Sibylle und Markus Schmidt arbeiten seit neun Jahren im Sozial- und Gesundheitswesen in der Demokratischen Republik Kongo. Sie gehören zu den Mitarbeitenden von Mission EineWelt, dem Centrum für Partnerschaft, Entwicklung und Mission der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, die in aller Welt tätig sind. Zum 1.1.2020 vor Corona waren es 75, aktuell liegt die Zahl pandemiebedingt bei 38 Entsandten.

Das Ehepaar Schmidt hat unter anderem eine offene Sprechstunde für die Behandlung von Epilepsiepatienten aufgebaut und ein Selbsthilfegruppen-Projekt für besonders von Armut betroffene Frauen auf dem Land durchgeführt. Im Sonntagsblatt-Interview ziehen sie eine Zwischenbilanz.

Markus Schmidt ist Rummelsberger Diakon und hat früher im Krankenhaus Rummelsberg in der Krankenpflege gearbeitet. Sibylle Schmidt ist Sozial- und Sonderpädagogin und war zuletzt in der Schuldner- und Insolvenzberatung tätig. Mit ihren damals zwei- und vierjährigen Kindern entschloss sich das Ehepaar 2012, in den Kongo zu gehen. Im exklusiven Sonntagsblatt-Interview spricht das Paar über ihre Arbeit, das Leben und die Ziele für die Zukunft.

Leben im Kongo

Eigentlich ist die Demokratische Republik Kongo ein reiches Land: Es gibt viele Rohstoffe, große Süß­wasser­reserven und riesige tropische Regen­wälder. Kolonialherrschaft und bewaffnete Konflikte und Unruhen stürzten das Land ins Chaos. Das Land verfügt über große Bodenschätze. Dennoch leben viele Menschen heute in großer Armut. Etwa 64 Prozent der Bevölkerung muss mit weniger als 1,90 Dollar pro Tag auskommen.

Wie kommen Sie in den Kongo?

Sibylle Schmidt: Wir waren früher in Tansania, dort haben wir uns auch kennengelernt. Wir haben für Mission EineWelt, damals hieß es noch Missionswerk, in der Versorgung von Menschen mit einer Behinderung gearbeitet, kamen dann nach Deutschland zurück. Als unsere Kinder zwei und ein Jahr alt waren, wollten wir wieder nach Afrika gehen, um eine neue Tätigkeit in Angriff zu nehmen.

In den Kongo sind wir gegangen, weil uns das Aufgabenfeld mit den vielen Möglichkeiten im sozialen und medizinischen Bereich sehr angesprochen hat. Suaheli, die Sprache, die im Osten des Kongo gesprochen wird, ist uns aus unserer Zeit in Tansania geläufig, was in der Arbeit sehr wichtig ist. Den ursprünglichen Arbeitsauftrag haben wir immer noch. Im Laufe der Zeit sind noch viele andere Aufgabenfelder hinzugekommen.

Sie sind für die Koordination der HIV und Aids Arbeit in der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Kongo entsandt worden. Wie sieht die Situation im Land aus?

Markus Schmidt: Im Augenblick ist die offizielle HIV-Rate unter einem Prozent der Bevölkerung. Die staatlichen Programme sprechen von 0,7 Prozent. Aber wir müssen die Größe des Landes und die Infrastruktur und die sozialen Aspekte berücksichtigen. Wir gehen davon aus, dass knapp die Hälfte der Menschen, die HIV-positiv leben, nichts über ihre Viruserkrankung wissen. Es gibt nur wenig verlässliche Daten über durchgeführte Tests. Die offiziellen Daten spiegeln auch die Angst wieder, die Menschen davor haben, identifiziert und damit stigmatisiert zu werden. Die Zahlen, die kursieren, sind überwiegend Hochrechnungen aus den Kliniken, die schwangere Frauen behandeln, weil es dort die beste Infrastruktur gibt.

