Die Vorrichtungen für die Schnellboote sitzen, die Seekarten und nautischen Handbücher sind auf dem neuesten Stand. Die Mannschaft an Bord der "Sea-Watch 4" hat die vergangenen Wochen damit verbracht, das alte Forschungsschiff in ein Seenotrettungsschiff umzubauen.
Ein Schutzbereich mit 24 Betten für Frauen und Kinder wurde eingerichtet und eine Krankenstation. Die letzten Tests auf See haben gezeigt, alles funktioniert so weit. Bald kann es losgehen, wenn die Crew ihre verpflichtende Quarantäne hinter sich hat. Wegen der Corona-Pandemie und des Lockdowns in Spanien hat sich die erste Mission fast vier Monate verzögert.
Bis Mitte August soll das überwiegend aus kirchlichen Spenden finanzierte Seenotrettungsschiff vom spanischen Burriana aus in See stechen - gut ein Jahr, nachdem im Juni 2019 die Petition "Wir schicken ein Schiff" veröffentlicht wurde. "Das ist Start-up-Geschwindigkeit, mit der unsere Kirche hier gehandelt hat", sagt der Grünen-EU-Politiker Sven Giegold. Er ist einer der Initiatoren der Petition, die sofort in der Kirchenleitung Unterstützung bekam. "Das Schiff wird den Druck auf die Politik erhöhen, dem Sterben im Mittelmeer ein Ende zu setzen."
Seenotrettung war ein beherrschendes Thema am Kirchentag 2019
Seit dem Ende der staatlichen Seenotrettung der EU-Mitgliedsländer sind nur noch private Schiffe im Mittelmeer unterwegs, um geflüchtete Menschen aus Seenot zu retten. Rund 400 Menschen sind im Jahr 2020 bislang laut Schätzungen im Mittelmeer ertrunken. Eine Tatsache, die viele Christinnen und Christen schmerzt.
Auf dem evangelischen Kirchentag im Juni 2019 in Dortmund war die Seenotrettung ein beherrschendes Thema. Die "Sea-Watch 3" lag zu diesem Zeitpunkt mit Flüchtlingen an Bord vor Lampedusa fest. Der Journalist Hans Leyendecker, damals Kirchentagspräsident, fand mehrfach deutliche Worte: "Europa darf nicht töten, auch nicht durch unterlassene Hilfeleistung." Und: "Wir dürfen das Meer nicht denjenigen überlassen, die aus dem Mare Nostrum ein Mare Monstrum machen, einen Friedhof der Menschenrechte."
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, der das Projekt Kirchenschiff in der EKD vorantrieb, sagte: "Europa verliert seine Seele, wenn wir so weitermachen." Und die Pastorin Sandra Bils brachte alles in ihrer Predigt beim Abschlussgottesdienst auf die Formel: "Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt."
Bereits in der Woche nach dem Kirchentag stimmten die Kirchenvorderen der Forderung der Petition zu, ein Schiff für die Seenotrettung im Mittelmeer anzuschaffen. Seitdem arbeitete das Kirchenamt der EKD unter Hochdruck an möglichen Wegen dahin. Denn allen war klar: Zur Reederei wird die EKD nicht. Beinahe monatlich gibt es seitdem Neues zu verkünden.
Aus "United4Rescue" wurde die "Sea-Watch 4"
Im September steht der Plan, ein zivilgesellschaftliches Bündnis zu gründen, um Spenden für ein Schiff zu sammeln. Im November wird dafür der Trägerverein "Gemeinsam Retten e.V." gegründet. Die EKD entscheidet sich, mit der Seenotrettungsorganisation Sea-Watch zusammenzuarbeiten.
Auf der Synode der EKD in Dresden wird über das Für und Wider des Schiffs diskutiert. Innerkirchliche Skeptiker fordern, dass keine Kirchensteuermittel in die Anschaffung fließen. Grundsätzliche Kritiker der Seenotrettung argumentieren, mit der Seenotrettung unterstütze man das menschenverachtende System der libyschen Schlepper. Zuletzt steht auch infrage, ob sich die Kirche überhaupt derart politisch betätigen sollte. Doch die Befürworter sind in der Mehrheit.
Im Dezember beginnt die Spendenkampagne des Bündnisses mit dem Namen "United4Rescue", dem heute mehr als 500 Partner angehören. Ende Januar 2020 gelingt es dem Bündnis dann, das ehemalige Forschungsschiff "Poseidon" zu ersteigern. Kosten: 1,3 Millionen Euro, davon 1,1 Millionen Euro Spendengeld von "United4Rescue". Am 20. Februar wird die "Poseidon" auf ihren neuen Namen "Sea-Watch 4" getauft. Wenige Tage später sticht das Schiff in Richtung Burriana in See.
"Dieses Schiff wird Leben retten und steht für eine lebendige Kirche", sagt Sven Giegold. Doch bis die "Sea-Watch 4" ausläuft, wird es mutmaßlich weitere Tote geben. Derzeit ist kein privates Seenotrettungsschiff im Mittelmeer unterwegs.