Heino Falcke hat als Astrophysiker am ersten Foto eines Schwarzen Lochs mitgearbeitet. Als Wissenschaftler und als gläubiger Christ erkennt er aber auch die Beschränktheit dessen, was man mit naturwissenschaftlichen Gesetzen beschreiben kann. "Es braucht das Wort, es braucht die Regeln, um aus Nichts Licht zu machen", sagt er. Falcke, der an der Radboud-Universität in Nijmegen forscht, versucht den Anfang der Welt zu denken. An diesem Sonntag, dem 5. Dezember, hält er in der Regensburger Neupfarrkirche eine Kanzelrede.
Was sehen Sie, wenn Sie hinauf in den Sternenhimmel blicken?
Falcke: Einerseits sehe ich die reine Wissenschaft: die Milchstraße, und ich ahne ein schwarzes Loch in der Tiefe. Andererseits sehe ich da Weite, Herausforderung und Neugier, was da ist. Das habe ich bis heute nicht verloren, wenn ich in den Sternenhimmel sehe und mir die Zeit dafür nehme.
Haben Sie sich schon als Junge von den Sternen angezogen gefühlt?
Falcke: Es war bei mir die Mondlandung, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Ich habe hinaufgeschaut und mich gefragt, was dahinter ist und was dort oben passiert. Der Himmel als Sehnsuchtsort und als etwas, das einem durch seine Existenz Fragen stellt. Ich kann mich nicht erinnern auf Bäume geschaut und mich nach deren tieferem Geheimnis gefragt zu haben.
Wann haben Sie zum ersten Mal durch ein Teleskop geblickt?
Falcke: Tatsächlich bin ich gar nicht so ein passionierter Durch-ein-Teleskop-Blicker. Als Radioastronom blickt man ja nur auf Bildschirme und auch beim Hubble-Teleskop lädt man die Bilder nur auf den Computer runter. Aber meine Großmutter, sie war aus Ostpreußen und wollte selbst Astronomie studieren, hat mich als Kind mit in die Kölner Volkssternwarte genommen. Damals habe ich zum ersten Mal den Saturn gesehen. Das war sehr beeindruckend.
"Noch im 19. Jahrhundert dachte man, dass das Weltall immer da war, statisch und unveränderlich."
Wie erklären Sie jemandem den Urknall, der keine Ahnung von Naturwissenschaften hat?
Falcke: Das Entscheidende ist, dass es einen Anfang gab in dieser Welt. Noch im 19. Jahrhundert dachte man, dass das Weltall immer da war, statisch und unveränderlich. Auf einmal stellten Wissenschaftler fest, dass die naive Grundannahme der Menschheit seit Urzeiten, dass die Welt und alles darum irgendwann entstanden ist, wissenschaftlich fundiert ist. Das ist die entscheidende Entdeckung des letzten Jahrhunderts. Wie das sein kann, dass alle Energie, alle Materie zusammen in kleinstem Raum aus sich heraus expandiert ist, bleibt eine der großen Überraschungen der Physik.
Wie lief der Urknall ab?
Falcke: Das heutige Erklärungsmodell sagt, dass Raum und Zeit sich in unfasslich kurzer Zeit inflationär ausgedehnt haben, und ein Feuerwerk an Licht und Energie losgelassen haben, das sich abgekühlt hat, aus ihm haben sich Teilchen herauskristallisiert, die sich wieder zusammengezogen haben zu Sternen und Galaxien, die neue Elemente produziert haben, die wieder gestorben sind, die neue Elemente und Moleküle im Weltall produziert, die sich zusammengezogen haben zu neuen Sonnen und Planeten, auf denen irgendwann dann Leben entstanden ist.
Am Anfang war also eher ein riesiges Flash-Light als ein bombastischer Knall?
Falcke: Manche der heutigen Kosmologen sagen "Knall" zu der Phase, die nach der leisen Inflation des Raumes kommt. Der Knall entsteht wie ein Lichtblitz. Selbst Materie war dort noch Licht. Und aus diesem Lichtblitz, der reinen Form von Energie, ist dann die Materie entstanden, aus der sich die Naturkräfte herauskristallisiert haben, die auch noch nicht ganz festgelegt waren.
"Das "Everything out of Nothing", das Atheisten postulieren, stimmt nicht."
Aber die große Frage bleibt doch: Warum ist nicht Nichts, sondern warum ist überhaupt etwas?