 

Frauen im Kongo im Dorf Kalemie
Frauen im Kongo im Dorf Kalemie
Frauen im Kongo
Frauen im Kongo
Frauen im Kongo
Frauen im Kongo
Frauen im Kongo
Frauen im Kongo
Klassenzimmer im Kongo
Blick in ein typisches Klassenzimmer im Kongo.
Frauen im Kongo im Dorf Kalemie
Frauen im Kongo im Dorf Kalemie
Frauen im Kongo
Frauen im Kongo
Frauen im Kongo
Frauen im Kongo
Frauen im Kongo
Frauen im Kongo

Kampf gegen HIV und Krankheit

Sibylle Schmidt: Es gibt viel Armut und großes Leid hier. Es gibt Menschen, die zu uns kommen und positiv getestet wurden und sich weigern, Medikamente zu nehmen, weil es in ihrem sozialen Gefüge einfacher ist, zu sterben, als sich als HIV-positiv zu outen. Ich hatte am Freitag einen Patienten bei mir, bei dem es ganz viele Hinweise darauf gibt, dass er positiv sein könnte, aber er kam offiziell wegen Epilepsie zu uns. Er hat dann zwar den Überweisungsschein von mir mitgenommen, aber ich gehe davon aus, dass er nicht in die Klinik geht.

Da gibt es einfach eine zu große soziale und gesellschaftliche Hürde. Die Situation von Menschen mit Epilepsie und ihren Familienangehörigen ist ganz ähnlich der von Menschen, die HIV-positiv leben. Sie erleben auch unglaubliche Ausgrenzung, weil die Menschen glauben, dass Epilepsie ansteckend ist, durch einen bösen Geist verursacht wird, der bei Kontakt mit einem Epilepsiekranken quasi überspringen kann.

Und was tun Sie, um diese Hürde zu verringern?

Markus Schmidt: Wir stellen Menschen mit Epilepsie Medikamente zur Verfügung, und das hat sich als sehr positiv erwiesen, weil diese viele Probleme lösen. Viele Menschen hier wissen nicht, was Epilepsie ist, und dass es medikamentös behandelt werden kann. Wir klären unsere Patienten umfassend über die Erkrankung auf, stellen sie medikamentös ein, entwickeln mit ihnen Strategien, mit ihrer Erkrankung und den Vorbehalten der Gesellschaft bestmöglich umzugehen, erarbeiten Perspektiven für die Zukunft.

Was HIV und AIDS betrifft, arbeiten wir sehr niederschwellig, sprechen zum Beispiel über Hygiene und Sexualität. Bei allen Projekten werden Frauen einbezogen. Bei Seminaren zum Beispiel haben wir eine Quote von mindestens einem Drittel Frauen unter den Teilnehmenden, streben aber immer eine paritätische Aufteilung an was die Unterrichtenden als auch die Teilnehmenden betrifft. Wir haben in fast allen Diözesen der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Kongo Mitarbeitende in Führungspositionen und die Pfarrerinnen und Pfarrer ausgebildet, die dann wiederum Menschen mit HIV unterstützen können. Wir haben sie geschult, damit sie wissen, was die Gemeinde tun kann, und wie sie theologisch damit umgehen können.

Einer der wichtigsten Faktoren im Kampf gegen HIV ist Wissen. Wir müssen Menschen befähigen, sich für andere Menschen einzusetzen. Wir bilden Multiplikatoren an Schulen aus, haben Konzepte für die Schülerinnen und Schüler sowie auch die Lehrkräfte entwickelt. Letztendlich führt das Thema HIV und Aids dann zu vielen anderen Themen. Wir haben verschiedene Kampagnen gemacht zu Armutsbekämpfung und Genderthemen, also alles Themen, die letztendlich auch die Ausbreitung von HIV verhindern helfen, denn Armut, Geschlechterungleichheit und mangelnder Zugang zu Wissen und Bildung sind Faktoren, die die Verbreitung von HIV und AIDS begünstigen.

