Geht man nach der Taufe, ist Boris Johnson Christ. Nimmt man sie zum Maßstab, ist Britanniens neuer Premier sogar Katholik – der erste, der jemals in Downing Street 10 einzog, das berühmte Haus mit der schwarzen Fassade, in dem die Regierungschefs Ihrer Majestät amtieren. Johnsons Patin Lady Rachel Billington hat irische Vorfahren und ist glühend katholisch. Nur: Später im Eton College, Englands legendärer und auch aus dem Kreuzworträtsel bekannter Eliteschule, wurde Johnson auf das anglikanische Bekenntnis konfirmiert. Faktisch bedeutete das seine Exkommunikation aus der römischen Kirche.
Auch im immer säkulareren Großbritannien spielt die Gretchenfrage nach der Religion weiterhin eine Rolle, wenn es um die höchsten politischen Ämter geht. Der neue Premier habe eine "unordentliche Vorgeschichte" in Sachen Spiritualität und Religion lästerte jüngst die Zeitschrift The Economist über Boris Johnson, der für seine chronisch verstrubbelten Haare und nachlässige Kleidung bekannt ist.
Familiäre Wurzeln in Bayern
Sein voller Name ist Alexander Boris de Pfeffel Johnson, was daran erinnert, dass Johnsons familiäre Wurzeln bis nach Bayern reichen. Ein Pfeffel – die Familie stammt ursprünglich aus Neuburg an der Donau – strandete im 19. Jahrhundert als bayerischer Botschafter im Vereinigten Königreich.
Zu seinen Vorfahren zählt der neue Premier aber auch Juden – und einen Moslem. Darauf hat Johnson vor Kurzem selbst hingewiesen, als er für eine Kopftuch-kritische Bemerkung heftig unter Feuer geriet. Boris Johnson hatte gesagt, vollverschleierte Musliminnen sähen aus "wie Bankräuber oder Briefkästen". Darauf erntete er in Großbritannien das, was man nur in Deutschland mit dem Wort Shitstorm bezeichnet. Den Kritikern hielt Johnson seinen muslimischen Urgroßvater entgegen: Der osmanische Politiker und Journalist Ali Kemal Bey (1867-1922), Großvater seines Vaters, habe England bewundert und geliebt, weil er es als Land der Offenheit und Toleranz erlebte. Genau das sei der Spirit, den er, sagte Johnson, dem Land bewahren wolle.
Dass Johnson 2015 bei einem Israelbesuch mit Kippa an der Klagemauer betete, machte Eindruck bei vielen Juden. Liebevoll sprach er von seinem jüdischen Urgroßvater mütterlicherseits, dem Latinisten und Paläographen Elias Avery Lowe (1879-1969). Lowe, der an der Universität München studierte, hatte – außer grundsätzlicher Solidarität – allerdings mit dem Judentum wenig am Hut. Gegen Ende seines Lebens bekannte er einer seiner Töchter gar, dass er, wenn er eine Religion wählen müsste, sich für den Katholizismus entscheiden würde.
Boris Johnson und Donald Trump
Mit Donald Trump verbindet Johnson dagegen mehr als Blondhaarfrisurprobleme und der Geburtsort. In New York wurde Boris nämlich als Sohn britischer Eltern geboren, was ihm automatisch die US-Staatsbürgerschaft eintrug. Johnson gab sie erst auf, als sich die US-Steuerbehörde IRS bei ihm meldete.
Johnson ist ein echter Upperclass-Zögling. Er war schon Londoner Bürgermeister (2008-2016) und Außenminister (2016-2018). Dennoch umweht ihn wie sein uneingestandenes Vorbild Trump stets etwas Unseriöses. Schon seit seiner Zeit als Journalist bei der Times und später beim konservativen Spectator begleitet ihn der Ruf, nicht nur schlampig zu sein, sondern es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen.
Johnson hat in Oxford klassische Philologie studiert. Sein Biograf Andrew Gimson mutmaßt daher in seinem Buch "Boris. The Rise of Boris Johnson" (2012), Johnson könne mit dem Polytheismus des alten Griechenlands und des alten Roms weit mehr anfangen als mit der christlichen Lehre. "Der Premierminister teilt offenbar den klassischen Glauben an Omen und Vorboten des Schicksals", meint auch The Economist, "verbunden mit der Homerischen Auffassung, dass große Helden ihre Leidenschaften ausleben und sich von moralischen Fesseln befreien sollten." Andererseits: Auf eine einsame Insel würde er das Gesangbuch seiner anglikanischen Kirche mitnehmen, hat Johnson 2015 in einem Radiointerview bekannt.
Kirchen gegen den Brexit
Bis spätestens zum Reformationstag 2019 will der neue Premier sein Land erst einmal aus der EU führen, notfalls auch ohne "Deal". Sieben kleinere britische Kirchen haben sich deswegen Ende Juli in einem Brief an Johnson gewandt. Die Kirchenführer von Methodisten, Baptisten, Quäkern und der Heilsarmee warnten, ein No-Deal-Brexit werde unweigerlich die Armut im Land verschärfen "in einer Zeit, in der immer mehr Familien Schwierigkeiten haben, genug Essen auf den Tisch zu bekommen". Johnson verspreche zwar viel, aber nichts davon habe Substanz. Die katholische Kirche gehört nicht zu den Unterzeichnern; der anglikanische Erzbischof Justin Welby, wie Johnson ein Eton-Zögling, hat ebenfalls nicht unterschrieben, auch wenn es von ihm heißt, er denke genauso wie die Briefschreiber.
Vielleicht liegt die Zurückhaltung des Erzbischofs von Canterbury ja an der ungeschriebenen und mitunter etwas seltsamen Verfassung des Königreichs: Sie sieht vor, dass der Premierminister bestimmt, wer Welbys Nachfolger als geistliches Oberhaupt der englischen Kirche wird.