert werden. 109 Koffer, Taschen, Säcke und Bündel sollen es irgendwann sein - für jede Gemeinde Unterfrankens, aus der Juden deportiert wurden, ein Gepäckstück. 55 der 109 Gemeinden haben bereits zugesagt, teilweise sind die Gepäckstücke schon fertig und warten auf ihre Installation.
Das Besondere ist, dass es von jedem Gepäckstück eine Kopie gibt.
"Das Besondere ist", sagt Rotraud Ries vom Johanna-Stahl-Zentrum zur Dokumentation jüdischen Lebens in Unterfranken, "dass es von jedem Gepäckstück eine Kopie gibt". Die Kopien werden nicht in Würzburg vor dem Hauptbahnhof stehen, sondern in den jeweiligen Gemeinden, aus denen die Juden vom NS-Staat deportiert wurden. Die Koffer werden jeweils von Initiativen vor Ort gestaltet, sagt Ries. Mal sind es Künstler oder Kunsthandwerker, mal Schul- oder Berufsschulklassen. Die Koffer und Taschen werden aus verschiedenen Materialien sein: Beton, Stahl und Holz, aber auch Mixturen, sagt Architekt und Künstler Braun.
Das ganze Projekt kostet am Ende rund 250.000 Euro, etliches ist durch Spenden, Zuschüsse und Sponsoren schon beisammen - aber trotzdem könnte der Verein "DenkOrt Aumühle" noch Geld gebrauchen, um alles auch wie geplant umzusetzen. Die Idee zu einem Denkmal für die von den Nazis verschleppten und oft ermordeten Menschen kam erstmals Mitte der 2000er Jahre auf. Ursprünglich sollte der "DenkOrt" an den Verladebahnhof Aumühle kommen - von dort aus traten die meisten der Deportierten ihre Fahrt in eine ungewisse und oft tödliche Zukunft an. Doch bauliche Probleme am Standort machten das unmöglich.
DenkOrt soll belebt sein
"Der Verein kann sehr gut mit dem Standort am Hauptbahnhof leben", sagt Vereins-Gründungsmitglied Karlheinz Spiegel. Schließlich fuhren die meisten Deportations-Züge über den Hauptbahnhof. Neben der historisch also vorhandenen Verbindung sei die Aufmerksamkeit für das Denkmal am Hauptbahnhof auch größer. Sitzgelegenheiten sollen zum Verweilen rund um die Gepäckstücke einladen, Stelen über den Hintergrund informieren. "Wir wollen, dass der 'DenkOrt' belebt wird, aber natürlich in einer angemessenen Art und Weise", erläutert Stolz. Eine Picknickpause auf den Koffern gehöre "eher nicht dazu".
Die Fundamente für den "DenkOrt Deportationen" wurden bereits gegossen, in den nächsten Wochen sollen nun die anthrazitfarbenen Blöcke geliefert und positioniert werden. Im März, hoffen die Initiatoren, sind dann die ersten Gepäckstücke installiert und kann das Denkmal auch offiziell eröffnet werden. Die Gepäckstücke sind jeweils mit dem Namen der Kommune versehen, aus der die Deportierten kamen. Auf den Stelen sollen außerdem alle Kommunen namentlich benannt werden, aus denen Menschen deportiert wurden. "Jeder kann selbst erkennen, welche Gemeinden sich bisher nicht beteiligen wollten", sagt Stolz.
"Hätte es dieses Projekt nicht gegeben, hätte sich in vielen Kommunen bis heute keiner mit diesem Thema auseinandergesetzt", sagt Rotraud Ries: "Das Ziel war immer der Denkprozess, nicht das fertige Denkmal." So soll es auch bleiben. Der "DenkOrt" wird auch Ausgangspunkt für Jugendbildungsprojekte sein. Unter der Überschrift "DenkOrte gegen den Hass" sollen sich Jugendliche in Projekten mit Hass, Ausgrenzung und Diskriminierung beschäftigen. In Workshops setze man sich mit diesen Themen gezielt auseinander, sagt Projektkoordinatorin Katharina Wehinger von der Jugendbildungsstätte Unterfranken in Würzburg.