Können wir Gottesdienste und Abendmahl online feiern? Die Münchner Theologieprofessoren Reiner Anselm und Christian Albrecht erklären in ihrem Gastbeitrag, welche Elemente für einen Gottesdienst unverzichtbar sind.

Was ist essenziell für einen evangelischen Gottesdienst?

Wenn in den Ausnahmezeiten einer Notsituation wie der Corona-Krise sich die Gesellschaft als ganze zeitweise einschränkt, gilt das selbstverständlich auch für christliche Lebensformen. Christen und Christinnen haben in gottesdienstlicher Askese auf gewohnte Gottesdienstformen mit physischer Gemeinschaft verzichtet. Das war nicht zuletzt eine Form der Nächstenliebe.

Wenn jetzt über allmähliche Lockerungen der Einschränkungen nachgedacht wird und damit auch darüber, welche Formen eines evangelischen gottesdienstlichen Lebens schrittweise wieder aufgenommen werden können, dann stellt sich die Frage: Was ist essenziell für einen evangelischen Gottesdienst? Was ist unverzichtbar für eine gottesdienstliche Zusammenkunft, sei es in digitaler, sei es in physischer Gemeinschaft?

1. Der Gottesdienst ist eine Versammlung, ist eine Gemeinschaftsveranstaltung – in welcher Form auch immer. Es sind stets mehrere, die im Namen Jesu zusammenkommen (Mt 18,20). Keiner kann mit sich allein Gottesdienst feiern.

2. Der Gottesdienst besteht aus den konstitutiven Elementen Verkündigung, Gebet und Segen als Zuspruch des Evangeliums, der Gnade und des Schutzes. Im Zentrum des Gottesdienstes steht ein gesprochenes Deutewort – in welcher Länge auch immer. In ihr wird das Allgemeine und Grundsätzliche des christlichen Glaubens auf eine konkrete Situation bezogen. Der reformatorische Gottesdienst ist im Kern Wortauslegung. Und insofern das Abendmahl nach evangelischer Auffassung eine der vielen Erscheinungsweisen des Wortes ist, gehört es zwar in den evangelischen Gottesdienst, aber nicht zwingend in jeden Gottesdienst.

3. Der Gottesdienst braucht gemeinschaftliche responsive Elemente: Lied und Gebet als Ausdruck individueller Bitte und Klage, individuellen Hoffens und Hörens, individuellen Dankens und Lobens in der Gemeinschaft der Vielen und im Horizont des Allgemeinen. Das ist in der Torgauer Formel 1546 gemeint, wenn Luther das Wesen des Gottesdienstes darin sieht, "dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang."

Solange diese essenziellen Merkmale des Gottesdienstes gewahrt bleiben, können evangelische Christen und Christinnen den Schutzkonzepten und ihren Motiven – nämlich: Personenbeschränkungen einzuhalten und Kontakte möglichst kurzzuhalten – aus Nächstenliebe zustimmen und dafür auch temporäre Einschränkungen des gottesdienstlichen Lebens und der gewohnten gottesdienstlichen Formen akzeptieren.

Evangelischer Gottesdienst ist an keine Gestalt gebunden

Denn der evangelische Gottesdienst ist an keine bestimmte Gestalt gebunden. Gottesdienstliche Formen sind nicht heilsnotwendig, sondern dienen als funktionales Gefäß dafür, dass das Evangelium im Gottesdienst leibhaftig werden kann, ohne subjektivistischer Willkür zu unterliegen. Sie bilden den äußeren Rahmen für das, was allen gemeinsam ist.

Dafür sind Fülle, Feierlichkeit oder Länge des Gottesdienstes nicht ausschlaggebend, sondern können zeitweise sparsamen Formen Platz machen. Gleichwohl wird jede Gestalt, die ein evangelischer Gottesdienst annimmt, doch an äußeren Kennzeichen (wie zum Beispiel dem Kirchenraumkontext, liturgischer Bekleidung, liturgischer Sprache, musikalischen Elementen oder anderem) etwas erkennen lassen davon, dass er als Zusammenkunft im Namen Jesu eine Veranstaltung ist, in der das Transzendente immanent wird, oder: eine Veranstaltung, die in der Welt stattfindet und zugleich aus der Welt ist.

 

Christian Albrecht ist Professor für Praktische Theologie an der LMU München.

Reiner Anselm ist Professor für Systematische Theologie mit Schwerpunkt Ethik an der LMU München.