Nika Irani hatte schon immer eine "krasse Meinung", wie sie selbst sagt. Viel Empathie und eine hohe Bereitschaft, sich in andere hineinzuversetzen. Aber ebenso viel Selbstliebe und konkrete Vorstellungen davon, was ihren Weg anbelangt. Mit zehn, sagt die heute 24-Jährige, habe sie entschieden, ihre eigene Religion finden oder gründen zu wollen. Als Jugendliche habe sie dann begonnen, gegen sexualisierende Frauenbilder laut zu werden. Ihr Publikum fand sie in den sozialen Medien.
Im Juni 2023 hat Nika Irani mehr als 121.000 Follower*innen auf Instagram und bringt dort nicht selten Themen zur Sprache, die viele Menschen als unangenehm empfinden – sei es die Enttabuisierung der Regelblutung oder die Produktion werteorientierter Pornografie. Von ihren Überzeugungen und Visionen erzählt sie im Gespräch mit Redakteurin Christina Argilli.
Nika Irani, auf vielen Deiner Posts sieht man Dich mit Achselhaaren oder Intimbehaarung. Nicht immer sind die Reaktionen darauf positiv. Wie weit ist unsere Gesellschaft von einem normalen Umgang mit weiblicher Körperbehaarung entfernt?
Nika Irani: Ich bin davon überzeugt, dass ich es in naher Zukunft schaffen werde, mit größeren Marken zu arbeiten, die Körperbehaarung symbolisieren und dann auch normalisieren, dadurch, dass sie von Models in großen Kampagnen gezeigt wird. Ich bin mir sicher, dass das passieren wird. Vielleicht nicht in erster Linie durch mich, aber es wird passieren.
Welche Veränderungen willst Du noch anstoßen?
Irani: Durch mich hat sich schon vieles verändert. Ich weiß, dass sich durch mich eine Menge Menschen mehr trauen, sich so zu verhalten, wie sie es wollen.
Viele meiner als Frau identifizierten Followerinnen schreiben mir, dass sie sich schämen, ihre weiblichen Merkmale in Szene zu setzen, weil andere sie dafür verurteilen.
Sie wissen gar nicht mehr, wie sie sich sexy bewegen können, und fragen mich dann, wie sie wieder zu sich selbst finden und zur Liebe zu dieser Seite an sich.
Du selbst hast früh zu spüren bekommen, wie es ist, wenn man nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht.
Irani: Ja, zuerst war es nur in meiner Klasse, dass ich von Mitschüler*innen dafür fertig gemacht wurde, einfach ich selbst zu sein. Das war so mit 14. Dann habe ich bemerkt, dass ich auch auf Facebook offenbar sehr provozierend wirke.
Woran stören sich die Leute denn?
Irani: Ich spiele gerne mit meinen Reizen. Das macht mir Spaß. Es gibt Menschen, die sehen lieber cool aus. Es gibt Menschen, die sehen lieber lieb aus, und ich sehe einfach gerne sexy aus. Viele sehen das direkt als etwas Negatives, aber verstehen gar nicht, dass wir eigentlich alle gerne sexy sind. Manche sind es gerne zuhause, manche sind es gerne in der Öffentlichkeit.
Im Internet haben sich fremde Menschen schnell eine Meinung über mich gebildet und genauso schnell in ihren Kommentaren Grenzen überschritten. Da habe ich gemerkt, dass es zwei Wege gibt: Entweder ich ändere mich selbst oder ich ändere mein Umfeld. Und dann habe ich entschieden, ich bin okay so, wie ich bin.
Drohende soziale Ausgrenzung erfordert ja nicht nur Mut, sondern kostet auch viel Energie. Wer waren Deine Vorbilder, die Dich bei dieser Entscheidung gestärkt haben?
Irani: Meine Eltern sind auf jeden Fall krasse Vorbilder für mich. Ich habe als Kind öfter mitbekommen, dass ihnen ihre Überzeugungen wichtiger waren als vieles andere. Meine Mutter hat zum Beispiel mal einen Job gekündigt, weil sie die Werte ihres Chefs nicht vertreten konnte.
Welchen Rat haben sie Dir gegeben für den Umgang mit Deinen Kritiker*innen?
Irani: Sie haben mir von Anfang an gesagt, dass ich nichts machen soll, was ich nicht machen möchte, und dass ich alles machen soll, was ich machen möchte, solange ich niemandem schade. Diese Unterstützung und dieses Gefühl, zumindest zuhause akzeptiert zu werden, haben mich darin bestärkt, zu mir selbst zu stehen.
