Auf der EKD-Synode in Ulm wurde eine neue Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung präsentiert, die belegt, dass die Kirche schneller an Rückhalt verliert als bisher vermutet. Danach schließen nur noch 35 Prozent der Evangelischen einen Kirchenaustritt derzeit aus. Vor rund zehn Jahren waren es noch 74 Prozent.

Angesichts der Dramatik dieser Prognosen ist es schwer verständlich, dass die Synode vorzeitig abgebrochen werden musste. Weil viele Synodale wegen eines angedrohten Bahnstreiks die Tagung verlassen hatten, war die Synode nicht mehr beschlussfähig. Für die noch interessierte Öffentlichkeit gab dies kein gutes Bild ab.

Überschattet war die Synodaltagung von den Vorwürfen gegen die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus in einem Missbrauchsverfahren, das 20 Jahre zurückreicht. Am vergangenen Montag ist die 60-jährige Theologin deshalb von ihren Ämtern als Ratsvorsitzende und als Präses der westfälischen Kirche zurückgetreten.

Der Rücktritt war unausweichlich, bedauerlich ist er trotzdem

Sie legte die Latte hoch, als sie nach ihrer Wahl zur Ratsvorsitzenden 2021 versprach, dass es fortan bei der Aufarbeitung von Missbrauch in Kirche und Diakonie kein Zögern und keine Rücksichtnahme mehr geben solle. "Ich werde dieses Thema zur Chefinnensache machen."

In dem Verfahren geht es um einen ehemaligen Mitarbeiter des Kirchenkreises Siegen-Wittgenstein, der in einer kirchlichen Einrichtung junge Männer bedrängt haben soll. In Siegen war Kurschus ab 1993 als Gemeindepfarrerin und später bis 2011 als Superintendentin tätig. Nach eigener Aussage kennt sie den Beschuldigten sehr gut, die Vorwürfe seien ihr aber erst seit Jahresbeginn durch eine anonyme Strafanzeige bekannt. Während der EKD-Synodentagung wies sie einen Bericht der Siegener Zeitung entschieden zurück, wonach sie bereits seit mehr als 20 Jahren von den Missbrauchsvorwürfen gewusst habe. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, sieht aber bislang keine strafrechtliche Relevanz, weil die mutmaßlichen Opfer nach derzeitiger Kenntnis zum fraglichen Zeitpunkt volljährig waren.

Die Diskussion um die Glaubwürdigkeit der Ratsvorsitzenden hatte dennoch eine Eigendynamik entfaltet, die ihren Rücktritt notwendig machte. Kurschus hatte auch deshalb keine Wahl, weil einige Ratsmitglieder und die Synodenpräses zum Teil öffentlich auf Distanz gingen.

Der Rücktritt war unausweichlich, bedauerlich ist er trotzdem. Annette Kurschus hatte nach zwei Jahren im Amt gerade ihr Profil gefunden – als nachdenkliche, geistlich profilierte Repräsentantin der Evangelischen Kirche in Deutschland.

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