Die Juristin Tahireh Panahi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Kassel im Fachgebiet öffentliches Recht, IT-Recht und Umweltrecht und forscht am Projekt Dynamo ("Dynamiken der Desinformation erkennen und bekämpfen"). Im Podcast Ethik Digital erklärt sie, wie Desinformation (sogenannte "Fake News") und Misinformationen über Plattformen und Messenger verbreitet werden und die Demokratie bedrohen – und welche Lösungen entwickelt werden, um die Gefahr von Desinformation einzudämmen.
Wie kommen Sie dazu, über Desinformation im Netz zu forschen?
Panahi: Mich interessiert Forschung, und ich war nach dem zweiten Staatsexamen auf der Suche nach einer sinnstiftenden Tätigkeit – und stieß auf das Projekt Dynamo, das sich mit diesem wirklich hochaktuellen Thema der Desinformation in Messenger-Diensten beschäftigt. Ich kenne das leider zu gut aus meinem privaten Umfeld, dass sich Menschen radikalisieren, Desinformationen glauben und auch Verschwörungsnarrativen folgen, und das hat mich mein Leben lang begleitet. Deswegen war es für mich dann auch ein Herzensanliegen, da mitarbeiten zu können.
Sagen wir, ich bekomme über einen Messengerdienst eine Mitteilung, in der steht, alle Flüchtlinge erhalten kostenlos einen Führerschein. Wir wissen, dass diese Information erfunden ist. Wie funktioniert denn jetzt diese Dynamik der Desinformation?
Panahi: Das Beispiel zeigt die Dynamiken sehr gut. Das Thema "Flüchtlinge" wird politisch hoch kontrovers behandelt. Dieses Narrativ der Flüchtlinge, die der einheimischen Bevölkerung etwas wegnehmen, wird immer wieder bemüht und viele Desinformationsakteure nehmen das auf. Zweitens sehen wir, wie Informationen bewusst ausgedacht und platziert werden – es gibt also eine Intention die sich auf eine Täuschung richtet. Und das machen sich einige Menschen, die diese Information bekommen, gar nicht bewusst – oder sie wissen nicht, dass es sich um eine falsche Tatsachenbehauptung geht. Desinformation ist also dynamisch und kann schnell zu einer Misinformation werden.
Messengerdienste sind nur eine der vielen technischen Wege, mit denen Falschinformationen verbreitet werden. Weiterhin gibt es öffentliche soziale Medien und verschiedene andere Formen der Verbreitung. Messengerdienste sind eben eine besondere Kommunikation, die eine Dark Social Sphäre bilden – wo Menschen aus der privaten Kommunikation in die öffentliche Kommunikation wechseln, und sich Desinformation dynamisch verbreiten kann.
Wie schätzen Sie die Gefahr von Desinformation ein? Ist das ein Randphänomen oder in der Mitte der Gesellschaft angekommen?
Panahi: Wir müssen das Problem der Desinformation im Zusammenhang mit anderen Problemen sehen, und dann wird es zu einer großen Bedrohung für die Demokratie.
Desinformation heute steht im Zusammenhang mit hybriden Kriegen, es ist ein Propagandainstrument und steht im Zusammenhang mit Informationsmanipulations-Techniken.
Zur Desinformation gehört nicht nur die Behauptung falscher Tatsachen, sondern auch die Manipulation von Informationen sowie die technischen Möglichkeiten, etwa Reichweite künstliche zu verzerren, indem Fakeprofil-Bots eingesetzt werden. Es können also Wahlen manipuliert und falsche Stimmungsbilder generiert werden. Damit wird aktiv in das politische Tagesgeschehen eingegriffen. Das halte ich für eine sehr große Gefahr.
Zudem erleben wir eine starke Polarisierung im Netz. Das erzeugt einen Nährboden für die Produktion von Desinformation. Und wenn wir verunsichert und enttäuscht sind von dem politischen System der Demokratie, dann ist das eine Gefahr, die nicht unterschätzt werden sollte.
Die empirischen Belege für die Reichweite von Desinformationen und dafür, wie kausal Desinformation für eine Wahlentscheidung ist, haben wir noch nicht in dem Maße, wie wir es uns wünschen würden, aber dennoch können wir schon von einer Bedrohung ausgehen.
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Dynamik der Desinformation - Lösungswege
Was können wir denn gegen Desinformation tun?
Panahi: Wir denken intensiv über diese Lösungsmöglichkeiten nach. Auf EU-Ebene sind viele neue Rechtsakte ergangen: Der Digital Service Act (DSA) nennt Desinformation als Bedrohung und enthält einige Strategien.
Es auch weitere Rechtsakte, wie die Verordnung über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung oder auch den Verhaltenskodex gegen Desinformation, die zusammenwirken und das Problem bekämpfen könnten. Sie sorgen systemisch dafür, dass wir ein vertrauenswürdigeres und transparenteres Online-Umfeld haben, das der Desinformation vielleicht auch ein bisschen den Nährboden entzieht.