Wie Frauen sich selbst helfen mit Krediten

Frau Schmidt, Sie haben gerade ein mehrjähriges Projekt für die Förderung von Frauen abgeschlossen - worum ging es?

Sibylle Schmidt: Das Projekt richtete sich an ganz arme Frauen in ländlichen Regionen. Dahinter steht der Grundsatz, dass jedem Menschen ein Potential von Gott gegeben wurde. Wenn man die richtigen Rahmenbedingungen schafft, dann kann dieses Potential zur Geltung kommen. Frauen – und insbesondere die ganz armen Frauen – haben kaum eine Stimme hier. Wenn man viele Frauen zusammenbringt und sie gemeinsam ihre Stimme erheben, dann kann man sie nicht übergehen und ihre Belange werden gehört.

Wir haben die ärmsten der armen Frauen eines Stadtteils eingeladen, sich in einer Selbsthilfegruppe zusammenzuschließen. Dabei haben nicht wir, sondern alle Bewohner des Stadtteils mit Hilfe von sogenannten Participatory-Rural-Appraisal-Methoden, d.h. partizipativen Methoden, bei denen alle Bewohner des Stadtteils einbezogen wurden, die in Frage kommenden Frauen identifiziert.

Unter Anleitung von sechs freiwilligen Mitarbeiterinnen der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Kongo haben die Selbsthilfegruppen ihre eigenen Regeln aufgestellt. Bei den wöchentlichen Treffen haben sie einen kleinen Sparbeitrag geleistet. Tatsächlich war dieser Beitrag wirklich klein am Anfang, oft waren es Centbeträge, und selbst da gab es Frauen, die diesen Beitrag nicht aufbringen konnten. Viel wichtiger aber, als gemeinsam das Geld zu sparen war es, diese Frauen ins Gespräch miteinander zu bringen.

Es war auch für mich unglaublich am Anfang: Diese Frauen hatten kaum gesellschaftliche Kontakte. Viele der Frauen haben selbst ihre Nachbarn kaum gekannt, waren ständig damit beschäftigt, ums Überleben zu kämpfen. Die Kriege der Vergangenheit und die immer wieder aufkeimenden Unruhen haben deutliche Spuren in der Gesellschaft hinterlassen. Das Misstrauen unter den Menschen ist groß. Viele sind sehr reserviert, weil sie nicht wissen "was der Nachbar für ein Mensch ist, auf wessen Seite er steht, was er von einem möchte etc.".

Am Anfang haben die Frauen selbst nicht daran geglaubt, dass sie irgendwann genügend Geld beisammen haben, damit sie aus dem Gruppenkapital Kredite vergeben können. Aber es hat funktioniert. Wir haben angefangen mit ganz kleinen Krediten. Die Regeln für die Kreditvergabe haben die Frauen alle selbst beschlossen. Sie haben diskutiert, in welchem Zeitraum der Betrag zurückgezahlt werden muss und mit welchen Zinsen.

Und da hat sich ganz Tolles ergeben. In Schulungen haben die Frauen gelernt, wie sie sich z.B. mit dem Verkauf von Dingen des täglichen Bedarfs selbständig machen können, wie man einen Geschäftsplan und ein Budget erstellt, wie wichtig Marketing ist, oder aber wie die eigene landwirtschaftliche Produktion erhöht werden kann. Außerdem wurden Themen, die für das Leben der Frauen und ihre Familien relevant sind, wie z.B. Kinderrechte, Frauengesundheit, Umgang mit Konflikten etc. in den Selbsthilfegruppen besprochen.

Fast alle Gruppenmitglieder haben durch die Kredite und Schulungen inzwischen eine oder sogar mehrere Einkommen schaffende Optionen. Frauen, die zu alt oder zu krank sind, um noch selbst zu arbeiten, profitieren aber auch von ihrer Selbsthilfegruppe. Sie geben das Geld, das sie als Kredit von ihrer Gruppe bekommen, an ein Familienmitglied, das dadurch ein Kleinstgeschäft betreiben kann.