Falcke: Es kann nicht durch Nichts, aus Nichts etwas entstehen. Es kann unter Umständen aus beinahe Nichts mithilfe von Regeln etwas entstehen. Das ist das, was wir in der wissenschaftlichen Schöpfungsgeschichte beschreiben. Dort postulieren wir Naturgesetze und Gesetzmäßigkeiten, aufgrund derer unter bestimmten Voraussetzungen, die da sein müssen, die wir nicht ableiten können, die wir annehmen müssen, etwas entstehen kann. Das "Everything out of Nothing", das Atheisten postulieren, stimmt nicht. Selbst in der modernen Schöpfungsgeschichte ist eine Art Ur-Tohuwabohu, ein Ur-Chaos gegeben, aus dem etwas aufgrund von Ur-Regeln hervorgeht.
Was war aber dann vor dem Nichts?
Falcke: Bevor das Licht ist, spricht Gott. "Und Gott sprach", heißt es in der Bibel. Es braucht das Wort, es braucht die Regeln, um aus Nichts Licht zu machen. Zeit entsteht erst mit dem ersten Lichtblitz. Das ist der erste Tag. Davor ist es eine zeitlose Zeit. Stephen Hawking meinte, vielleicht habe die Zeit gar keinen Anfang und deshalb müsste man nicht über den Ursprung nachdenken. Das ist ein Taschenspielertrick, finde ich. Unsere Möglichkeit, Zeit zu begreifen, beginnt aber wohl tatsächlich erst mit dem Anfang der Welt.
Gäbe es Leben auf der Welt ohne das perfekte Feintuning von Naturkonstanten und physikalischen Gesetzen in der Weltentwicklung?
Falcke: Unsere Fantasie reicht nicht aus, um zu begreifen, welche Möglichkeiten bestanden hätten. Der menschliche Geist reicht ja nicht einmal aus, um sich selbst vorherzusagen aufgrund der Anfangsbedingungen des Universums. Das haben wir erst im Nachhinein entdecken können. Nach allem, was wir wissen, besteht heute eine unglaubliche Komplexität, die aus einfachsten Regeln und ein paar Naturkonstanten entstand. Das ist für mich ein Wunder, dass es funktionieren konnte.
Ist das Weltall per Zufall entstanden oder hat ein Schöpfer es designt, der an den Schräubchen gedreht hat, bis alles passte?
Falcke: Diese Frage kann die Wissenschaft nicht beantworten. Wir können nur sagen: Wenn alle diese Konstanten frei gewesen wären, ist es extremst unwahrscheinlich, dass sie exakt so zusammengekommen wären. Dass diese Erde existiert, ist und bleibt der helle Wahnsinn!
"Diese Lücke lässt sich durch die Wissenschaft nicht füllen."
Das heißt, auch Naturwissenschaftler können nicht mehr ausschließen, dass ein Schöpfer am Werk war?
Falcke: Gott ist das, was vor der Schöpfung steht und durch die Schöpfung letztlich nicht messbar ist. Als Erster hat die Urknall-Theorie Georges Lemaitre formuliert. Er interpretierte die Gleichung von Einstein so, dass das Universum über Ausdehnung entstanden ist und er sprach über den Zeitpunkt T gleich Null. Er bekam deshalb ziemlich viel Gegenwind von der wissenschaftlichen Gemeinde. Aber am Ende hat er Recht behalten, das erkannten alle an, bis hin zur Internationalen astronomischen Union, die nach ihm das Hubble-Lemaitre-Gesetz benannt hat. Er selber empfand es als große Erleichterung, dass dadurch der Schöpfer mithilfe der Physik nicht beschreibbar ist. Das Weltall ist physikalisch, mechanisch beschreibbar, das wie eine große Maschine abläuft, aber der Schöpfer nicht, weil da die Physik in gewisser Weise aufhört. Gott als Schöpfer ist die erste Ursache ohne Ursache. Diese Lücke lässt sich durch die Wissenschaft nicht füllen. Daran wird die Wissenschaft ewig scheitern, sie mit Physik zu füllen.
Weinachten steht vor der Tür. Inwiefern sind beides Gottes Paläste: der prächtige Sternenhimmel und die ärmliche Krippe?
Falcke: Das eine ist die Schöpfung: das Große, Beeindruckende, das Versailles, das den Menschen klein macht und die Größe des Schöpfers ausmacht, in der wir Demut lernen, aber auch Schönheit entdecken. Das andere ist eben die Krippe: der ärmliche Stall, in dem das verletzliche Kind liegt, ohnmächtig mitleidend und leidend am Ende. Hier begegnen wir Gott ganz nah und neu, weil er mit uns leidet. Ich glaube, man kann diese beiden Paläste nicht unabhängig voneinander sehen und auch nicht aushalten: Man muss das Kind in der Krippe verbinden mit dem großen Schöpfer. Der große ferne Schöpfer ist eigentlich unerträglich ohne das Kind in der Krippe und die Wärme im Stall.