Aber das geht nicht weit genug und deswegen untersuchen wir im Projekt weitere Maßnahmen, wie man auch regulatorisch weiter vorgehen kann. Eine Maßnahme ist das "Prebunking", dabei geht es um präventive Maßnahmen, die gegen eine Desinformationskampagne eingesetzt werden können. Das wird schon eingesetzt, wenn in den Nachrichten vor einem Phänomen gewarnt wird. Beim Prebunking geht es darum, die Bevölkerung mit einer kleinen Dosis Desinformation zu versehen, um die Resilienz zu fördern. Diese Strategie zielt auf psychologische Mechanismen.
Eine andere Variante des Prebunkings ist die "Broad-Spectrum-Methode". Damit soll die Medienkompetenz allgemein gefördert werden, ohne auf eine spezifische Desinformation einzugehen. Derzeit denken wir bei Medienkompetenz immer an die Schulen. Das ist weiterhin wichtig, aber es reicht nicht mehr. Wir müssen auch die Online-Plattformen undMessengerdienste-Anbieter dazu bekommen, hier mitzumachen.
Wenn wir als Journalisten einen Fehler begehen, bekommen wir das sofort zurückgespiegelt. Wenn eine Suchmaschine inhaltliche Fehler liefert, muss sie nicht dafür haften – wäre es nicht eine Lösung, die Plattformen wie Medien zu behandeln?
Panahi: Also, da gibt es natürlich wesentliche Unterschiede. Bei den Online-Plattformen sprechen wir von Intermediären oder Vermittlungsdiensten, die natürlich nicht einer journalistischen Zeitung gleichzusetzen sind, einfach auch schon, weil es da an den redaktioneller Begleitung fehlt. Diese haben laut EU-Regulierung eine Privilegierung, sie haften also nicht automatisch für alle Inhalte, die in ihren Räumen verbreitet werden.
Unsere Handlungsempfehlungen richten sich auch nicht an die Plattformbetreiber, denn viele gute Rezepte gibt es ja schon, die man freiwillig einhalten könnte, zum Beispiel eben auch den Verhaltenskodex gegen Desinformation. Unsere Handlungsempfehlungen richten sich an die Politik, an den Gesetzgeber, aber auch an die Öffentlichkeit.
Desinformation ist ein gesellschaftliches und systemisches Risiko. Ich finde aber, neben dem bereits durch die EU-Regulierung verfolgten risikobasierten Ansatz fehlt uns ein chancenbasierter Ansatz, der auch dazu beiträgt, die demokratischen Prozesse besser zu unterstützen.
Blicken Sie optimistisch oder pessimistisch auf die EU-Gesetzänderungen?
Panahi: Wir haben durch die Rechtsakte einen größeren Sprung nach vorne gemacht und holen gerade auf, was wir bisher versäumt haben. Es werden viele Grundparameter geändert, und es bleibt zu hoffen, dass es eine effektive Rechtsdurchsetzung geben wird. Die ersten Untersuchungsverfahren gegen große Plattformensindrecht vielversprechend.
Das Thema Desinformation betrifft nicht nur die EU, sondern die Weltbevölkerung. Deshalb ist es so wichtig, im Bereich des Völkerrechts und der Diplomatie aktiv zu werden, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.
Und wie kann oder soll die Zivilgesellschaft künftig besser mitmischen?
Panahi: Die Zivilgesellschaft hat den Wunsch, in gesellschaftlichen Diskursen mitzuwirken. Derzeit ist unsere Gesellschaft sehr politisiert, was auch positiv ist, wenn es in eine konstruktive Richtung ginge. Es gibt Bemühungen, mehr Bürgerräte zu installieren oder Projekte, die den gesellschaftlichen Dialog fördern. Ich glaube, wir müssen diese Kompetenz erwerben, wie Diskurse und Kommunikation funktionieren und wiediese konstruktiver und konsensorientierter ablaufen können.
Wie bewerten Sie denn die globalen Bemühungen, digitale Ethik voranzutreiben?
Panahi: Die UN bemüht sich um einen Verhaltenskodex zur Informationsintegrität, der weltweit wirken könnte. Das ist nicht rechtlich verbindlich, insofern müssen wir uns fragen, wie effektiv solche Maßnahmen im einzelnen sind.
Von den meisten Staaten und Regierungen ist derzeit wenig zu erwarten. Weltweit ist die Demokratie leider auf dem Rückgang, und wir müssen deshalb darüber nachdenken, wie wir mit Menschen in anderen Ländern ins Gespräch kommen.
Auch wenn ich kurzfristig diesbezüglich eher pessimistisch bin, sehe ich langfristig doch ein großes demokratisches Potenzial durch technische Entwicklung. Vielleicht können wir die Krisen als Chance sehen und auch die aktuellen Formen der Demokratie optimieren und uns fragen, was braucht der Mensch heute, um ein mündiger Internet-Bürger zu werden? Das war ja die Hoffnung der Technologie, und daran sollten wir anknüpfen.
Dieser Text ist eine stark gekürzte und redigierte Version des Podcastes Ethik Digital.
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Der Podcast Ethik Digital erscheint einmal monatlich und wird von Rieke C. Harmsen und Christine Ulrich gehostet. Der Podcast erscheint als Audio, Video und Text. Alle Folgen des Podcasts Ethik Digital gibt es unter diesem Link. Fragen und Anregungen mailen Sie bitte an: rharmsen@epv.de
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