Seit Monaten zankt sich die Bundesregierung um die geplante Kindergrundsicherung, die eigentlich als wichtigstes sozialpolitisches Projekt der Ampel-Regierung gilt. Das Wort "eigentlich" ist an dieser Stelle notwendig, da das Verhalten der FDP in Bezug auf die Kindergrundsicherung dafür spricht, dass sie das Projekt weder als wichtig betrachtet, noch sozial damit umgeht.

In der Kindergrundsicherung sollen Familienleistungen grundsätzlich zusammengefasst, vereinfacht und automatisch ausgezahlt werden. Sie soll ein Instrument sein, das armutsgefährdete Kinder auffängt. Der zugrundeliegenden Definition zufolge gilt als armutsgefährdet, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt.

Schockierend genug, dass es im viertreichsten Land der Welt (nach Bruttoinlandsprodukt) überhaupt so etwas wie Kinderarmut gibt. Das Gezerre um die Kindergrundsicherung lässt auch noch darauf schließen, dass zumindest Teile der Bundesregierung gar nicht den Wunsch hegen, etwas dagegen zu unternehmen.

Was ist passiert? Eine Chronik:

  • Im Dezember 2021 stellen die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag vor, in dem festgelegt ist, die Leistungen für Kinder in einer Kindergrundsicherung zusammenzufassen.
  • Im Februar 2023 gibt es in der Koalition Streit um Ausgestaltung und Etat der von Familienministerin Lis Paus (Grüne) geplanten Kindergrundsicherung. Paus veranschlagt zwölf Milliarden Euro, Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will lediglich Mittel im einstelligen Milliardenbereich einplanen. Mehrere Sozialverbände dringen auf Einigung, warnen vor einer Mogelpackung und betonen, dass Veränderung nur mit ausreichender Finanzierung passieren könne.
  • Im März betont Familienministerin Paus (Grüne): "Zwölf Milliarden Euro sind eher am unteren Ende dessen, was man benötigen würde, um Kinderarmut in Deutschland deutlich zu verringern." Sie fordert eine "deutlich spürbare Erhöhung der Leistungen für Kinder in ärmeren Familien". Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will hingegen nur zwei bis drei Milliarden Euro für das Projekt ausgeben und wirft Paus vor, kein richtiges Konzept vorgelegt zu haben.
  • Im März geht aus einer repräsentativen Umfrage hervor, dass 60 Prozent der Gesamtbevölkerung und 75 Prozent der Eltern mit Kinder unter 18 die Einführung einer Kindergrundsicherung befürworten.
  • Im April bekräftigt Bundesfinanzminister Lindner seine ablehnende Haltung zur Erhöhung der Leistungen. Mehr sei zwar "immer wünschenswert, aber nicht immer möglich". Prioritäten für den Haushalt 2024 seien unter anderem die Erneuerung der Infrastruktur aller Verkehrsträger, die Digitalisierung des Staates sowie die Ertüchtigung der Bundeswehr.
  • Im Juli schaltet sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in den Streit ein. In einem Brief an Bundesfamilienministerin Paus fordert er eine Einigung bis Ende August und spricht von einer "beabsichtigen Leistungsverbesserung", womit er Paus' Linie Rückendeckung gibt.
  • Am 16. August legt Bundesfamilienministerin Paus (Grüne) ihr Veto gegen den geplanten Beschluss eines Wachstumschancengesetzes von Bundesfinanzminister Lindner (FDP) ein, der Milliarden-Entlastungen für die Wirtschaft vorsieht. Zustimmen will sie laut Medienberichten erst, wenn sie eine Finanzierungszusage für die Kindergrundsicherung bekommt.
  • Am 18. August liegt laut Bundesfamilienministerin Paus (Grüne) ein fertiger Gesetzesentwurf mit verschiedenen Berechnungsvarianten zur Kindergrundsicherung vor, der bis zu sieben Milliarden Euro veranschlagt – damit hat Paus ihre Forderung reduziert. Die Bundesfamilienministerin zeigt sich zuversichtlich, dass die Kindergrundsicherung bald im Kabinett beschlossen wird. Bundesfinanzminister (FDP) Lindner hingegen sagt, höhere staatliche Leistungen für Familien verbesserten nicht zwingend die Lebenschancen der Kinder.
  • Eine Petition beim Deutschen Bundestag fordert, die von der Familienministerin ursprünglich bezifferten 12 Milliarden Euro für die Finanzierung der geplanten Kindergrundsicherung vorzusehen.

Einordnung

Noch ist unklar, wie der Streit um die Kindergrundsicherung ausgehen wird, doch zeigt der Fokus auf die Frage der Finanzierung schon heute, dass der Wert, den zumindest einige Politiker*innen der Ampel-Regierung auf Kinder und Familien legt, maximal ein ideeller und definitiv kein finanzieller ist. 