Innerhalb von sechs Jahren haben wir knapp 70 Gruppen gegründet, wovon manche sich wieder aufgelöst haben, was unter anderem daran lag, dass es über mehrere Monate immer wieder Unruhen zwischen verschiedenen Volksgruppen und Übergriffe durch Rebellen gab und die Gruppenmitglieder einiger Stadtteile mehrmals flüchten mussten. Trotz dieser wirklich widrigen Umstände haben die meisten Frauen weitergemacht und sich getroffen.

Es hat sich eine große Dynamik entwickelt in der Art und Weise, wie die Frauen miteinander umgehen. Eine der Frauen hat mir zum Beispiel folgendes erzählt: "Früher hätte ich nicht die Straße entlanglaufen können, um nach Salz zu fragen, weil ich keinen Kontakt hatte zu meinen Nachbarn, und wenn ich gefragt hätte, hätte ich kein Salz bekommen, denn alle waren so arm, dass sie nicht mal Salz hatten. Heute hat jede von uns genügend Essen und genügend Salz, wir sind wie eine Familie geworden und helfen uns gegenseitig."

Gab es Rückschläge und Probleme?

Es war schon anstrengend am Anfang. Vor allem der soziale Zusammenhalt: Es hat gedauert, bis die Frauen angefangen haben, sich untereinander zu vertrauen. Bei den Treffen hatte jede Frau ihr Sparbuch dabei, sodass sie jederzeit sehen konnte, welchen Beitrag sie schon angespart hatte und wie hoch ihr Kredit war. Und dann gab es noch ein Buch, in dem die Transaktionen der gesamten Gruppe festgehalten wurden und die Regeln und Beschlüsse, die besprochen wurden.

Viele dieser Frauen sind nicht gebildet, haben kaum eine Schule besucht. Mehr als drei Viertel der Gruppenmitglieder können gar nicht lesen und schreiben. Wir haben sie eng begleitet, auch die Mitglieder, die kaum lesen und schreiben können, immer wieder ermuntert und angelernt, verschiedene Aufgaben in der Gruppe zu übernehmen. Alle Gruppen organisieren sich inzwischen selbst.

Die Frauen leiten die Treffen selbst, führen die Sparbücher und das Gruppenbuch selbst, sie verwalten das Geld auch komplett selbst. Das Geld in der Kasse bleibt bei einem Gruppenmitglied. Auch für die Mitarbeiterinnen, die als Freiwillige die Gruppen angeleitet und intensiv begleitet haben, war am Anfang vieles fremd. Auch sie waren es nicht gewohnt, vor einer Gruppe zu sprechen, hatten am Anfang Angst. In vielen Schulungen haben sie die Grundlagen des Projektes gelernt. Und ihr Einsatz, ihre Motivation und ihr Engagement für die Gruppen war einfach überwältigend. Ohne sie wäre das Projekt nicht so gut gelungen.

Inzwischen ist das Projekt abgeschlossen. Wissen Sie, ob die Gruppen noch existieren?

Der Zusammenhalt in den Gruppen ist einfach toll. 57 Gruppen haben gesagt, wir machen weiter, weil wir sehen, es bringt uns etwas, unseren Kindern, der ganzen Familie. Das zeigt, dass sie sich mittlerweile so stark vertrauen, dass sie das Projekt weiterführen, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass sie ihr Geld nicht verlieren. Das Projekt funktioniert, weil die Frauen von Anfang an alles selbst organisiert haben und die Regeln selber aufstellen.

Ist das Projekt übertragbar auf andere Regionen oder Länder?

Das ist natürlich unser Wunsch. Es geht darum, der armen Bevölkerung zu helfen. Ich hoffe, dass das Projekt in den kommenden Monaten woanders gestartet werden kann. Der Ansatz zur Methodik wurde ja von der Kindernothilfe entwickelt, aber wir lernen natürlich alle an so einem Projekt.

