In den letzten Monaten kursiert in der Medienbranche ein Begriff, der viele Journalisten aufhorchen lässt: "News Avoidance" oder "News Fatigue" - also Nachrichtenvermeidung oder News-Müdigkeit. Menschen wollen die täglichen Nachrichten über Krieg, Corona, Krisen und Konflikte nicht mehr lesen. Sie schalten wörtlich ab - und verzichten auf News.

Der "Reuters Institute Digital News Report 2022", für den jährlich rund 90.000 Menschen auf sechs Kontinenten befragt werden, belegt diesen Trend mit Zahlenmaterial: Nur noch 57 Prozent der Internetnutzerinnen und Nutzer ab 18 Jahren interessieren sich für aktuelle Nachrichten, zehn Prozent weniger als vor einem Jahr. Vor allem Jugendliche schalten ab - und konsumieren über ihre Social-Media-Kanäle lieber Kanäle, die mit Nachrichtenjournalismus nichts mehr zu tun haben. In Deutschland ist der Anteil der Menschen, die Nachrichten zumindest teilweise meiden, von 29 Prozent auf 36 Prozent gestiegen.

Woran das liegt? Der Studie zufolge sagen die Befragten, dass sie es Leid sind, immer dieselben Themen zu hören und die News außerdem als anstrengend empfinden und ihre Stimmung negativ beeinflussend. Andere erzählen, dass die Nachrichten zu Konflikten in ihrer Familie oder mit Freunden führen. Wiederum andere fühlen sich ohnmächtig oder zweifeln grundsätzlich an den Medien.  Die Studie kommt zum Ergebnis:

„Immer mehr Menschen sind nicht mehr vernetzt, das Interesse an Nachrichten ist gesunken, das selektive Vermeiden von Nachrichten hat zugenommen, und Vertrauen ist alles andere als selbstverständlich.“

Wie Journalisten auf die "News-Fatigue" reagieren

Um diesem Trend entgegenzutreten, haben viele Medienhäuser damit begonnen, die eigenen Formate und Nachrichten zu überdenken. Insbesondere seit der Corona-Pandemie setzen sie stärker auf eine konstruktive, lösungsorientierte Berichterstattung.  

Inzwischen gibt es zu diesem "konstruktiven Journalismus" einige Studien, die zeigen, dass der Ansatz durchaus vielversprechend ist. Wie eine Fallanalyse der Otto-Brenner-Stiftung ergab, kommen die Redaktionen durch konstruktive journalistische Angebote besser in Kontakt mit ihren Leserinnen und Lesern. Journalisten können damit besser die Debattenkultur anregen und sorgen für mehr Transparenz. Vor allem aber konzentrieren sie sich auf Lösungen und neue Perspektiven.

Vor wenigen Monaten wurde das Bonn Institut für Journalismus und konstruktiven Dialog gegründet - als Gesellschafter sind RTL, Deutsche Welle, Rheinische Post und das dänische "Constructive Institute" mit an Bord. Der Gründerin und Geschäftsführerin Ellen Heinrichs zufolge kann lösungsorientierter Journalismus einen Beitrag dazu leisten, den Trend der Nachrichtenverweigerung zu verringern. Gerade in Krisenzeiten würden von den Leserinnen und Lesern faktenbasierte und nutzwertige Informationen besonders stark nachgefragt, so Heinrichs.

Diese Erkenntnisse können wir in der Sonntagsblatt-Redaktion nur bestätigen: Während der Corona-Pandemie haben so viele Menschen wie noch nie auf unsere Seite geschaut. Und auch wenn wir jetzt unsere Statistiken anschauen, dann sehen wir, dass die meisten Menschen auf die Sonntagsblatt-Seite kommen, weil sie Antworten auf Fragen rund um Kirche, Religion, Umwelt oder Soziales haben oder gezielt Orientierung für ihr Leben suchen.

Als Redaktion haben wir schon seit längerem beschlossen, unseren Fokus in den kommenden Jahren stärker auf einen lösungsorientierten Journalismus zu setzen. Beispiele dafür sind zwei Podcasts, die wir in unseren Redaktionen entwickelt haben: Der Podcast "Ethik Digital" will Orientierung geben im Dschungel der digitalen Erfindungen und technologischen Veränderungen. Und der Podcast "MitMensch" stellt Persönlichkeiten vor, die sich für eine Verbesserung unserer Gesellschaft starkmachen.

Sonntagsblatt fördert konstruktiven Journalismus

Journalismus ist vor allem ein Handwerk. Deshalb haben wir mit Unterstützung des Bonn Instituts einen Workshop organisiert. Alexander Sängerlaub, Leiter des Programmbereichs Zukunft des Journalismus und Lisa Urlbauer, die Koordinatorin für Journalistische Trainings haben uns beigebracht, worauf es beim konstruktiven Journalismus ankommt und wie wir unsere tagesaktuelle Arbeit noch besser auf diesen Ansatz hin fokussieren können.

Die Ideen und Ergebnisse des Workshops können sich absolut sehen lassen. Wir haben eine ganze Reihe von Textideen und Themenvorschlägen erarbeitet und auf einen konstruktiven Ansatz hin durchgespielt. Damit die Workshop-Ergebnisse nicht versanden, haben wir noch während des Workshops beschlossen, unsere nächste Redaktionskonferenz zu nutzen, diese Themen weiter zu vertiefen. Ich bin gespannt, zu lesen, was daraus wird.

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Konstruktiver Journalismus im Sonntagsblatt

Beim konstruktiven Journalismus geht es darum, nicht nur die Probleme zu benennen, sondern vor allem auch nach Lösungen zu suchen. Es geht darum, andere Modelle zu erkunden, Best Practice aufzuzeigen und dafür natürlich auch auf Daten und Studien zu schauen.

Natürlich gibt es nicht immer fertige Lösungen. Aber dann versuchen wir als Redaktion, die richtigen Fragen zu stellen, um neue Perspektiven aufzuzeigen. Oder Teile von Lösungen zu diskutieren.

Basis unserer Arbeit ist eine gründliche Recherche. Hier möchten wir künftig stärker auf empirische Daten zurückgreifen - also Studien, Zahlen, Statistiken.

Das Sonntagsblatt ist eine werteorientierte Redaktion. Wir möchten daher zeigen, dass wir alle zusammen für unsere Zukunft verantwortlich sind. Wir können etwas verändern und gemeinsam nach Lösungen suchen. Deshalb wollen wir auch eine eigene Community aufbauen, in der sich Interessierte und Expert*innen austauschen können. 

Wer Interesse an einem Austausch hat und mitwirken möchte, kann sich gerne mit mir vernetzten.