Mit ihrer Argumentation, es müsse erst Geld erwirtschaftet werden, bevor dies für soziale Ausgaben verteilt werden könne, zeigt die FDP dabei ihr wahres Gesicht. Ganz im Sinne von: Wer kein Geld erwirtschaftet (Kinder, Arbeitslose, Care-Arbeit leistende Eltern, Rentner*innen) und damit im Sinne der FDP für die Gesellschaft wertlos ist, hat auch nicht verdient, dass in ihn investiert wird.

Wer arm ist, hat erst recht kein Geld verdient?

Der Gedanke, den unter anderem Lindner äußerte, dass für arme Familien mittels Investitionen in die Wirtschaft Arbeitsplätze geschaffen werden müssten, sodass diese sich anschließend selbst aus der Misere herauswirtschaften könnten, heißt dabei de facto: Pech gehabt, Geld kriegt ihr nicht, sucht euch doch einfach einen Job, dann habt ihr keine Probleme mehr. Eine überhebliche Herangehensweise, die in einem Sozialstaat nichts zu suchen hat.

Dass bei den armutsgefährdeten Familien Alleinerziehende mit Abstand am häufigsten betroffen sind (42,9 Prozent sind armutsgefährdet), wird dabei unter anderem nicht berücksichtigt. Alleinerziehende mit Kindern können höchstens in Teilzeit arbeiten, kriegen dazu häufig keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder oder müssen diesen teuer bezahlen und Ausgaben wie die Miete alleine stemmen.

Auch Diakonie-Chef Ulrich Lilie sagte mit Blick auf die Äußerung Lindners, dass Kinderarmut oft in der Arbeitslosigkeit der Eltern begründet sei: "Das geht schon in Richtung Fake News." Tatsächlich hätten viele dieser Eltern Jobs im Niedriglohnsektor. Sie benötigten Sozialhilfe, um überhaupt über die Runden zu kommen.

Kinderarmut teurer als Kindergrundsicherung

Überhaupt darüber zu diskutieren, ob eine finanzielle Investition in Kinder "lohnenswert" ist, ist nicht nur beschämend, sondern auch wirtschaftlich unsinnig.

So zeigen aktuelle Berechnungen der Diakonie und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), dass die Folgen von Kinderarmut für den Staat deutlich teurer sind, als proaktiv eine Existenzsicherung für Kinder zu finanzieren. Die Studie schätzt die Kosten um ein Zehnfaches höher ein als die Summe von zwölf Milliarden Euro jährlich, die Bundesfamilienministerin Paus anfangs für die Einführung einer Kindergrundsicherung verlangt hatte.

DIW-Chef Marcel Fratzscher bezeichnete die Kindergrundsicherung deshalb als "eine der klügsten Investitionen einer Regierung". 

20 Milliarden für ein Existenzminimum

Um allen Kindern das im Steuerrecht festgelegte Existenzminimum zu garantieren, sind der Diakonie und dem Bündnis Kindergrundsicherung zufolge mindestens 20 Milliarden Euro im Jahr notwendig.

Wenn also sowohl die Betroffenen, als auch die Gesellschaft und die Wirtschaft, die ja sonst für die FDP immer als Argument taugt, von einer Kindergrundsicherung profitieren würden, wieso diese dann nicht sofort beschließen? 

Es bleibt der bittere Eindruck, dass die Bedürfnisse von Kindern unwichtig sind. Dass es sich aus politischer Sicht nicht lohnt, ihnen Beachtung zu schenken, ihnen gar zu helfen. Sie können ja schließlich weder (die FDP) wählen, noch Geld erwirtschaften. 

Es bleibt dabei: Ein Staat, dem Menschen (ja, Kinder sind auch Menschen) erst dann etwas wert sind, wenn sie Leistung bringen, ist kein Sozialstaat, sondern eine Schande.

 

(Mit Material von epd)

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VOIT-Orgel am So, 27.08.2023 - 08:05 Link

Lindner und die Kinder!!! Seit Lindners kirchlicher Hochzeit - der bewusst aus der Kirche ausgetreten ist, sich nicht als Christ versteht und keine Kirchensteuer zahl - sind aus diesem Grunde laut Aussage der dortigen Kirchenverwaltung mehr als 20.000 evangelische Christen aus der Kirche in der dortigen Region und bundesweit ausgetreten. Das sind bei durchschnittlichen 8,- Euro Kirchensteuer pro Person und Monat: 8,00€ mal 20.000 =160.000 Euro pro Mona die der Kirche durch die kirchenmitgliedsfreie Hochzeit des Herrn Lindner fehlen. Das heißt konkret: eine Durchschnitts-KiTa der EKD z.b. hier im Raum Mannheim muss pro Jahr seit der Hochzeit des Herrn Lindner schließen ( inklusive Personalkosten, Energie, Wasser etc.).