Im Kongo gibt es viele Unruhen, Epidemien und Naturkatastrophen. Das Leben, der Alltag, die Sicherheitslage ist oft kaum vorhersehbar. Das ist eine große Herausforderung für solche Projekte. Viele Organisationen scheuen sich, sich in so einem Umfeld zu engagieren. Eine Herausforderung sind auch die Reisen, im Land. Um zu dem Projekt zu kommen, war ich drei Tage unterwegs, sowohl für die Hinreise als auch für die Rückreise. Das war nicht immer einfach. Aber zum Glück hat der Kirchliche Entwicklungsdienst der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern trotz all der schwierigen Umstände im Kongo das Projekt unterstützt.

Gab es denn auch Widerstand im Projekt?

Wir können uns das oft nicht richtig vorstellen. Viele Menschen leben von der Hand in den Mund. Es gibt nichts zu essen. Und da die Idee zu haben, auch noch etwas mitzubringen, ist schwierig. Das ist vollkommen konträr zu dem, was die meisten internationalen Organisationen hier praktizieren: Da kommt der Mais, der Reis, es wird monetäre Hilfe gegeben. Und dann kommt da jemand und sagt, es braucht keine Hilfe, denn wir glauben an dich und du kannst etwas aufbauen aus dem, was du hast. Das geht bis heute in viele Köpfe nicht rein, dass das funktionieren kann in diesem Umfeld. Und das ist das eigentliche Wunder für mich – dass es funktioniert hat. Das ist der Samen, der auf den Boden fällt. Wir müssen mit diesem Boden ackern und dafür sorgen, dass der Samen besser aufgeht. Und da braucht es ganz viel Veränderung hin zu dem Glauben, dass Menschen vor Ort auch diesen Schatz in sich tragen.

Hat sich Ihr Blick auf Entwicklungshilfe geändert?

Aufgrund der Erfahrungen mit diesem Projekt kann ich sagen, es lohnt, sich an die ganz arme Bevölkerung zu wenden. Es lohnt sich, Frauen zu befähigen, sie zu stärken, so dass sie anfangen, sich in politische Prozesse einzumischen, also Gremien in Schulen, Komitees auf lokaler Ebene und  Politiker beeinflussen.

Ich würde mir wünschen, dass die ganz arme Bevölkerung in den Blick genommen wird und nicht nur die gebildete Bevölkerung und die Mittelschicht. Das ist natürlich einfacher, aber es lohnt sich, den Blick auf die Armen zu richten.

Und das andere ist, dass wir viel mehr fragen sollten, was die Leute brauchen. Wir haben immer unsere Bilder im Kopf von Europa und denken, wir wissen, was die Leute brauchen. Aber wir sollten die Menschen erst mal selber zu Wort kommen lassen, wie sie sich ihr Leben, ihre Zukunft vorstellen, was sie brauchen, was sie sich wünschen. Wir sollten nicht einfach Material nach Afrika schicken. Denn das zerstört oft eher die Lebensgrundlage der Menschen. Wir brauchen einen ehrlichen Dialog auf Augenhöhe, und dazu gehört auch das Gespräch mit der Basis.

Markus Schmidt: Und wir müssen da auch kritisch mit uns umgehen. Wir sind ja auch Teil des Systems hier. Wir versuchen, andere Akzente zu setzen. Das ist oft schwierig in politischen Systemen wie hier, wo Korruption ein großes Thema ist und viele Nachrichten kursieren, die schlicht nicht fundiert sind. Wir müssen eben auch hinterfragen, was wir hören, und uns auf faktenbasiertes Wissen und Handeln konzentrieren.

