Als Hülya Wunderlich 1977 nach Deutschland kam, bekam sie zuerst einen Kulturschock. Aber nicht etwa, weil Deutschland ihr so fremd gewesen wäre, sondern "weil die Türken hier so konservativ waren". Sie dagegen sei in der Türkei liberal erzogen worden, betont die heute 61-Jährige.

In Hof, wo inzwischen Menschen aus 120 Nationen leben, kam Hülya zunächst in eine türkische Schule, lernte aber trotzdem so gut Deutsch, dass sie eine Ausbildung als Bürokauffrau machen konnte – und das in einer Zeit, in der es ohnehin schwer war, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Glück hatte sie jedoch nicht nur im Job: Denn in der Firma lernte sie auch ihren späteren Mann kennen, hat mit ihm heute zwei Söhne.

Bereits während ihrer Ausbildungszeit begann Wunderlich, sich ehrenamtlich zu engagieren, bei einer evangelischen Einrichtung im Hofer Bahnhofsviertel, die sich um junge Menschen kümmerte. Wieder war sie eine der wenigen jungen Türkinnen, die überhaupt dorthin gehen durften. Bald wurde ihr klar: Hier fehlte ein eigenes Angebot für Mädchen und Frauen aus Zuwandererfamilien. Zusammen mit weiteren Unterstützern gründete sie deshalb das Internationale Mädchen- und Frauenzentrum. Von nun an gab es hier zahlreiche Kurse und die Möglichkeit, sich zu treffen.

"Mit Elternabenden erreichten wir, dass den Mädchen erlaubt wurde, zu uns zu kommen", berichtet Hülya Wunderlich nicht ohne ein Schmunzeln. Wunderlich selbst, die als junges Mädchen eigentlich Ärztin werden wollte, absolvierte eine weitere Ausbildung zur technischen Textilkauffrau und erhielt neue, anspruchsvollere Aufgaben.

Begegnung zwischen Deutschen und Zugewanderten ermöglichen

Bald merkte sie jedoch, dass ihr die Mädchen und Frauen in ihrem Stadtteil einfach mehr am Herzen lagen. "Ich wollte ihnen helfen." Kurzerhand machte sie eine Weiterbildung zur staatlich geprüften Sozialberaterin. "Jetzt konnte ich wirklich viel erreichen. Und meine eigenen Erfahrungen einbringen", sagt sie. 1993 sollte sie, die Muslima, schließlich bei der evangelischen Stadtteileinrichtung angestellt werden – damals kein einfaches Unterfangen. Eine dauerhafte Lösung konnte erst gefunden werden, als der Verein Evangelische Jugendsozialarbeit (EJSA e.V.) gegründet wurde.

Gründungsmitglieder waren das evangelische Dekanat und das Diakonische Werk in Hof. Doch "evangelisch" war nicht nur der Name des Vereins. Sie habe oft und gerne mit der Kirche zusammengearbeitet, betont Hülya Wunderlich; besonders mit den Frauenbeauftragten und dem langjährigen Stadtteilpfarrer und stellvertretenden Dekan. Generell habe sie großen Wert darauf gelegt, mit anderen zu kooperieren. So rief sie zusammen mit der EJSA schon vor über 20 Jahren die Interkulturellen Wochen ins Leben, die die Begegnung zwischen Deutschen und Zugewanderten ermöglich sollen. Viele Hofer Institutionen beteiligen sich seitdem daran.

Was ist aber noch spezifisch evangelisch an ihrer Arbeit? Mit einigen Mädchen und Frauen aus Zuwandererfamilien habe sie sogar mehrmals Kirchentage besucht, erinnert sich Hülya Wunderlich mit sichtlicher Begeisterung. "Wir haben Fladenbrot gebacken und an eigenen Ständen über unsere Arbeit informiert", erzählt sie. Man sei oft ins Gespräch gekommen, habe zeigen wollen, dass man zu dieser Gesellschaft gehöre. Besonders an die schönen Lieder bei den Kirchentagen denke sie gern zurück – und an die Gebete. Gebete? Dass für Christen Jesus der Sohn Gottes ist, damit habe sie kein Problem. "Aber Gott ist Gott", ist Hülya Wunderlich überzeugt. Die Gebete und Themen seien im Islam "nicht viel anders", meint sie. Krieg und Frieden, Armut und Ungleichheit: Über all diese Dinge würden sich schließlich auch Nichtchristen Gedanken machen.

"Ich mag die Menschen einfach"

Eine Zusammenarbeit mit Menschen, die unterschiedlichen Religionen angehören, sei für sie deshalb selbstverständlich. Als jedoch vor einigen Jahren viele Menschen aus Rumänien nach Deutschland kamen, musste sie sich einer ganz neuen Herausforderung stellen. "Besonders die Roma-Familien waren nirgendwo willkommen", erinnert sich Hülya Wunderlich, die seit 2014 (für die SPD) auch im Hofer Stadtrat sitzt.

"Ähnlich wie zu manchen Zeiten die Juden standen die Roma unter Generalverdacht", berichtet sie. Doch sie habe viel recherchiert und sich in die Kultur der Menschen eingearbeitet, um sie besser verstehen und ihnen beim Start in unserer Gesellschaft helfen zu können. Einige kämen noch heute zu ihr ins Mädchen- und Frauenzentrum. "Ich mag die Menschen einfach", sagt Hülya Wunderlich

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden