Künstler Michael Jakob: "Das Wort Existenzangst kannte ich, jetzt auch das Gefühl"

Künstler, Moderator, Kulturveranstalter, Dozent, Seminarleiter, Coach und Trauredner – auf Michael Jakobs Visitenkarte muss die Schrift klein gehalten werden, um seine Berufsbezeichnungen alle aufzuführen. Doch dann kam das Virus und machte alle Geschäftsfelder zunichte. "Der erste Lockdown war schon hart und er dauerte länger, als von vielen erwartet. Im Lockerungs-Roulette fiel die Kugel erst ganz am Ende auf die Kultur- und Veranstaltungswirtschaft. Kultur ist wohl ansteckender als Baumärkte, Bundesliga und Lufthansaflüge", erzählt der in Ansbach lebende Allrounder. Dass Krankenschwestern oder Ärzte wichtiger sind als Glühweinstände, Riesenräder und Live-Kultur, habe man schon früher gewusst. 2020 gehe aber als das Jahr in die Geschichte ein, in der Pflegekräfte mehr Applaus bekamen als Künstler – und sich beide Berufsgruppen nichts davon kaufen konnten.

Der "Lockdown light" Anfang November 2020 sei ein richtiger Schlag ins Gesicht gewesen, findet Jakob. In jeder Kultureinrichtung habe es Desinfektionsspender für die 40 Gäste gegeben, die mit Kontaktdatenerhebung noch eingelassen werden durften. Während in vielen Häusern im Sommer modernste Lüftungsanlagen eingebaut wurden, vermisst Jakob ähnliche Initiative an öffentlichen Orten wie der U-Bahn.

Was das alles mit der Gesellschaft macht, bleibe abzuwarten. "Wenn Begegnungsstätten fehlen, kreativer Input, Geselligkeit, alle auf Abstand gehen und Umarmungen verpönt sind, wenn die digitale Kälte langfristig die Seelen zerfrisst, keine Ahnung, ob wir davon jemals wieder weg kommen", blickt er in die Zukunft. Was das alles mit ihm machte: Nach 22 Jahren Bühne und 13 Jahren erfolgreicher Selbständigkeit sei im März 2020 ein bis Mai 2021 prall gefüllter Terminkalender entzwei gebrochen. "Das Wort Existenzangst kannte ich auch schon vorher. Jetzt auch das Gefühl dazu", sagt er. Im Januar hat Michael Jakob das erste reguläre Arbeitsverhältnis seines Lebens angenommen – für zehn Monate als Schwangerschaftsvertretung.

Schauspielerin Luna Mittig: "Irgendwann ist auch der größte Netflix-Fan bildschirmmüde"

Nach über einem Jahr Corona und der damit einhergehenden prekären Lage für Kunst- und Kulturschaffende schöpft Luna Mittig alleine Hoffnung aus der Impfung. "Erst, wenn man in allen gesellschaftlichen Bereichen wieder eine ansatzweise Normalität im Umgang haben darf, kann man sich auch wieder auf alle Formate von Kunst und Kultur freuen", meint die Inhaberin des "Act Center" Nürnberg, einer Berufsfachschule für Musical. Hoffnung gebe auch, dass nach wie vor die Solidarität des Publikums groß sei. "Irgendwann ist auch der größte Sofa- und Netflix-Fan bildschirmmüde, sagt Mittig.

Ernüchternd sei und bleibe, wie bereitwillig Kunst und Kultur dem Lockdown geopfert werden, obwohl es so viele Formate und auch Nachweise gibt, dass hier eine weitaus geringere Ansteckungsgefahr besteht als an anderen Orten. "Ich gehe nicht ins Kino, ins Museum oder ins Theater, um Menschen zu treffen, zu plaudern und zu feiern, sondern um an meinem Sitzplatz oder mit viel Platz in einem Museum Konzert, Film, Theater oder Kunst zu erleben", erklärt die Künstlerin, die als Gesangslehrerin, Stimm- und Sprechtrainerin, Sängerin, Schauspielerin und Sprecherin arbeitet. Alle Kulturbetriebe sind geschlossen, hier könne also eine Ansteckung nicht erfolgen.

Mittig kritisiert das Chaos bei den staatlichen Ausgleichsleistungen. De Facto hätten Künstler ein Arbeitsverbot. Es werde aber nicht in gleichem Umfang und auch in der gleichen Zeit für einen angemessenen Ausgleich gesorgt.

Für die Zeit nach der Pandemie könne sie sich vorstellen, dass es für viele Formate künftig eine Art Parallelangebot geben wird. Wenn man nun schon ohnehin Streaming-Technik etabliert hat, könne man auch zusätzlich zum Live Event ein kostenpflichtiges Streaming-Angebot auflegen und so ein neues und anderes Publikum erreichen. Das funktioniere aber nur, wenn das Publikum künftig willens ist, die Leistung von Künstlern bereitwilliger und fair zur honorieren. Was auch bleiben werde, ist die Reservierungspflicht für Veranstaltungen. Die müsse kein Schaden sein, macht es doch eine Auslastung für die Veranstalter früher planbar und kalkulierbar. 

Theatermacher Sigi Wekerle: "Auch Kunst und Kultur sind Lebensmittel"

"Corona hat mich zum Frührentner gemacht. Nicht, weil ich krank bin, sondern weil ich meinen Beruf nicht mehr ausüben darf", sagt der Fürther Schauspieler und Theatermacher Sigi Wekerle. Onlineangebote seien nur ein "lausiger Ersatz", da die Interaktion und das Gemeinschaftserlebnis fehlen. Er fragt sich, warum beispielsweise Fleischfabriken weiterarbeiten dürfen, obwohl sie eindeutig Risiko-Orte sind. "Auch Kunst und Kultur sind Lebensmittel", so der Gründervater des Impro-Theaters in Nürnberg.

Finanziell habe er zumindest Glück gehabt als einer der wenigen, die alle Voraussetzungen für staatliche oder Länderhilfen erfüllen. Bei den meisten Kollegen sei das aber nicht der Fall. Eine Kollegin habe beispielsweise keine "Novemberhilfe" erhalten, weil sie statt der geforderten 80 Prozent Verdienstausfall nur 79 nachweisen konnte. Sigi Wekerles Ideen und Forderungen: "Alles für eine Woche dichtmachen, alle Arbeitsstätten, Betriebe, auch Supermärkte. Das würde das Virus killen." Zudem sollten für den Sommer dringend neue Openair-Bühnen geschaffen werden.