 

Wie das "Hilfe zur Selbsthilfe" Finanzprojekt für Frauen funktioniert

Das Kleinkredit-Programm funktioniert nach einem ganz bestimmten System. Die soziale, ökonomische und politische Stärkung der Frauen verläuft in drei Ebenen:

  • Die Selbsthilfe-Gruppen werden unter Anleitung gegründet, sind aber komplett unabhängig. Mit Hilfe von partizipativen Ansätzen bekommen die Frauen Methoden gezeigt, wie sie sich gegenseitig helfen können.
  • Die Frauen treffen sich einmal wöchentlich zum Austausch und erarbeiten gemeinsam Regeln. Sie vereinbaren einen Sparbeitrag, den jede ausrichten muss.  Schon nach wenigen Wochen können aus dem Kapital kleine Kredite vergeben werden. Ziel ist es, dass die Kredite nicht für Essen oder den täglichen Bedarf genutzt werden, sondern für Dinge, die ein Einkommen schaffen.
  • Jede Frau hat ihr eigenes Sparbuch und es gibt ein Registerbuch, in dem alle Transaktionen festgehalten werden, dies ist einsehbar und somit überprüfbar.
  • Bei jedem Treffen erhalten die Mitglieder Schulungen zu bestimmten Themen – so z.B. zum Aufbau eines Kleinstgeschäfts, aber auch zu Themen wie Rechte von Kindern, Frauen, Gesundheitsthemen und vor allem auch zu Themen, die das Gemeinschaftsleben der Gruppe stärken (Kommunikation, Konfliktlösung).
  • Die Gruppe wird angeleitet, Gruppenaktivitäten zu planen und zu implementieren, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken, aber auch gleichzeitig Kompetenzen in Planung, Implementierung und Auswertung von Aktivitäten zu bekommen.
  • Die Mitglieder lernen, sich persönliche Nahziele zu setzen und diese auch zu realisieren. Somit lernen sie, dass sie selbst ihr Leben in die Hand nehmen können, sie nicht ohnmächtig äußeren, nicht beeinflussbaren Bedingungen ausgeliefert sind.
  • Nach ca. 6 Monaten lernt die Gruppe, ihre Aktivitäten selbst zu evaluieren und entsprechende Schritte zur Stärkung der SHG zu planen und umzusetzen.

Menschenrechte im Kongo

Wie sehen Sie den Umgang mit Korruption und sexualisierter Gewalt im Kongo - und speziell auch der Kirchen?

Markus Schmidt: Wir müssen diese Themen global denken. Menschenrechte sind universal gültig - und die Kirche muss global tätig werden. Wir müssen das immer wieder einfordern. Wir müssen dafür auch in unserer Arbeit Strukturen schaffen und dies auch bei unseren Partnern einfordern.

Es gibt inzwischen gute Richtlinien, mit denen hier Korruption und sexueller Missbrauch bekämpft werden. Aber diese müssen wir auch bis hin zur Basis überwachen - und zwar unabhängig - und gemeinsam immer wieder einfordern. Und wir dürfen uns nicht schämen, auch die eigene Schuld einzugestehen.

Wir müssen genau hinsehen. Missbrauch ist eine Realität. Wir dürfen uns nicht fürchten, Fragen zu stellen. In Einzelfällen nachzufragen, was macht ihr denn da. Da wünsche ich mir oft mehr Mut. Wir müssen diesen Dialog auch führen, ohne immer gleich zu denken, ja, das darf ich nicht fragen, weil uns das als Organisation kompromittiert. Wir müssen offen Unangenehmes ansprechen.

Ein Beispiel: Das Familienrecht hier ist eine Gender-Katastrophe. Der Chef ist der Mann. Wenn der Mann versetzt wird, hat die Frau mitzugehen. Und wenn der Mann sagt, du gehst da nicht hin, dann ist das so. Dieses Setting ist eine Katastrophe. Wir stellen leider manchmal auch fest, dass es in der Kirche sehr konservativ zugeht und viele dieses System erhalten wollen, weil Veränderung an den Grundfesten eines kulturellen Wertes rütteln würde. Und wir müssen dieses Setting verstehen, wenn wir mit unserer Entwicklungsarbeit hineingehen, und an den Rahmenbedingungen arbeiten, um die Gleichheit der Geschlechter voranzutreiben.

Wie steht es um die Ökumene im Kongo?