Ich war mir einfach so sicher in dem, was ich gemacht habe, weil ich von meinen Eltern die Bestätigung bekommen habe, dass ich alles richtig mache. Und wer ist in deiner Jugend wichtiger als deine Eltern?
In Deinen Postings machst Du darauf aufmerksam, wie weiblich gelesene Menschen für ihr Aussehen, ihr Auftreten oder ihren Kleidungsstil von ihrer Umwelt kategorisiert und bewertet werden. Und Du kritisierst das System, in dem es Menschen gibt, die sich dadurch ermächtigt fühlen, übergriffig zu werden.
Irani: Genau. Es geht um Machtausübung und um das, was uns diese Gesellschaft antut als Frauen. Angefangen bei dem täglichen Nichtakzeptiertwerden und täglichen Beleidigtwerden. Bis hin zu sexualisierter Gewalt, Missbrauch und Vergewaltigung. Viele Frauen haben durch mich gelernt, dass sie aufschreien sollen und dass sie es nicht verdient haben, wenn ihnen etwas passiert.
Wie versuchst Du, diesen Frauen Mut zu machen?
Irani: Jede Betroffene hat ihre individuelle Geschichte. Ich möchte so viele Menschen wie möglich bei ihrer Heilung nach einem Trauma unterstützen. Mit dem Fokus auf der Frage: Was können wir jetzt machen, wo es schon passiert ist? Wie können wir heilen?
Was macht der Hass in der Gesellschaft mit Dir?
Irani: Ich habe sehr jung gelernt zu differenzieren, dass Menschen, die mir Böses wollen oder sagen, dass es falsch ist, was ich mache, unverarbeitete Probleme mit sich selbst haben. Wenn Menschen Konflikte mit verbaler oder körperlicher Gewalt zu lösen versuchen, dann ist das so, weil sie selbst verletzt sind.
Du versuchst also, Dich in ihre Lage zu versetzen?
Irani: Es hilft mir, wenn ich mir vorstelle, wie eine Person groß geworden ist, wie sie jahrzehntelang immer wieder das Gleiche gehört hat und wie schwierig es für sie sein muss, aus ihrem Denken rauszukommen. Dann denke ich mir: Jetzt habe ich wenigstens die Aufmerksamkeit der Person und kann ihr nochmal nett meine Meinung erklären. Vielleicht versteht sie es dann und vielleicht auch nicht. Aber ich mache halt einfach mein Ding.
Das klingt sehr rational.
Irani: Es gibt auch Tage, da heule ich stundenlang und es ist anstrengend, aber alles geht vorüber. Ich kann nicht anders außer weiterzumachen, also mache ich dann weiter und konzentriere mich auf die schönen Dinge im Leben, weil es gibt ja sehr viele davon.
Zum Beispiel Deine mehr als 120.000 Follower*innen auf Instagram.
Irani: Die geben mir so viel Kraft! Wenn man jeden Tag Nachrichten bekommt, in denen Menschen sagen: 'Du hast mir geholfen, du hast mein Leben verändert!', dann ist das so ein schönes Gefühl und übertrifft all den Hass. Diese Energie, die füllt mich aus.
Und was ist Dein analoger Ausgleich?
Irani: Die Natur. Wenn es mir richtig schlecht geht, muss ich in den Wald und mich hinsetzen. Oder in einem See schwimmen, dann geht es mir viel besser.
Digitale Rebellinnen
Eine Plakat-Ausstellung über "Digitale Rebellinnen" entsteht auf dem Festival für die digitale Gesellschaft "re:publica" in Berlin. Das Projekt wurde aus über 1.300 Ideen ausgewählt und ist von 5. bis 7. Juni in der Arena Berlin zu sehen.
Hier geht es zur Übersicht mit allen "Digitalen Rebellinnen"
Die Ausstellung wird täglich live vor Ort ergänzt mit Porträts von Frauen aus der Tech-Branche. "Wir wollen mit unserer Plakat-Ausstellung Personen der digitalen Welt vorstellen und greifbar machen, die sich für Diversität, Empowerment, Ethik und Soziales stark machen", so Kuratorin Rieke C. Harmsen.
Live und vor Ort können die Teilnehmer*innen der re:publica ihre Vorschläge für Personen einreichen, die Teil der "Rebellinnen"-Ausstellung werden sollten. Hier kannst du deinen Vorschlag einreichen!
Ausgangspunkt der Ausstellung bildet die bereits bestehende Schau über "Rebellinnen". Diese zeigt eine Auswahl von über 20 Frauen aus der deutschen Geschichte - aus Politik, Gesellschaft, Kultur oder Wissenschaft. Diese wird ergänzt durch weitere Frauenportraits in einer digitalen Ausstellung.
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