Sibylle Schmidt: Die Evangelisch-Lutherische Kirche im Kongo ist gut vernetzt. Die christlichen Kirchen wurden hier vor vielen Jahren quasi unter staatliche Aufsicht gestellt. Nur Kirchen, die gewisse finanzielle Mittel nachweisen konnten, wurden als eigenständige Kirche registriert. Zum Glück hat die Evangelisch-Lutherische Kirche damals Hilfe von ihren europäischen Partnerkirchen bekommen und wurde als eigenständige Kirche registriert. Deshalb ist die Kirche hier als Verein eingetragen und damit rechtlich selbständig. Viele andere protestantische Kirchen sind in einem Verband, dem ECC, also der Église du Christ au Congo, zusammen geschlossen.

Markus Schmidt: Die Ökumene spielt sich auf vielen verschiedenen Ebenen ab. Wer hier Christ ist, gehört nicht unbedingt zu einer bestimmten Kirche, was auch daran liegt, dass die Menschen aufgrund ihrer Arbeit oder der sozialen Situation oft weiterziehen.

Was wir im Land beobachten, ist eine gewisse Angst vor dem Islam. Es gibt einige fundamentalistische Christen, die Vorbehalte gegen den Islam haben und Angst vor Terrorismus, und dagegen predigen. Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Die Unterschiede dürfen nicht gegen Christentum oder Islam verwendet werden. Die Vielfalt im religiösen Bereich hier ist auch etwas ganz Tolles.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für das Land?

Sibylle Schmidt: Herausforderungen gibt es viele im Kongo. Der Kongo ist reich an Rohstoffen und hat viel Kapital im Hintergrund. Dieses Kapital gilt es für alle einzusetzen – auch für die arme Bevölkerung, den Gesundheitsbereich, die Bildung. Immerhin hat die derzeitige Regierung beschlossen, dass die Grundschulbildung an staatlichen Schulen für alle kostenlos ist. Das ist schon eine wesentliche Verbesserung.

Korruption im Kongo

Markus Schmidt: Natürlich ist Korruption ein Thema. Hier gilt es, Vieles aufzuarbeiten. Da habe ich aber die Hoffnung, dass sich das verbessert. Ich würde mir wünschen, dass hier ein gesellschaftliches Umdenken passiert, dass die politischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich eine klare Anti-Korruptions-Haltung auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen entfalten kann. Erste kleine Schritte haben sich in den letzten beiden Jahren bereits angedeutet. Der umfassende Wandel steht noch aus.

Sibylle Schmidt: Das Thema Gesundheit für alle ist natürlich wichtig. In unserer Epilepsie-Sprechstunde betreuen wir jetzt rund 1.500 Menschen mit Epilepsie. Angefangen hat es mit einer Person aus unserer Gemeinde hier. Das hat jetzt richtig Kreise gezogen. Zu uns kommen Leute aus Sambia, manche reisen 1.500 Kilometer quer durch den Kongo an. Ich hoffe, dass wir diese Gesundheitsstation noch auf bessere Beine stellen können und den Staat dabei auch in die Verantwortung nehmen können. Das kann auch andere motivieren, zu sehen, hoppla, es geht doch. Ich glaube, wir müssen viele so kleine Steine ins Rollen bringen, damit sich was ändert. Das zu schaffen, wäre doch wunderbar.

Evangelische Kirche im Kongo

Die Evangelisch-Lutherische Kirche im Kongo (Eglise Évangélique Luthérienne au Congo, EELCo) besteht aus 5 Diözesen. Sie ist Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK), im Lutherischen Weltbund (LWB), in der Gesamtafrikanischen Kirchenkonferenz und in der lutherischen Gemeinschaft in Zentral- und Ostafrika. Zudem unterhält sie partnerschaftliche Beziehungen zu Kirchen und Missionsorganisationen in Tansania, Deutschland und Finnland. Das Kirchenbüro hat seinen Sitz in Lubumbashi, im Südosten des Landes.

Weitere Informationen zum Projekt und der Partnerschaft gibt es bei Mission EineWelt